Jugendkultur ist im ständigen Strom, dabei hochgradig fraktioniert und immer mehr Fragen als Antworten aufwerfend. Ständig drängt Jugendkultur nach innen, will entweder über die Besetzung strategischer Stellen oder über Masse Teil der herrschenden Kultur werden. Das Verlassen des Undergroundstatus ist Verrat an der Sache Außenperspektive, nicht unbedingt aber am sich dort konsolidierten ästhetischen System. Die New Yorker Band Sonic Youth hat während eines Zeitraumes von ungefähr zehn Jahren den Schritt vom extremen Außenseiterstatus des Avantgardemusikers zum Führer des Marktsegmentes Alternative-Rock vollzogen und blieb dabei halbwegs integer. Thomas Groß befand zur zweiten, für das \"Industrie\"-Label Geffen-Rec. produzierten Sonic Youth LP \"Dirty\" in der taz: \"(Dirty/ Anm. d.V.) hat die letzten Jahrzehnte - vor allem Punk-Rock - integriert, ohne sie als Errungenschaft auszustellen, aber auch ohne bloß damit zu spielen. \"Es ist Wahljahr in den USA, und wir haben niemanden, für den wir unsere Stimme abgeben könnten. Nur dagegen.\", schreibt Thurston Moore in einem Newsletter, (...). Das kleinere Übel als ewige Wiederkehr des Immergleichen: eine Grußadresse Moores an die Anti-Golfkriegs, Anti-Sozialabbau und Anti-Rassismus-Demonstranten vor dem Weißen Haus, die davon ein Lied zu singen wissen. Witzigerweise sind Sonic Youth heute in etwa da angelangt, wo die Fugs und andere Ende der Sechziger standen, und auch wenn sich die Geschichte nie wirklich wiederholt: aus diesem Stoff ist einmal die APO entstanden.\" [18]
Ihre Musik ist weiterhin ein offenes System, in dem Kreativität und Bezüge auf undergroundmäßige Coolness Platz haben. Sonic Youth sind übergelaufen und doch nicht korrumpiert, zumindest nicht in dem Maße wie man es sonst kannte. Sie haben es geschafft, zu dem Preis angenommen zu werden, den sie diktiert haben. Thurston Moore, Sänger und Gitarrist der Band fädelte für seine Plattenfirma Geffen-Records als Trend Scout den Vertrag mit Nirvana ein.[19] Unter seiner beraterischen Tätigkeit konnten all jene einen Platz an der Sonne finden, die in den späten 80ern, ob sie es wollten oder nicht, noch strictly underground waren. Mit Sonic Youth kam der musikalische Arm von Slackertum und Generation X ans Definitionsruder.
Alle sind zufrieden: Geffen-Records hat eine neue Produktlinie, führte damit eine als Grunge bekannte kulturelle Revolution an, und all die von Sonic Youth zur Firma gelotsten Bands mußten sich nicht über Gebühr verbiegen, um Akzeptanz zu finden. Mit dieser Übernahme steht eine weitergehende kulturelle Umwertung der Werte ins Haus. Die Hauptkultur, ständig auf der Suche nach neuen Produktlinien, Managementkonzepten, einem neuen Käufertypus, Meinungsführern ist auf die Zuarbeit der Innovativen angewiesen. Das in den USA erscheinende Managementmagazin fast company schmiedet aus dieser immerwährenden Tendenz zum Überlaufen eine Blattkonzeption. Unter der Überschrift \"revolution incorporated\" schreibt Tom Frank: \"In der Regel redet die politische Linke in enthusiastischer Weise von Revolution\", aber heute, da sich die Linke dem völligen Aussterben nähert, scheint diese Sprache zum Gebiet der Geschäftsideologien geworden zu sein. \"(Wissens)-Arbeiter aller Länder vereinigt euch!\" (...)Man begrüßt die Kräfte, deren \"Annäherung fünfzig Jahre anerkannter Weisheiten über die Grundlage von Arbeit und Wettbewerb umstürzt\".(...) Im Porträt eines Computerwissenschaftlers heißt es, er sei ein \"Unruhestifter, ein agent provocateur, ein Produkt der Sechziger, der nie sein aktivistisches Feuer oder seine demokratischen Werte verloren hat.\" [20]
Das Außen ist am Ziel, bekommt Definitionsmacht, kann als eingeführtes musikalisches Genre den mythologischen Identitätsstifter für Generationen machen. Damit gerät immer auch neue Philosophie an die Oberfläche und mit ihr Zeitgeist. Die Stürme ideologischer Verwerfungen heulen auf [21]. Zeitgeist ermöglicht Restauration wie ohne-mich-Deutsche, die Rede von Revolution wie den Radikalenerlaß, 600 000 Raver in Berlin, die unter dem Motto \"we are one nation\" unitiy und love feiern, wie die Streichung des Artikels 16.
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