Das Medium Usenet News kann durch einen \"echten\", also nicht unter der Kontrolle eines Unternehmens befindlichen Dialog neue Möglichkeiten der kollektiven Direktwerbung, aber auch der direkten Verkaufsförderung und der direkten Öffentlichkeitsarbeit eröffnen. Dabei beinhaltet es viele Eigenschaften, die für die Werbenutzung hinderlich sind:
- Ihm fehlt die grafisch ansprechende Gestaltung des WWW.
- Usenet News ist ein polydirektionaler Dienst. Werbung und PR funktionieren aber zumeist monologisch (Anzeigen und Spots in den Massenmedien) oder nur begrenzt dialogisch (Infotelefone, Fragebögen). Ein Unternehmen kann die Kommunikation in Usenet Newsgruppen nicht kontrollieren, sondern ist lediglich ein Sender unter vielen.
- In vielen Usenet Newsgruppen ist eine antikommerzielle Grundhaltung vorhanden. Der bekannteste Beleg dafür wurde im April 1994 erbracht, als die US-amerikanische Anwalts¬kanzlei Canter&Siegel Werbebotschaften an 6.000 Newsgruppen verschickte und von empörten Anwendern so viele Beschwerde-E-Mails (im Internetjargon \"Flames\" genannt) bekam, daß ihr Zugangs-Provider vom Netz abgetrennt werden mußte .
- Die Einrichtung einer Newsgruppe ist reglementiert und dementsprechend kompliziert (vergleiche Abschnitt 2.2.2). Deshalb ist es für ein Unternehmen auch kaum praktikabel, eine eigene Newsgroup zu errichten. Die Nutzung dieses Mediums bleibt also vorrangig auf Unternehmen beschränkt, deren Produkte direkt oder indirekt in bereits vorhandenen Newsgruppen behandelt werden.
Aufgrund dieser Eigenschaften des Usenet raten die Autoren von Internetratgebern Unter¬nehmen zu Einschränkungen der Werbung im Usenet:
- So rät Paul Alpar, Werbebotschaften lediglich in Newsgruppen zu veröffentlichen, die mit \"biz.\" (für \"Business\") gekennzeichnet sind, also kommerzielle Aktivitäten erlauben, diese auch als Werbung zu deklarieren und dosiert zu versenden .
- Mary J. Cronin zufolge ist es unbedingt nötig, die Internetkultur zu respektieren und kommerzielle Beiträge auf die Newsgruppen zu fokussieren, die daran ein spezielles Inter¬esse haben könnten .
Warum nutzen einige Unternehmen, vor allem in den USA, das Usenet trotz dieser Einschränkungen? Die Antwort ist denkbar einfach: Weil die ungefilterte Kommunikation mit besonders interessierten Kunden zahlreiche Chancen für sie bietet, die nicht nur die Kommunikations-, sondern auch die Produktpolitik (vergleiche Abschnitt 3.5.1.1) und die Marketingforschung betreffen (vergleiche Abschnitt 3.7.1).
\"Eine Firmenrepräsentation außerhalb der abgeschirmten Anzeigenwelt des WWW in einer wirklichen Diskussion mit den Kunden und der Kunden untereinander ist sicherlich nicht leicht zu kalkulieren, aber wenn sie gelingt, wird sie sicher positive Rückwirkungen auf die Struktur der Firma haben.\"
Ein fast klassisches Beispiel, das sowohl Risiken als Chancen dieser Kommunikation aufzeigt, ist die Affäre um den Pentium-Chip der Firma Intel : In einer Newsgruppe wurde ein Divisionsfehler des Computerchips zuerst bekannt und durch den vereinten Druck der Verbraucher in dieser Gruppe wurde Intel zu einer Umtauschaktion bewegt. Die Firma hatte in der Diskussion versucht, die Nutzer zu beschwichtigen, da der Fehler nur bei einer selten benötigten Rechenanwendung auftrete. Diese Taktik hätte einzelnen isolierten Anwendern gegenüber Erfolg haben können, was jedoch im Usenet nicht der Fall war, da die Nutzer sich untereinander austauschen konnten. Darin liegt nun das Risiko des Usenet für kommerzielle Anwendungen. Kristian Köhntopp beschreibt dies folgendermaßen:
\"Firmen haben ein Interesse daran, mit ihren Kunden zu reden, und daß auch die Kunden mit ihnen reden können. Aber kaum eine Firma hat Interesse daran, daß die Kunden ein Medium haben, untereinander über die Firma zu reden. Aber genau das ist in den Newsgroups oder Mailinglisten der Fall. Hier bildet sich eine Öffentlichkeit über eine Firma und deren Produkte, die sich überregional ausdehnen [sic], von der Firma aber nicht direkt kontrolliert werden kann. [...] Der Umgang mit solchen polydirektionalen Medien ist für jemanden, der hier bestimmte Interessen verfolgt, sehr viel schwieriger als in einer stärker kontrollierten Umgebung.\"
Worin liegen im gegebenen Beispiel für die Firma Intel die positiven Folgen der Affäre? Man kann davon ausgehen, daß es sich bei den Teilnehmern der Usenet-Diskussion um besonders interessierte Intel-Kunden handelt, da diese viel Zeit in den Dialog (oder besser: Polylog) mit der Firma investieren. Also hat Intel mit dieser Newsgruppe ein fast kostenlo¬ses Medium gefunden, das Meinungen, Wünsche und Interessen der Kunden einholt. Eine solche Feedback-Aktion durch ein Marktforschungsinstitut durchführen zu lassen, wäre erheblich teurer und eine einmalige Aktion, während die Diskussion in einer Newsgruppe ein kontinuierlicher Vorgang ist. Aus der Kritik an dem bereits auf dem Markt befindlichen Produkt können Verbesserungen nach den Wünschen der Kunden für Nachfolgeprodukte beschlossen werden, was diese faktisch zu Mitentwicklern macht (vergleiche die Abschnitte 3.3.3, 3.5.1.1 und 3.7). Die direkte Kommunikation ist also nicht nur Werbung, sondern dient dem Unternehmen auch als Instrument der Produktpolitik und der Marktforschung. Weiterhin kann Usenet auch für direkte Public Relations-Aktionen genutzt werden:
\"Innerhalb kürzester Zeit wird es möglich sein, weltweit eine durchdachte und werbeträchtige PR-Aktion durchzuführen. Das Medium Usenet News ist hierbei besonders hervorzuheben. In wenigen Tagen erfahren viele Interessenten von Aktionen und Veranstaltungen.\"
Newsgruppen sind meist nicht firmen-, sondern themenzentriert. Sie sind keine geschlosse¬nen Bereiche, in denen lediglich Verbraucher mit einem bestimmten Unternehmen diskutie¬ren. Das führt dazu, daß oft mehrere verschiedene Unternehmen in einer Newsgruppe mit den Nutzern kommunizieren. Da sich die Diskussionsteilnehmer nicht als Unternehmensre¬präsentanten zu erkennen geben müssen, kam es bereits zu sogenannten \"Pseudo-Testimo¬nials\", die mitunter sogar so weit gehen, daß eine Firma im Schutz der Anon- oder Pseudonymität über das Ziel der Werbung hinausschießt und negative Gerüchte über die Konkurrenz verbreitet .
Diese Gefahr besteht bei der Einrichtung von Mailinglisten durch ein Unternehmen in weit geringerem Maße. Außerdem ist dies erheblich einfacher zu bewerkstelligen als eine eigene Usenet Newsgroup ins Leben zu rufen. Deshalb bieten auch zahlreiche Unternehmen diese Kommunikationsform bereits an, was vor allem den Vorteil einer vom Initiator beliebig fokussierbaren Themenvorgabe hat . Allerdings ist es für firmenzentrierte Mailinglisten kaum möglich, ähnlich hohe Nutzerzahlen wie etablierte themenzentrierte Newsgruppen zu erreichen, die neben den aktiv beitragenden Nutzern auch eine unbekannte Anzahl \"stummer\" Leser (sogenannter \"Lurkers\") haben.
Bisher ist noch offen, ob die Wirtschaft ihre Kommunikationspolitik den Möglichkeiten des Internet anpassen wird, oder ob sie das Medium passend zu ihren bisherigen Methoden umgestalten wird bzw. will. Von Seiten der Konsumenten scheint allerdings die Bereitschaft zum Dialog zu bestehen. Das belegt - neben der Bildung von Newsgroups zu bestimmten Produktgruppen, die ja zum Großteil ohne Zutun der Firmen ins Leben gerufen wurden - auch die hohe Bereitschaft der Nutzer zum Dialog (vergleiche Abschnitt 3.2.1).
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