Die in Abschnitt II dieser Arbeit geschilderte Einführung einer ´Disziplinar- und Strafkordnung´ konnte und sollte den Eindruck erwecken, daß im Konzentrationslager Verhaltensvorschriften für Häftlinge und Wachpersonal existierten, die Terror und Willkür seitens der SS-Mannschaften verhinderten und die Haftbedingungen in einen rechtlichen Rahmen betteten. Demnach hätten in der Theorie die Gefangenen bei richtigem Verhalten straffrei bleiben können und wären vor Übergriffen geschützt gewesen. Dies war jedoch in keinster Weise der Fall, es trat, den Aufenthalt für die Häftlinge in den Lagern verschlimmernd, das Gegenteil dessen ein. Während nach außen hin durch das Einbeziehen der Inspektion der KL ein scheinbar korrektes Strafverfahren vorgetäuscht wurde, regierte in den Lagern schlimmste Willkür. Zu den willkürlichen Bestrafungen und Mißhandlungen kam ein Recht vortäuschendes, offizielles Bestrafungssystem, so daß die Häftlinge häufig für ein Vergehen zweimal bestraft wurden. Neben die meist sofort ausgeführte Willkürstrafe seitens eines Postens oder Aufsehers trat später die nach einer Meldung verhängte, offizielle Strafe, die der Lagerkommandant ohne jegliche Untersuchung erließ oder genehmigte.
Meldungen wurden schon für geringste Vergehen geschrieben, unverhältnismäßig hart und oft willkürlich bestraft, außerdem wurden die Häftlinge, was durchaus von der SS beabsichtigt war, in hohem Maße verunsichert. Welchem Vergehen welches Strafmaß folgte, war anscheinend keinen Regeln oder gar der Strafordnung unterworfen, vielmehr war die Stimmung der bestrafenden Person oder die Häftlingskategorie ausschlaggebend.
Die Häftlinge waren ständig und überall den Schikanen ihrer Bewacher ausgesetzt, deren Brutalität, besonders in Lagern wie Auschwitz, unbeschreiblich war. Die kleinsten Vergehen oder auch nur - nach Ansicht der SS-Aufseher - falschen Verhaltensweisen wurden häufig mit dem Leben bezahlt, es gab für die Gefangenen in der Praxis keine normierten Regeln oder Formen. Durch Anordnung von Kollektivstrafen (beispielsweise Strafappelle oder Strafstehen) bei Verstößen gegen die Lagerordnung oder bei Häftlingsfluchten wurde für Vergehen einzelner oft das ganze Lager zur Verantwortung gezogen. Aufgrund von Nummernverwechselungen wurden zuweilen auch die falschen Häftlinge bestraft, doch da eine Rechtfertigung seitens des Gefangenen bedeutete, einen SS-Mann der Lüge zu bezichtigen, war eine solche ausgeschlossen.
Als Beispiel für Strafanlässe berichtet Kogon: \"Hände in den Hosentaschen bei Kälte, hochgeschlagener Kragen bei Regen und Wind, die geringfügigsten Kleidermängel [...] Verletzung der Grußpflicht, wozu auch sogenannte schlechte Haltung gerechnet wurde, Betreten des Blocks während der Arbeitszeit [...] zu langes Austreten beim Arbeitskommando [...] das Aufheben von Zigarettenstummeln [...]\" Zur Sabotage, die jedoch in dieser Form nicht (unbedingt) mit der Todesstrafe belegt war, zählte auch schon das Benutzen eines Papierstückes von einem alten Zementsack als Unterlage beim Steinetragen. Der Bettenbau in den Blocks, von der SS erfundene Diebstähle, der Appell oder die Arbeitskommandos, jede Situation diente den Wachmannschaften zu willkürlichen Maßnahmen gegen die Häftlinge. Nach Fluchtversuchen waren die Strafen gegen die Lagerbelegschaft besonders in den ersten Jahren so schrecklich, daß eine Flucht zumindest von den politischen Gefangenen Buchenwalds als \"nachteilig für die Gesamtheit\" abgelehnt wurde. Es verwundert somit auch nicht, daß Häftlinge, die einen Mitgefangenen totgeschlagen hatten, in der Regel straffrei ausgingen.
Für die Willkür der Bewacher sehr zuträgliche Orte waren auch die in Kapitel III schon beschriebenen Bunker in den Zellenbauten. Die arrestierten Gefangenen waren vom Rest des Lagers abgeschnitten und hilflos ihren Peinigern ausgeliefert. Eugen Kogon berichtet von den Untaten des SS-Hauptscharführers Sommer in den Arrestzellen des KL Buchenwalds u.a.:
\"Schon in der Nacht hörte ich deutlich ersticktes Schreien und Röcheln auf dem Gang. Am Morgen waren die Zellen alle leer. Am Boden beim Eingangsgitter und an den Wänden sah man überall frische Blutspuren, die ich abwaschen mußte. Stark verblutete Handschellen, an denen noch Fleischfetzen hingen, lagen im Spülbecken des Waschraumes, blutgetränkte Stricke hingen in den Gerätekammern [...] Aufgrund dieses Zettels ließ Sommer den nackt ausgezogenen Häftling zum Beispiel die Hoden in abwechselnd eiskaltes oder siedendes Wasser hängen und pinselte sie, wenn sich die Haut in Fetzen löste, mit Jod ein, was natürliche wahnsinnige Schmerzen hervorrief [...] Die \"einfachste\" Todesart, die Sommer für einen Häftling wählte, war die, daß er dem Todeskandidaten einen Strick um den Hals legte und ihn eigenhändig am Heizkörper oder Fensterkreuz aufhängte. Viele Häftlinge wurden aber von Sommer auch einfach mit einem Dreikant-Eisen erschlagen. Ein Fall ist bekannt, wo er an beide Schläfen des Opfers eine eiserne Klemme ansetzte und sie so lange zuschraubte, bis die Hirnschale durch den Druck zerquetscht wurde. Aus dem Zellenfenster zu schauen, brachte für jeden Insassen den sicheren Tod [...]\"
SS-Männer wie Sommer hatte jedes Lager aufzuweisen.
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