Die Situation für die Etablierung des digitalen Fernsehens gestaltet sich in Deutschland schwierig. Zum einen besitzen die Öffentlich-Rechtlichen in Deutschland, nicht zuletzt aufgrund des föderalen Aufbaus und ihrer vom BVerfG bescheinigten Bestands- und Entwicklungsgarantie, eine sehr starke Stellung. Die Qualität dieser Programme gilt im europäischen Maßstab gesehen als gut. Mit Phönix und dem Kinderkanal sind sie überdies an der "Verspartung" von Programmen beteiligt. Zu den Öffentlich-rechtlichen Sendern gesellen sich 30 private frei - das heißt ohne Entgelt - zu empfangene Programme, von denen 28 bislang rote Zahlen schreiben . In Großbritannien gibt es hingegen sieben, in Frankreich acht frei zu empfangene Programme. 12400 Spielfilmen im Free-TV stehen 2000 (GB) bzw. 1200 (F) gegenüber (siehe MedienDialog, 6/98: 2). Infrastrukturell wurden die Voraussetzungen für ein breites und freies Angebot durch die expansive Verkabelungspolitik der konservativ-liberalen Regierung in den 80er Jahren gelegt. In Deutschland gibt es mit anderen Worten ein vergleichsweise reichhaltiges, qualitativ hochwertiges Programm, das frei zu empfangen ist: "Ein ähnliches Multikanal-Angebot, wie es deutsche Haushalte für ihre Rundfunk- und Kabelgebühren empfangen, gibt es auf anderen europäischen Märkten nur gegen gesonderte Bezahlung, als Pay-TV." (Kleinsteuber/Rosenbach, 1998: 8)
Damit fehlt eine der Voraussetzungen für entgeltpflichtige neue Programme und Programmbouquets, die in anderen europäischen Ländern das digitale Fernsehen mit auf den Weg bringen . In Deutschland ist der Wunsch nach mehr Programmen, für die ein zusätzlicher monatlicher Betrag zu entrichten sowie ein Dekoder zu mieten oder zu kaufen ist, nur rudimentär ausgeprägt. Auf den deutschen Fernsehmarkt läßt sich das Gesetz vom abnehmenden Grenznutzen aus der Volkswirtschaft in seiner praktischen Erscheinung studieren. Zu schlußfolgern ist, daß der für den wirtschaftlichen Erfolg notwendige zusätzliche Nutzen für den potentiellen Zuschauer auf der Angebotsseite mit zwei (ggf. parallel angewendeten) Strategien zu erreichen ist:
. Das analoge Free-TV Angebot wird entsprechend verknappt (eine entsprechende Neuaufteilung zwischen Pay- und Free-TV erscheint aufgrund der im wesentlichen gleichen Veranstaltergruppierungen zumindest realistisch).
. Das Angebot im Pay-TV Bereich selbst wird mit exklusiven sowie nachfrageintensiven Programmteilen versehen .
Beide Strategien sind jedoch lediglich von Akteuren zu verfolgen, die bereits eine herausragende Stellung als Programmveranstalter und Besitzer von Exklusivrechten innehaben.
Das heißt, daß insbesondere in Deutschland, wo die Grenze, ab der zusätzlicher Nutzen anfängt, sehr hoch liegt, eine punktuelle Zusammenarbeit von Konkurrenten naheliegt, um die hohen Investitionen vor allem in Programmrechte, aber auch in die neu zuschaffende Infrastruktur (Vertrieb von Dekoder u.a.m.) zu bewerkstelligen.
Die deutsche Situation ist darüber hinaus gekennzeichnet durch die dominierende Rolle eines Akteurs insbesondere über die drahtlose Übertragung von Signalen und jene über Kabel. So verfügt die Telekom auf der sog. Netzebene 3 (umfaßt die Leitungen von den Kabelkopfstationen bis zur Grundstücksgrenze) mit über 16,5 Mio. Haushalte. Der Programmempfang der Haushalte über Kabel kommt in Deutschland mit einem Anteil von 53,7% weit vor terrestrischer (18,7%) oder satellitengestützter (27,6%) Übertragungsmethode die größte Bedeutung zu (Stand 5/97; ALM, 1997: 271).
"Weltweit gibt es kein Beispiel einer fortgeschrittenen Industriegesellschaft, in der ein einzel¬nes Unternehmen einen so großen Teil der Infrastruktur für die Verbreitung der elektronischen Medien - in der digitalen Welt: für die Datenübertragung an Privathaushalte mit hohen Daten¬raten - kontrolliert." (Hege, in MedienDialog 4/97: 8f.) Diese marktbeherrschende Position der Telekom macht sie in jeder Digital-Verhandlung zu einem wichtigen Akteur. Da die mei¬sten Haushalte an das Kabelnetz angeschlossen sind, kommt um seiner Marktdurchdringungs¬chancen willen an der Telekom als Partner kaum ein Veranstalter vorbei. Mit der anfänglichen Weigerung, die digitalen Pilotprojekte Premiere und DF1 in das digitale Kabelnetz einzuspeisen bewies das Unternehmen, daß es auch gewillt es ist, diese Macht in seinem Sinne einzusetzen . Mit dieser Alleinstellung kommt der Telekom bei der Konzeption für die Verbreitung digitaler Programme fern jeder medienpolitischen Entscheidung eine zentrale Rolle zu.
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