Zu Beginn der sozialliberalen Koalition wurde f°hnlich der heutigen politischen Situation innenpolitisch ein Reformstau ausgemacht, den es abzubauen galt. Im Folgenden werden die Ergebnisse dieser Reformbestrebungen aufgelistet.
1972 wurde das Betriebsverfassungsgesetz verabschiedet, das die Stellung der Gewerkschaften zum Betrieb regelt und ihnen somit einen Zugang zum Betrieb verschaffte. Insbesondere die FDP fØbte dabei Druck auf die SPD aus, die paritf°tische Mitbestimmung auch auf¨erhalb des Bereichs der Montanindustrie einzuffØhren.(Siehe MfØller, 1994: 390)
1976 wurde mit dem Mitbestimmungsgesetz die fØberbetriebliche Mitbestimmung von Betrieben mit mehr als 2000 Beschf°ftigten geregelt. Die Aufsichtsrf°te sind nunmehr mit gleichen Teilen mit Vertretern der Anteilseigner und der Arbeitnehmer zu besetzen, wobei sich der Arbeitnehmeranteil mindestens aus zwei von den Gewerkschaften Entsendeten, aus Arbeitern, Angestellten und leitenden Angestellten zusammensetzt. Die FDP konnte durchsetzen, daf¨ im Falle eines Pattes bei einer erneuten Abstimmung f±der mit dem Vertrauen der Anteileigner ausgestattetef° Vorsitzende zwei Stimmen erhf°lt. Diese LfÐsung ist Ausdruck eines Kompromisses, bei dem der SPD-Wunsch nach paritf°tischer Mitbestimmung den Zielen der FDP entgegenstand, eine Einschrf°nkung der VerffØgungsgewalt der Kapitalseite zu verhindern.
Das ist seitens der Liberalen ein ganz anderer Zungenschlag, als er in den Freiburger Thesen noch zu vernehmen war. Insofern ist es berechtigt davon zu sprechen, daf¨ diese Thesen einerseits Ausdruck einer kurzen BlfØtezeit (und Renaissance) des Linksliberalismus sind, jedoch nicht geeignet sind, als Charakterisierung der FDP wf°hrend der gesamten sozialliberalen f¯ra herangezogen zu werden.
Der Bildungsreform stand reformkonzeptionell an der Spitze der Prioritf°ten.(Biehler, 1989: 91) Man ging fØbereinstimmend davon aus, daf¨ wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt von der Leistungsff°higkeit des Bildungssystems abhf°ngen. Ziel war die Erlangung der Chancengleichheit und die Demokratisierung der Hochschulen.
Wie auf kaum einen anderen Feld war auf diesem Politikfeld jedoch der Handlungsspielraum der Koalition f°uf¨erst begrenzt. Zum einen muf¨te die CDU/CSU - Bundesratsmehrheit mit einbezogen werden. Diese aber folgte bzgl. der Demokratisierung nicht den Ansf°tzen der Regierungskoalition. Zum anderen ff°llte das Bundesverfassungsgericht 1973 zum f±Vorschaltgesetz ffØr ein Niedersf°chsisches Gesamthochschulgesetzf° ein Urteil, welches den Bestrebungen der Koalitionsparteien zum grfÐf¨ten Teil zuwiderlief. Das Urteil wird insbesondere hinsichtlich der Gerichtskompetenzen (und der mfÐglichen f×berschreitung derselben) kritisch bewertet: f±Angesichts der Allgemeinverbindlichkeit des Urteils, die den Gesetzgeber bindet, wurde vom Gericht eine politische Entscheidung mit gesetzgeberischer Kraft getroffen und die Legislativorgane zu Vollzugsorganen hfÐchstrichterlichen Willens degradiert.f° (Ebd.: 100)
In dieser institutionellen Machtkonstellation konnte die Regierung keinen bundespolitischen Impuls in Form eines neuen (bzw. neuartigen) Hochschulrahmengesetzes geben. (Landespolitische liberale Hochschulgesetze fielen dem besagtem Urteil anheim.)
Eine Berufsbildungsreform, die vor allem die SPD anstrebte, scheiterte ebenfalls. Ziel des Kabinetts war es u.a., die berufliche Bildung in die allgemeine Bildung zu integrieren, die materiellen Aus- und Weiterbildungsinhalte sowie die schulischen mit der auf¨erschulischen Berufsbildung abzustimmen. Der Staat sollte in diesem Bereich mehr Verantwortung tragen. Vor dem Hintergrund steigender Jugendarbeitslosigkeit schlug die von der Bundesregierung eingesetzte Edding-Kommission vor, mittels einer Fondfinanzierung die Wettbewerbsverzerrung zwischen ausbildungsaktiven und -passiven Betrieben einzudf°mmen und damit ffØr Ausbildungsaktivitf°ten grfÐf¨ere Anreize zu geben. Die Fondfinanzierung stief¨ bei der FDP auf Widerstand (Bedenken: mangelnde Effizienz). Der gefundene Kompromif¨ (f±Wenn das Ausbildungsplatzangebot weniger als 12,5 % fØber [!] der Nachfrage liegt, kann eine Berufsbildungsabgabe erhoben werden...f°) scheiterte am Bundesrat. Ein daraufhin eingebrachter AusbildungsplatzffÐrderungsgesetz-Entwurf, der nach Meinung der Bundesregierung die f±Bundesratszustimmungselementef° umschiffte scheiterte am Bundesverfassungsgericht, welches das Gesetz auf Antrag Bayerns ffØr nichtig erklf°rte, da es dem entgegen doch der Zustimmung bedurft hf°tte.(Vgl. Biehler, 1989: 115ff.)
Insgesamt hat das Bundesverfassungsgericht eine entscheidende (und hemmende) Wirkung auf die Reformpolitik der sozialliberalen Koalition. Dieser Einfluf¨ zeigt sich des weiteren auf die von der Koalition verabschiedete FristenlfÐsung. Sie sollte den restriktiven fu218 StGB, welcher den Schwangerschaftsabbruch unter Strafandrohung stellt, ablfÐsen und ist Ausdruck des Zieles, eine legale LfÐsung unzumutbarer Konfliktlagen zu ermfÐglichen.(Siehe MfØller, 1994: 411) Diese Regelung hielt das Bundesverfassungsgericht ffØr mit der Verfassung unvereinbar. Die Regierungsmehrheit beschlof¨ daraufhin die sog. IndikationenlfÐsung.
Auch die Wehrpflichtnovelle der Bundesregierung, nach der auf ein AnhfÐrungsverfahren und die GewissensprfØfung verzichtet werden sollte, stellte sich das Bundesverfassungsgericht entgegen und argumentierte dabei mit der Funktionsff°higkeit der Bundeswehr.
Erfolgreich hingegen verlief die Familienrechtsreform. Teil dieser Reform ist ein neues Scheidungsrecht, deren Innovation darin besteht, den f×bergang vom Schuldprinzip zum ZerrfØttungsprinzip zu vollziehen.(Siehe Biehler, 1989: 162) Infolgedessen ist vor Gericht eine Schuldfrage der Scheidung nicht zu klf°ren.
Insgesamt ist aber festzustellen, daf¨ die Reformfreudigkeit der Bundesregierung nach 1974 abnahm. Auch drf°ngte die Wirtschaftskrise in Folge der fÏlkrise die Politik von einer Position des Gestaltenden hin zu einer Politik der fÐkonomischen Sanierung. Man muf¨te zunehmend mehr auf die fÐkonomischen Umstf°nde reagieren, als selbst zu agieren. Konnte man zuvor noch davon ausgehen (und die Reformprojekte entsprechend gestalten), daf¨ dauerhaftes Wachstum einem Naturgesetz gleich ffØr alle Zeiten gegeben ist (logische Schluf¨folgerung der tatsf°chlichen wirtschaftlichen Entwicklung in den ersten Jahrzehnten der Bundesrepublik) wurde nun deutlich, daf¨ dieses keineswegs der Fall ist. War also zunf°chst die Fragestellung akut, wie der grfÐf¨er werdende Kuchen gerecht verteilt werden kann, setzte sich an ihrer Stelle die Frage, wie fØberhaupt der Kuchen gleich grof¨ zu erhalten ist. Das Problem der Arbeitslosigkeit tauchte auf.
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