Entwicklung: Kollektivverhandlungen zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmer-vereinigungen und als ihr Ergebnis Kollektivverträge haben sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt. Aber erst nach dem 1. Weltkrieg wurde der Kollektivvertrag gesetzlich geregelt (durch das Einigungsamtsgesetz 1919). Auch andere generelle Normen zur Regelung der Lohn- und Arbeitsbedingungen haben sich entwickelt. Durch das Arbeitsverfassungsgesetz (BGBl. Nr. 22/1974) wurden all diese kollektivrechtlichen Normen zusammengefaßt und systematisch geordnet (kodifiziert).
Zweck der "kollektiven Rechtsgestaltung" ist es, ein Instrumentarium zu schaffen, das es ermöglicht, für eine möglichst große Zahl von Arbeitnehmern, für alle Branchen und alle Regionen sachgerecht die Lohn- und Arbeitsbedingungen frei-zusetzen. Durch das System der freien Kollektivverhandlungen wird diese Aufgabe überwiegend von den Berufsvereinigungen und gesetzlichen Interessenvertretungen frei von staatlichem Einfluß erfüllt.
Die Instrumente der kollektiven Rechtsgestaltung sind:
. der Kollektivvertrag
. die Satzung
. der Mindestlohntarif
. die generelle Festsetzung von Lehrlingsentschädigungen
. die Betriebsvereinbarung.
8.2.1) Kollektivvertrag
Begriff: Kollektivverträge sind schriftliche Vereinbarungen, die zwischen kollektiv-vertragsfähigen Körperschaften der Arbeitgebern und der Arbeitnehmer abgeschlossen werden. Die Kollektivverträge regeln vor allem die gegenseitige Rechte und Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis und die Rechtsbeziehung zwischen den vertragsschließenden Parteien des Kollektivvertrages. Entsprechend diesem hauptsächlichen Inhalt eines Kollektivvertrages unterscheidet man daher:
Obligatorischer Teil Verpflichtet die Organisationen, die den Vertrag schufen
Normativer Teil
(Rechte und Pflichten Wird Bestandteil des einzelnen Arbeitsvertrages
der AN und AG)
Kollektivvertragsfähig (das ist die Fähigkeit, Kollektivverträge abschließen zu können) sind u.a.:
. die gesetzlichen Interessenvertretungen, sie sind kraft Gesetzes kollektiv-vertragsfähig
. die freiwilligen Berufsvereinigungen. Liegen die gesetzlichen Vorraus-setzungen (z.B. maßgebliche wirtschaftliche Bedeutung, Unabhängigkeit vom sozialen Gegenspieler) vor, wird ihnen die Kollektivvertragsfähigkeit vom Bundeseinigungsamt verliehen
. juristische Personen des öffentlichen Rechts (nur bezüglich der Arbeits-verhältnisse ihrer eigenen Arbeitnehmer)
. bedeutende Vereine (die keiner kollektivvertragsfähigen Körperschaft der Arbeitgeber angehören), ebenfalls nur bezüglich der Arbeitsverhältnisse zu ihren Arbeitnehmern.
Geltungsdauer: Voraussetzung für die Geltung des Kollektivvertrages ist:
. Hinterlegung beim BM für Arbeit und Soziales
. Veröffentlichung ("Kundmachung") in der Wiener Zeitung
Geltungsbeginn ist der Zeitpunkt der Veröffentlichung oder der im Kollektivvertrag vorgesehene Zeitpunkt.
Außerkrafttreten: Mit dem Kollektivvertrag hierfür allenfalls vorgesehenen Datum (Zeitablauf), sonst durch Kündigung.
Rechtswirkungen:
. Normwirkung: So wie ein Gesetz unabhängig davon gilt, ob der Einzelne das Gesetz und seinen Inhalt billigt, so gilt auch der Kollektivvertrag für die von seinem Geltungsbereich erfaßten Arbeitnehmer.
. Außenseiterwirkung: Gilt der Kollektivvertrag für den Arbeitgeber, so gilt er auch für alle seine Arbeitnehmer, d.h. auch für solche Arbeitnehmer, die nicht der Gewerkschaft angehören, welche den Kollektivvertrag abgeschlossen hat.
. Nachwirkung: Auch wenn ein Kollektivvertrag erloschen ist, bleiben seine Wirkungen für jene Arbeitsverhältnisse bestehen, die vom Kollektivvertrag vor seinem Erlöschen erfaßt wurden.
Istlohn-Politik: Die tatsächliche bezahlten Löhne ("Effektiv-" oder "Istlöhne") sind meist höher als die durch den Kollektivvertrag geregelten Mindestentgelte. Eine Erhöhung der Mindestentgelte allein würde daher für viele Arbeitnehmer keine Verbesserung ihres Einkommens bewirken. Daher wird beim Abschluß eines Kollektivvertrages häufig auch eine Erhöhung der Istlöhne vereinbart. Um die Spanne zwischen dem tatsächlich bezahlten Entgelt und dem Mindestentgelt (die "Lohndrift") zu verringern, werden die Mindestlöhne aber meist stärker erhöht.
Dem Kollektivvertrag entspricht für die Regelung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen der Heimarbeiter der Heimarbeitsgesamtvertrag.
In Zeiten schwacher Konjunktur und eines Überangebotes an Arbeitskräften ist die Lohndrift gering oder negativ.
8.2.2) Satzung
Begriff: Satzung nennt man die Ausdehnung des Geltungsbereiches eines Kollektiv-vertrages.
Zweck: Durch die Satzung sollen die vom Kollektivvertrag nicht erfaßten Arbeit-geber (die Außenseiter) gezwungen werden, ihre Arbeitnehmer zu den gleichen Lohn- und Arbeitsbedingungen zu beschäftigen wie jene Arbeitgeber, die einen Kollektivvertrag abgeschlossen haben.
8.2.3) Mindestlohntarif
Begriff: Der Mindestlohntarif ist eine Verordnung, die von einer Verwaltungs-behörde erlassen wird und die Festsetzung von Mindestentgelten bzw. Mindest-beträgen für den Ersatz von Auslagen zum Inhalt hat.
Zweck: Durch den Mindestlohntarif soll in Bereichen, in denen auf Arbeitgeberseite keine kollektivvertragsfähige Körperschaft besteht (weshalb weder ein Kollektiv-vertrag abgeschlossen noch eine Satzung erlassen werden kann), die Möglichkeit geschaffen werden, Mindestentgelte festzusetzen. Mindestlohntarife werden insbesondere für Teile des Hausbesorgerentgelts, das Entgelt der Hausgehilfen und das Entgelt von Privatlehrern erlassen.
Der Mindestlohntarif kann nur Mindestentgelte und Mindestaufwands-entschädigungen, nicht aber sonstige Arbeitsbedingungen regeln. Dem Mindestlohntarif entspricht der Heimarbeitstarif für Heimarbeiter.
8.2.4) Festsetzung von Lehrlingsentschädigungen
Begriff: Durch Verordnung einer Verwaltungsbehörde (Bundeseinigungsamt) kann für bestimmte Berufsgruppen eine Lehrlingsentschädigung festgesetzt werden.
Zweck: Für Wirtschaftszweige, in denen kein Kollektivvertrag besteht, soll den Lehr-lingen ein Mindestentgelt gesichert werden.
Verfahren: Auf Antrag einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft entscheidet das Bundeseinigungsamt.
8.2.5) Betriebsvereinbarung
Begriff: Betriebsvereinbarungen sind schriftliche Vereinbarungen zwischen dem Betriebsinhaber und dem Betriebsrat.
Inhalt: In Betriebsvereinbarungen können nicht beliebige Angelegenheiten geregelt werden, sondern nur jene, die durch ein Gesetz oder durch einen Kollektivvertrag der Betriebsvereinbarung zur Regelung übertragen sind. Angelegenheiten, welche die Betriebsvereinbarung aufgrund gesetzlicher Ermächtigung regeln kann, sind zum Beispiel:
. Festlegung der Arbeitszeit und der Arbeitspausen
. die Art und Weise der Entgeltzahlung (z.B. bargeldlose Lohnzahlung)
. betriebliche Disziplinarordnungen
. Fragen der Betriebspensionen
. vorübergehende Verkürzung oder Verlängerung der Arbeitszeit
. Leistungslohnsysteme und dergleichen
Die Festsetzung des Entgeltes ist jedoch Sache des Kollektivvertrages, nicht der Betriebsvereinbarungen (ausgenommen ganz bestimmte Entgelte, wie z.B. Jubiläumsgelder und dergleichen).
Erzwingbare Betriebsvereinbarungen nennt man jene, deren Abschluß bei einer Schlichtungsstelle erzwungen werden kann.
Nichterzwingbare ( oder fakultative) Betriebsvereinbarungen nennt man jene, die nicht erzwungen werden können, sondern nur zustande kommen, wenn sich Betriebsrat und Betriebsinhaber darauf einigen.
Ob eine Betriebsvereinbarung erzwingbar ist oder nicht, hängt davon ab, welche Angelegenheiten sie regeln will.
8.2.6) Günstigkeitsprinzip
Die verschiedenen Arten der kollektiven Rechtsgestaltung stehen in einer strengen Rangordnung zueinander. Die jeweils stärkere Norm verdrängt die schwächere.
Kollekivvertrag
Satzung
Mindestlohntarif
Betriebsvereinbarung
Arbeitsvertrag
Nur insoweit die Bestimmungen für den Arbeitnehmer günstig sind, bleiben sie bestehen, werden durch die höherrangige Norm also nicht verdrängt (Günstigkeits-prinzip).
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