Das Schiedsgericht der Wiener Warenbörse besteht in der gegenwärtigen Form seit 1875. Es kann seit 1877 auch für außerbörsliche Geschäfte vereinbart werden und der Anfall kam auch, wenn man von der kurzen Spanne zwischen 1921 und 1924 absieht, praktisch nur außerbörslichen Geschäften (der letzte Streit aus einem Börsegeschäft war im Jahre 1930). Die schiedsgerichtliche Tätigkeit hatte ihren Höhepunkt in den Jahren 1922 bis 1932, als der Anfall weit über 500 Klagen im Jahre ausmachte (Höchstanfall 1924 und 1925 mit 960 und 948 Klagen). Von 1945 bis 1973 wurde das Schiedsgericht zunächst weniger beansprucht, seit 1974 nahm die Zahl der Klagen wieder zu (in einzelnen Jahren auf über 100). Das Schwergewicht liegt heute in der Holzbranche, wo das Schiedsgericht vor allem bei Exportgeschäften nach Italien regelmäßig vereinbart wird. Dies kommt auch in der Nationalität der Streitteile zum Ausdruck: Rund ein Drittel aller Prozeßparteien sind Italiener. Aber auch andere ausländische Prozeßparteien sind vor dem Schiedsgericht anzutreffen; haben doch zwei Drittel bis drei Viertel aller Fälle internationale Streitigkeiten zum Gegenstand. Diese internationale Schiedsgerichtsbarkeit wird durch die günstigen Vollstreckungsverträge (insbesondere das UNO-Übereinkommen, siehe unten) sehr gefördert, weil der obsiegende Teil den Schiedsspruch in weitaus mehr Staaten vollstrecken kann als Urteile österreichischer Gerichte.
Die Zuständigkeit des Schiedsgerichtes beruht heute auf der Vereinbarung der Parteien (durch Schiedsvertrag oder Schiedsklausel). Für Börsengeschäfte ist das Schiedsgericht der Warenbörse auch ohne Vereinbarung kraft Gesetzes zuständig, es sei denn, daß die Parteien ausdrücklich und schriftlich die Zuständigkeit des Börsenschiedsgerichtes ausgeschlossen haben.
Bei Verträgen mit Ausländern ist nach dem internationalen Abkommen (Artikel 22 Absatz 2 des Übereinkommens über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche bzw. Artikel 2 Z. 2 lit. a des Europäischen Übereinkommens über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit) stets eine schriftliche Vereinbarung erforderlich. Als schriftliche Vereinbarung gilt sowohl eine Schiedsklausel in einem Vertrag als auch eine gesonderte Schiedsabrede, sofern der Vertrag, oder die Schiedsabrede von den Parteien unterzeichnet oder in Briefen, Telegrammen oder Fernschreiben, die sie gewechselt haben, enthalten ist. Bei Verträgen mit Börsebesuchern und inländischen protokollierten Kaufleuten genügt zur Begründung der Zuständigkeit, daß ein Schlußbrief, der die Bestimmungen enthält, daß Rechtsstreitigkeiten aus dem Geschäft vom Börsenschiedsgericht zu entscheiden sind, unbeanstandet angenommen wurde, es sei denn, daß die bezeichnete Bestimmung oder der Schlußbrief im allgemeinen als vertragswidrig beanstandet oder der Schlußbrief ohne Bemerkung zurückgestellt wird (nach Gesetz genügt dies auch zur Begründung der Zuständigkeit bei Ausländern, doch sind die auf dieser Basis ergehenden Schiedssprüche praktisch nur in sehr wenigen Ländern vollstreckbar).
Ferner ist Zuständigkeitsvoraussetzung, daß eine der beiden Parteien entweder zur Zeit der Unterwerfung unter das Schiedsgericht oder zur Zeit der Einbringung der Klage Mitglied der Wiener Warenbörse und daß eine börsenfähige Ware Gegenstand des Vertrages ist. Als Warengeschäfte gelten aber auch Werkverträge, Verträge zum Zwecke der Vereinigung zu einzelnen Handelsgeschäften über Waren für gemeinschaftliche Rechnung, Vermittlungsgeschäfte über Waren einschließlich der Vertrage mit selbstständigen Handelsvertretern und die dem Verkehre mit Waren dienenden Hilfsgeschäfte (wie Fracht-, Lager- oder Speditionsgeschäfte). Schließlich müssen die Parteien, da es sich um ein kaufmännisches Schiedsgericht handelt, Wirtschaftstreibende sein (also entweder ein Organ der öffentlichen Verwaltung, eine Handelsgesellschaft, eine Erwerbs- oder Wirtschaftsgenossenschaft, ein Mitglied oder Besucher einer Börse oder eine Person, die sich berufsmäßig mit der Erzeugung, dem Umsatz oder der Verarbeitung jener beweglichen Sachen beschäftigt, welche den Gegenstand des Geschäftes bilden oder die solche beweglichen Sachen in ihrem industriellen, gewerblichen Handelsbetrieb oder regelmäßig verwendet).
Die rechtskräftigen Schiedssprüche sind nicht nur im Inland vollstreckbar, sondern auch anerkennungsfähige Titel im Sinne der internationalen Vollstreckungsabkommen (Genfer Abkommen vom 26. September 1927, betreffend die Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche vom 10. Juni 1958, sogenanntes UNO-Übereinkommen, und Europäisches Übereinkommen über die internationale Handelsschiedsgerichtsbarkeit vom 21. April 1961).
|