5.1 DAS GEFÄNGNIS ALS TOTALITÄRE INSTITUTION
Unter totalitären Institutionen versteht man solche, die das gesamte Leben der darin lebenden Menschen beherrschen. Außer Gefängnissen zählen dazu in mehr oder weniger starkem Ausmaß auch psychiatrische Krankenhäuser, Erziehungsheime, Kasernen, Internate und Klöster. Ihnen allen sind einige Merkmale gemeinsam:
. Autoritäres System
. Streng geregelter Tagesablauf
. Viele Schicksalsgenossen
. Institution darf nicht verlassen werden
Menschen, die in solchen Institutionen leben (müssen), sind zum Teil einem hohen psychischen Leidensdruck ausgesetzt. Das Gefängnis als Inbegriff einer solchen totalen Institution kann zahlreiche schädlichen Auswirkungen auf die Inhaftierten haben.
5.2 PROBLEME IM GEFÄNGNIS
IDENTITÄTSVERLUST
Mit dem Tag der Inhaftierung verliert der Gefangene auf einen Schlag all seine gewohnten Lebensbezüge. Mit einem Mal ist er völlig hilflos einer übermächtigen Institution ausgeliefert. Schon durch die Einkleidung in die uniforme Anstaltskleidung wird dem Gefangenen verdeutlicht, dass für ihn nun ein völlig anderes Leben beginnt und dass er sich in nichts von all den anderen \"Verbrechern\" unterscheidet, wohl aber vom Großteil der Bevölkerung außerhalb der Anstalt. Neben seiner Freiheit verliert der Gefangene eine ganze Reihe weiterer Güter, die für Menschen außerhalb der Gefängnismauern zur Selbstverständlichkeit gehören und zu einem menschenwürdigen Leben nötig sind.
VERLUST DER PRIVATSPHÄRE
Von Privatsphäre kann nicht die Rede sein, wo man auf engem Raum mit unzähligen Menschen zusammenleben muss, deren Gemeinschaft man nicht gesucht hat. Es gibt kaum eine Möglichkeit, sich vor den anderen zurückzuziehen und selbst, wenn man allein in der Zelle sitzt, kann man nie sicher sein, ob nicht im nächsten Augenblick ein Beamter die Tür öffnet.
SEXUELLER ENTZUG
Im Roman "Berlin Alexanderplatz" erlebt Franz Biberkopf diese Problematik auf folgende Weise: "Man steht am Zellenfenster und sieht durchs Gitter auf den Hof. Manchmal gehen Frauen vorbei, Besuch oder Kinder oder Hausreinigung beim Alten. Wie sie überall an den Fenstern stehn, die Sträflinge, und kucken, alle Fenster besetzt, verschlingen jedes Weib."7
Wo nur Männer zusammenleben, werden auch solche zur Homosexualität gedrängt, die von ihrer Veranlagung her heterosexuell sind. Häufig kommt es zu sexueller Gewalt.
TRENNUNG VON DEN ANGEHÖRIGEN
Strafgefangenen steht pro Monat mindestens eine Stunde Besuch durch Verwandte zu. Die Personalknappheit in vielen Gefängnissen lässt dieses Minimum oft zur Regel werden.
MANGEL AN EINER NATÜRLICHEN UMGEBUNG
Bei nur einer Stunde Hofgang pro Tag sind die Gefangenen die meiste Zeit einer eintönigen, künstlichen und krank machenden Umgebung ausgesetzt.
VERLUST DER HABE
Außer den wenigen Gegenständen, die der Gefangene in seiner Zelle besitzen darf, wird ihm aller Besitz weggenommen.
VERLUST VON SELBSTÄNDIGKEIT UND KREATIVITÄT
Im Strafvollzug ist jeder Augenblick des Alltags streng geregelt. Für freie, eigenverantwortliche Entscheidungen bleibt kein Raum.
VERLUST DER PERSÖNLICHEN SICHERHEIT
Gefangene sind Übergriffen durch Mitgefangene und Vollzugspersonal fast ungeschützt ausgesetzt.
VERLUST DES REALITÄTSSINNS
Viele Gefangenen verlieren in der Haft den Sinn für jede Realität. Oft träumen sie von einer wunderschönen Zukunft nach der Inhaftierung, ohne an ihre negativen Erfahrungen in der Vergangenheit und praktische Probleme zu denken.
HAFTKOLLER
Die psychischen Belastungen während der Haft können bei langen Haftstrafen zu seelischen Spannungen führen, die sich irgendwann gewaltsam gegenüber Mitgefangenen oder dem Anstaltspersonal entladen.
SELBSTMORD
Gerade in den ersten Tagen der Haft kann der durch die Inhaftierung ausgelöste Schock zum Selbstmord führen. Gefangene, die zum ersten Mal ins Gefängnis kommen, sind davon besonders häufig betroffen.
ERLERNEN VON KRIMINALITÄT
Im Gefängnis kann der Gefangene viel dazulernen: Ein Drogentäter kann beispielsweise lernen, wie man ein Auto knackt; ein Autodieb erfährt, wie sich mit Heroin schnelles Geld machen lässt usw.
5.3 PROBLEME BEI DER RESOZIALISIERUNG
"Er war frei. [...] Der schreckliche Augenblick war gekommen, die vier Jahre waren um. [...] Die Strafe beginnt."8
VERLUST DER ARBEIT
Nach der Inhaftierung ist es für Gefangene sehr schwierig eine neue Arbeit zu finden. Plötzlich stehen den laufenden Ausgaben keine ausreichenden Einnahmen mehr gegenüber, und der Schuldenberg beginnt unaufhaltsam zu wachsen. In einer solchen Situation verlieren Ex-Häftlinge oft den Überblick über ihre finanzielle Lage.
VERLUST DER WOHNUNG
Während der Haft können sich nur wenige Gefangene eine Wohnung oder Haus leisten. Kommen sie dann aus dem Gefängnis, steht er zunächst einmal auf der Straße.
VERLUST AN BEZIEHUNGEN
So mancher will mit einem \"Ex-Knacki\" nichts mehr zu tun haben. Überhaupt ist es schwierig Beziehungen nach draußen aufrechtzuerhalten, wenn man sich monate- oder jahrelang niemals sieht. Auch viele Ehen zerbrechen während der Inhaftierung.
5.4 HILFESTELLUNG BEI DER RESOZIALISIERUNG
"Es gab ein schönes Haus an der Stadtbahn, Grunerstraße 1, am Alex, Gefangenenfürsorge. Die sehen sich Franzen an, fragen ihn hin und her, unterschreiben: Herr Franz Biberkopf hat sich unserer Schutzaufsicht unterstellt, werden nachforschen, ob Sie arbeiten, und Sie haben sich jeden Monat vorzustellen. Gemacht, Punkt, alles, alles in Butter."9
Haftentlassung ist entgegen der landläufigen Meinung eine akute Krisensituation. Die Hilfe muss also in erster Linie konkret und vor allem an der materiellen Grundsicherung orientiert sein. Neben dieser Krisenintervention wird auch versucht, Angebote zur Strukturierung des Alltags zu machen. Viele Sträflinge haben in der Haftzeit verlernt, selbstständig zu handeln.
"Die Wiedergewinnung einer Sozialkompetenz in der Bewältigung der Anforderungen und Konflikte des Alltags stellt die Grundlage für ein rückfallfreies Leben dar."10
BEWÄHRUNGSHILFE
Die Entscheidung, ob ein Bewährungshelfer bestellt wird, trifft das Gericht. Die Aufsicht in der Bewährungszeit obliegt dem Richter.
Bewährungshelfer arbeiten mit der Grundeinstellung, dass Straffälligkeit in vielen Fällen eine der möglichen Reaktionen auf soziale oder persönliche Problemlagen ist.
Ziel muss es daher sein, die Stärken des Ex-Häftlings zu fördern und gemeinsam mit ihm auf die Beseitigung oder aber auf einen anderen Umgang mit den Problembereichen hinzuarbeiten.
Die Motivation des Freigelassenen zur aktiven Mitarbeit zu beleben, ist daher ein wichtiger Anfang.
Der Ex-Häftling wird dabei grundsätzlich als eigenständig handelnde und Verantwortung tragende Person verstanden - trotz aller Defizite. Die Stärkung von Eigeninitiative und Selbständigkeit steht im Vordergrund.
Sozialarbeit in der Haftentlassenenhilfe stellt sich nicht nur einzelnen Problemlagen des Klienten, sondern versucht die Gesamtheit der Probleme aber auch der Ressourcen in die Betreuung einzubeziehen.
Bewährungshelfer können nur in seltenen Fällen unmittelbar Arbeit, Geld oder eine Wohnung beschaffen. Sie können aber den Kontakt zu Einrichtungen vermitteln, die die Reintegration in den Arbeits- bzw. Wohnungsmarkt zum Ziel haben und sich auch um die Finanzierung solcher Maßnahmen kümmern. Außerdem geben Sie Hilfestellung bei der Wohnungssuche und bei Bewerbungen.
Außerdem dürfen sie Außenstehenden (z.B. Behörden, Arbeitgebern, Gläubigern) keine Informationen aus dem persönlichen Lebensbereich Ihrer Klienten ohne deren Zustimmung preisgeben.
Tagesstrukturierende Angebote wie z.B. Werkstätten und Freizeitaktivitäten sollen soziales Lernen ermöglichen. Entscheidend dafür ist eine ausgeprägte Teamarbeit und eine intensive Kommunikation der Sozialarbeiter einschließlich der freien Mitarbeiter.
|