Da nach einiger Zeit auch Giereck die Preise für Grundnahrungsmittel anheben wollte, gingen diesmal Arbeiter aus den Städten Ursus und Radom auf die Straße. Doch statt den Dialog mit der Bevölkerung zu suchen und die Entstehung demokratischer Strukturen in den Betrieben und in der Gesellschaft zu fördern, setzte der Staat eine Repressionswelle in Gang: Zu Hunderten wurden die streikenden Arbeiter verhaftet und in Gefängnissen systematisch misshandelt. Hausdurchsuchungen, Verhöre und Massenentlassungen waren an der Tagesordnung. Als Reaktion auf diese Politik der staatlichen Repression, entstand im September 1976 das "Komitee zur Verteidigung der Arbeiter" (KOR), das in den folgenden Jahren eine wichtige Rolle für die Entwickelung der politischen und gesellschaftlichen Situation spielen sollte. Zum ersten mal in der polnischen Nachkriegsgeschichte gab es eine Allianz von Arbeitern und Intellektuellen. Nicht nur politisch, auch wirtschaftlich war die Regierung unter Gierecks Führung zu diesem Zeitpunkt am Ende. Gierecks großer, zweifellos von Erfolg gekrönter Sprung nach vorn in der ersten Hälfte der 70er Jahre endete in einem Fiasko. Auslandsverschuldung, Inflation, Warenmangel und zunehmende Verarmung der Bevölkerung führten nicht nur zu Streiks in Lublin oder anderen Orten, sondern vor allem zu jenem Streik am 14.August 1980 auf der Danziger Leninwerft, der die weitere Geschichte Polens so bestimmen würde wie kein anderer Aufstand zuvor.
Unmittelbarer Anlass für den Streik waren erneuten Preiserhöhungen von Lebensmitteln. Doch im Gegensatz zu den Streiks in anderen Orten ging es nicht nur um die Preiserhöhungen, sondern der Streit in Danzig hatte von Beginn an politischen Charakter. Denn neben höheren Löhnen forderten die Arbeiter die Wiedereinstellung der entlassenen Streikführer aus dem Jahr 1970, sowie die Errichtung eines Denkmals für die Opfer von 1970, die Einführung des Streikrechtes, die Abschaffung der Zensur und den Zugang zu öffentlichen Medien. An der Spitze des sofort gebildeten Streikkomitees stand der Elektromonteur Lech Walesa, ein Mann, den bisher nur die Werftarbeiter als einen der Streikführer aus dem Jahre 1970 kannten. Obwohl Lech Walesa davon überzeugt war, dieser Streik sei kein politischer, sondern er solle nur das Verhältnis der Menschen zueinander verbessern, so war es genau dieser politische Charakter, der diesen Streik von allen vorherigen unterschied: Es wurde eine freie, d.h. vom Staat unabhängige Gewerkschaft gefordert. Dieser Gewerkschaft (Solidarnosc - Solidarität: die Kampfparole der Arbeiter)schlossen sich schnell fast alle Betriebe der Küstenregion und viele andere Betriebe im Landesinneren an. In 21 Punkten legten die Arbeiter ihre Forderungen nieder, die neben den bereits genannten, die Freilassung aller politischen Gefangenen und automatischen Lohnanstieg beinhalteten.
Eine Welle der Solidarität im In- und Ausland begleiteten den Streik der Danziger Werftarbeiter. Ein Streik, der nach alter polnischer Tradition ein Okkupationsstreik war, d.h. ein Streik bei dem die Arbeiter das Betriebsgeländen solange besetzten und nicht eher verließen, bis ihre Forderungen erfüllt werden. Entscheidend für Charakter und Verlauf des Streiks war die Tatsache, dass bereits von Anfang an prominente Berater aus der polnischen Intelligenz und Mitglieder "Komitees zur Verteidigung der Arbeiter" (KOR) zur Seite standen. Obwohl Parteichef Giereck die politischen Forderungen der Streikenden in einer Fernsehansprache am Abend des 18. August ablehnte, waren die Streikenden zwölf Tage später an ihrem Ziel: Nach langen und zähen Verhandelungen mit verschiedenen Regierungsdelegationen, unterschrieben Lech Walesa im Namen des Streikkomitees, und Ministerpräsident Mieczyslaw Jagielski im Namen der Regierung, die 21 Punkte des historischen "Danziger Abkommens" mit einem riesigen Kugelschreiber, den ein Papst-Portrait zierte. Allerdings mussten die Streikenden akzeptieren, dass die neuen Gewerkschaften nicht "frei", sondern "unabhängig" heißen sollten und anstatt von "Abschaffung" der Zensur, wurde sie nur "abgeschwächt". Bereits vor Verhandlungsbeginn wurde die führende Rolle der Partei und die Zugehörigkeit Polens zum sozialistischen Lager von den Streikenden anerkannt.
Wie ein Buschfeuer verbreitet sich die Demokratisierungsbestrebungen über das ganze Land. Parteichef Giereck musste am 5. September zurücktreten und überall gründeten sich neue, selbstverwaltete Organisationen. Neben der "Solidarnosc" der Arbeiter entstanden bald eine "Land-Solidarität" der Bauern und ein unabhängiger Studentenverband, sowie Kulturverbände. Binnen kurzem zählte die "Solidarnosc" rund zehn Millionen Mitglieder, fast ein Drittel der gesamten polnischen Bevölkerung.
Am 9. Februar 1981 wird General Jaruzelski neuer Ministerpräsident (ab 18. Oktober auch neuer Parteichef) und behält gleichzeitig sein bisheriges Amt als Verteidigungsminister bei.
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