Vor Einführung der Pflegeversicherung galt im bundesdeutschen Sozialrecht die Trennung zwischen Behandlungsbedürftigkeit und Pflegebedürftigkeit. Diese Trennung basierte auf dem Konzept der Altersschwäche: Danach ist Pflegebedürftigkeit im Alter eine Folge der "natürlichen Abnutzung des Körpers" und deshalb nichts Unnatürliches, sondern eine fast zwangsläufige Folge eines langen Lebens.
Als Konsequenz wurde in der Vergangenheit Aufwendungen, die aus Pflegebedürftigkeit resultieren, durch das alte Sozialversicherungssystem kaum abgedeckt: Die "... Gesetzliche Krankenversicherung [hat] Leistungen im Grundsatz lediglich bei ´behandelbarer´ Krankheit, aber nicht bei ´unbehandelbarer´ Pflegebedürftigkeit zu erbringen". Pflegefälle waren nicht behandlungsfähig, also fielen ihre Leistungen nicht in den Zuständigkeitsbereich der Krankenkassen.
Im Gegensatz dazu stehen die Ergebnisse der geriatrischen Forschung: "Pflege¬bedürftigkeit ist ... aufs engste mit Krankheit, chronischen Erkrankungen und Multi¬morbidität [...] verbunden." Dies läßt sich auch empirisch untermauern: Alte Menschen mit Schlaganfällen stellen vor dementiell Erkrankten und Krebskranken im fortgeschrittenen Stadium den höchsten Anteil der stationär Pflegebedürftigen.
Das bedeutet: Nach dem alten Konzept der Altersschwäche nimmt das Risiko der Pflegebedürftigkeit zwangsläufig mit steigendem Alter zu; das ist weder etwas Ungewöhnliches, noch etwas grundsätzlich Behandlungsbedürftiges, sondern etwas Pflegebedürftiges. Da die Krankenkasse die Leistungen für Pflegefälle nicht bezahlte, war das allgemeine Lebensrisiko Pflegebedürftigkeit im alten Sozialversicherungssystem nur ungenügend abgedeckt.
Die Empirie und Ergebnisse der geriatrischen Forschung besagen dagegen, daß Pflegebedürftigkeit aus Krankheit resultiert. Die Lebenssituation Pflegebedürftiger kann und muß durch Pflegemaßnahmen verbessert werden. Pflegebedürftigkeit wird also als grundsätzlich rehabilitations- und linderungsfähig betrachtet und es ist nicht zu begründen, warum Pflegeleistungen privat oder von der Sozialhilfe finanziert werden müssen.
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