Unter Abschnitt 3 wurde die These aufgestellt, daß sich die Reaktionen von Mitgliedern der Parteien anhand ihrer Gewichtung beim Zielkonflikt Wettbewerbs-/Ordnungspolitik und Industriepolitik gut einordnen lassen. Diese Gleichsetzung von Wettbewerbs- und der eigentlich strengeren Ordnungspolitik war dabei nur möglich, da die wettbewerbsrechtlichen Regelungen hinsichtlich der geplanten Fusion von DF1 und Premiere letztlich zu einem 'härteren' Urteil kommen konnte als die Prüfung nach den medienspezifischen Regelungen, die der Idee nach dem Verständnis der Medien als Kulturgut mit gesellschaftlicher Verantwortung Rechnung tragen sollen. Das Phänomen gibt es auch auf nationaler Ebene. Im Gegensatz zum Bundeskartellamt, das auch in neuen Märkten wie Pay-TV wettbewerbsrechtlich argumentieren kann, kann die KEK nach Maßgabe des Rundfunkstaatsvertrags nur den Zuschaueranteil nach dem Zuschaueranteilsmodell ermitteln (siehe auch Abbildung 5), bei dem nicht der Fernsehmarkt in Pay- und Free-TV unterteilt wird. Insofern spielt der gemessen an der Gesamtzuschaueranzahl zunächst geringe Anteil des Pay-TV Marktes eine untergeordnete Rolle. Das führt zu der paradoxen Situation, daß die Kommission - die ihrem Namen gemäß auf die Konzentration im Medienbereich achten soll und diese Aufgabe dem geschilderten Umstand verdankt, daß der sensibele Bereich der Medien strengere Strukturvoraussetzungen zu erfüllen hat als die für andere Märkte geltenden kartellrechtlichen Bestimmungen - gerade dort keine rechtlich ausreichende Handhabe besitzt, wo Zusammenarbeit von Konkurrenten stattfindet und wo die technischen Bedingungen für das zukünftige digitale Fernsehen wesentlich mitgestaltet werden. Auch hier geht die allgemeine Wettbewerbspolitik weiter als die medienspezifische Ordnungspolitik. Henle (in Landesmedienanstalten, 1995: 81) schlug beispielsweise im Zuge seiner Überlegungen zur Fortentwicklung der Rechtsgrundlagen für entgeltfinanzierte Programme und digitales Fernsehen eigene Marktanteilsgrenzen vor, da kartellrechtliche Regelungen als Strukturvoraussetzung für Meinungspluralismus nicht ausreichten (siehe auch S. 16f.). Da nun ausgerechnet das Bundeskartellamt für die Anteilsaufstockungen an Premiere "die Bremse zieht" (vgl. Tagesspiegel, 9.9.98: 17) könnte das im Umkehrschluß als ein Defizit medienspezifischer Strukturbestimmungen beim Pay-TV interpretiert werden.
Abbildung 5: Vereinfachtes Schaubild der deutschen Medienakteursstruktur
Diese Verkehrung der Auswirkungen von Kartellrecht und Medienkonzentrationskontrolle überdeckt den eigentlichen Grundsatzstreit, der sich hinter der Debatte um die Allianz von Bertelsmann und Kirch verbirgt: ob es - auch vor dem Hintergrund der neuen technischen Möglichkeiten - weiterhin zu rechtfertigen ist, dem Rundfunk eine rechtliche Sonderstellung zuzugestehen, die sich mit seiner Funktion für die öffentliche Meinungsbildung begründet. "Die inhaltliche Funktion der Medien hat (..) nur noch instrumentelle Bedeutung insoweit, als sie Nachfrage nach neuen digitalen Hard- und Software-Angeboten schafft. Medienpolitik wird so zum Unterfall einer vor allem ökonomisch orientierten Innovationspolitik, ohne eigenständigen Stellenwert." (Stammler in epd-medien 62/1998, 3f.). Mit zunehmender Kompetenzverlagerung zur EU wird sich die Schwerpunktverlagerung vom Kultur- zum Wirtschaftsgut beschleunigen, da sie ihre Entscheidungen vornehmlich auf Grundlage der Bestimmungen zum freien Binnenmarkt fällt. Mit der Verlagerung des Wettbewerbs auf eine internationale Ebene wird zusätzlich der medienspezifische und ggf. aus ökonomischer Sicht einzwängende Ordnungsrahmen hinterfragt.
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