Die Freiburger Thesen, die unter mageblicher Beteiligung des Rechtsphilosophen Werner Maihofer formuliert worden sind und die auf dem Freiburger Parteitag `71 verabschiedet wurden, gehren zu den meistbeachtesten politischen Programmen in der Bundesrepublik berhaupt. Man mag darin auch den zentralen schriftlichen Ausdruck des parteipolitischen Linksliberalismus in Deutschland sehen, wird in den Thesen doch die liberale Theorie mit einer umfassenden sozialen Verantwortung des Staates verbunden.
Der Liberalismus wird als Trger und Erbe der demokratischen Revolutionen in Amerika und Frankreich im 18. Jahrhundert angesehen, welche von den Gedanken der Freiheit und Wrde des Menschen ausgingen.(S.5) In den \"tiefgreifenden und nachhaltigen Bewutseinsvernderungen\", die sich in der weltweiten Jugendrevolte ankndigt, wird der Anfang einer \"zweiten Phase einer von der brgerlichen Revolution ausgehenden Reformbewegung\" gesehen, die auf eine Demokratisierung der Gesellschaft abzielt.(S.6) Der Liberalismus erstrebt \"die Demokratisierung der Gesellschaft durch grtmgliche und gleichberechtigte Teilhabe aller an der durch Arbeitsteilung ermglichten Befriedigung der individuellen Bedrfnisse und Entfaltung der persnlichen Fhigkeiten.\"(S.11) Als Freiheit versteht man in Anlehnung an Mill und Naumann \"nicht lnger die Freiheit eines aus der Gesellschaft herausgedachten\", sondern die eines \"autonomen und sozialen Individuums, wie es als immer zugleich einzelhaftes und gesellschaftliches Wesen in Staat und Gesellschaft wirklich lebt.\"(S.6) Der Leitsatz liberaler Gesellschaftspolitik wird wieder in Rckgriff auf Naumann formuliert: \"Industrieuntertanen mssen in Industriebrger verwandelt werden!\"(S.12)
Der Kapitalismus hat zwar zu groen wirtschaftlichen Erfolgen gefhrt, gehrt aber reformiert, da er ob der Ballung wirtschaftlicher Macht \"auch zu gesellschaftlicher Ungerechtigkeit\" gefhrt hat.(Siehe S.13) Die Konzentration des Zuwachses an Produktivkapital aus Gewinnen in den Hnden weniger Kapitalbesitzer ist zudem mit den liberalen Forderungen nach Gleichheit der Lebenschancen und optimalen Bedingungen fr die persnliche Selbstentfaltung nicht vereinbar.(Siehe S.33) Die Frage nach dem gerechten Anteil an der Ertragssteigerung der Wirtschaft und am Vermgenszuwachs der Gesellschaft wird - da \"Besitz und Geld der Schlssel fr fast alle Bettigung der Freiheit ist\" - als Gerechtigkeits- und als \"die Freiheitsfrage schlechthin\" verstanden(S.15): \"Erst durch breite Vermgensbildung wird freie Eigentumsordnung menschenwrdig und glaubhaft.\"(S.19)
Auf der Basis dieser theoretischen Grundlegung folgen eine Reihe konkreter Umsetzungsvorschlge:
So sollen Gemeinden, die eine starke Stellung auf dem Bodenmarkt einzunehmen haben, Grundstcke nur unter dem Gesichtspunkt breiter Vermgensbildung privatisieren oder privater Nutzung zufhren(S.25) und Veruerungsgewinne beim Verkauf von Grundbesitz der Einkommenssteuer zum halben Steuersatz unterliegen(S.27). (Die jetzige Situation, in der es sich steuerlich lohnt, Kapital in Grundstcken anzulegen verschrft den Nachfragedruck und hat erhebliche Preissteigerungen zur Folge. S.28) Auf der Gegenseite sah das Programm vor, mittels Verbesserung des derzeitigen Frderungssystems und der Einfhrung von Mietkaufsystemen zur Erleichterung des Erwerbs von Wohnungseigentum und \"eigentumshnlichen Wohnrechten\" beizutragen.(siehe S.30f.)
Von einer bestimmten Wertschpfung an (und zwar der Hhe, da es nur grere Unternehmen betrifft) sollen ffentliche und private Unternehmen verpflichtet werden, Beteiligungsrechte an ihrem Vermgenszuwachs einzurumen.(S.33) Bei Kapitalgesellschaften bestehen die Beteiligungsrechte aus stimmberechtigten Kapitalanleihen, denn nur so \"kann eine wirksame nderung der Verteilung des Produktivvermgens erreicht werden.\"(S.35) Die Beteiligungsberechtigungen tragen zur Abschwchung der Kapitalakkumulation bei und ein Wachstum wirkt sich sozial gerecht auf die ganze Bevlkerung aus.(Siehe S.38) Darber hinaus erwerben die Zertifikatsbesitzer Teilhaberrechte, die Vertretungen fr sie wahrnehmen.(Vgl. S.39)
Die Erbschaftssteuer soll durch eine Nachlaabgabe ersetzt werden, was sich dergestalt auswirkt, das eine Akkumulation grter Vermgen verhindert wird. Fr alle ber 6 Millionen DM hinaus gehenden Vermgensnachlsse wird ein Steuersatz von 75% erhoben.(Vgl. S.43ff., konkrete Berechnungen: S.81ff.)
Da \"Selbstbestimmung der Arbeitnehmer Mitbestimmung bei der Fremdbestimmung durch die Arbeitgeber (verlangt)\"(S.57), ist ein Betrieb und Unternehmen entsprechend demokratisch zu organisieren, d.h. die Interessen von Arbeitnehmern und leitenden Angestellten \"angemessen und verhltnismig\" zu bercksichtigen.(Siehe S.59) Der Interessensausgleich zwischen dem Faktor Kapital und den Unternehmensangehrigen (Faktoren Disposition und Arbeit) ist zu gewhrleisten(S.61), letztere mssen \"in der Lage sein, ihre Interessen geltend zu machen, ohne berstimmt werden zu knnen.\"(S.62)
Im letzten Abschnitt, der Umweltpolitik, wird zuvorderst festgehalten, da \"Umweltschutz Vorrang vor Gewinnstreben und persnlichen Nutzen (hat).\"(S.72) Die Umweltpolitik sollte sich als Schrittmacher fr ein internationales Umweltrecht verstehen, der \"Hinweis auf schlechteren Umweltschutz in Nachbarlndern darf kein Grund fr die Verzgerung von eigenen Schutzmanahmen sein.\"(S.74f.) Die Kosten der Umweltbelastung sollen nach dem Verursacherprinzip aufgebracht werden.(S.75) \"Keine Entscheidung der ffentlichen Hand oder Wirtschaft darf in Zukunft ohne Bercksichtigung kologischer Gesichtspunkte getroffen werden.\"(S.77)
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