Bei dem sogenannten Haschischurteil des Bundesverfassungsgerichts ging es um die Verfassungsbeschwerde des Landgerichts Lübeck und anderer Gerichte, die sich der Auffassung von Richter Neskovic anschlossen, wobei geklärt werden sollte, ob ein Verbot von Cannabis verfassungswidrig sei. Als Gründe für die Beschwerde nannten alle Gerichte die Tatsache, das Alkohol erlaubt sei, während das ungefährlichere Cannabis verboten ist, wobei sie einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz sahen. Gleichzeitig sahen sie die Aufgabe des Staates, die Gesundheit des Bürgers zu schützen, darin verfehlt, daß der Staat den Bürger zwinge, das für ihn schädlichere Rauschmittel zu konsumieren, während das Unschädlichere verboten sei. Die Beschwerdeführer wollten hier ein \"Recht auf Rausch\" durchsetzen, das dem Einzelnen die Wahl läßt, welches der beiden Rauschmittel er verwende. Ebenso hielten es die Gerichte nicht für verhältnismäßig, den Besitz von Cannabisprodukten zu bestrafen. Am 9.
März 1994 kam der zweite Senat des BVG unter den Richtern Mahrenholz, Böckenförde, Klein, Graßhof, Kruis, Kirchhof, Winter und Sommer zu seinem Urteil. Im allgemeinen wurden hierbei die Verfassungsbeschwerden abgelehnt. Ein \"Recht auf Rausch\" existiert nach Auffassung der Richter nicht und \"für den Umgang mit Drogen gelten die Schranken des Art. 2 Abs. 1 GG\" (Das Haschisch Urteil, S.5).
Auf die Frage der Verhältnismäßigkeit eines Cannabisverbots antworteten die Richter, daß dem Gesetzgeber ein Beurteilungsspielraum zustehe, welcher vom BVG nur in begrenztem Umfang überprüft werden könne ( vgl. Das Haschisch Urteil, S.5). Der Forderung nach Straffreiheit für den Besitz geringer Mengen Cannabis stimmte das BVG jedoch zu. Es wurde entschieden, daß \"die Strafverfolgungsorgane nach dem Übermaßverbot von der Verfolgung der in §31a BtMG bezeichneten Straftaten grundsätzlich abzusehen haben\"(Das Haschisch Urteil S.6), sofern es sich um eine geringe Menge zum gelegentlichen Eigenbedarf handelt und die strafbare Handlung nicht mit einer Fremdgefährdung verbunden ist.
Gleichzeitig wurden die Bundesländer angewiesen eine einheitliche Grenze für die geringe Menge zu schaffen, was allerdings bis heute nicht geschehen ist. Konkret bedeutet dieses Urteil für den Cannabiskonsumenten, daß die nach §29 BtMG mit Strafe bedrohten Taten zwar nach wie vor strafbar sind, das Verfahren jedoch vom Staatsanwalt oder Richter in der Regel eingestellt werden muß, wenn die Kriterien geringe Menge, Eigenbedarf und ohne Fremdgefährdung erfüllt sind. Vor dem Urteilsspruch lag es grundsätzlich im Ermessen des Staatsanwaltes, ob er das Verfahren einstellt oder nicht. So konnten bis zum 9.März 1994 auch Konsumenten wegen Kleinstmengen von 0,5 g Haschisch mit Geld- oder gar Freiheitsstrafe belangt werden, was jetzt laut BVG nicht mehr möglich ist. Als Folge des Urteils stieg in Deutschland der Cannabiskonsum sprunghaft an, weil sich viele Konsumenten sicher fühlten und Jugendliche neugierig wurden.
Nach einer Wickert- Umfrage vom 5.5.94 sind jedoch 77 Prozent aller Deutschen gegen die Straffreiheit von Haschisch und Marihuana (vgl. Das Haschisch Urteil S. 124), was nicht zuletzt auf die reißerischen Medienberichte zu dem BVG Urteil zurückzuführen ist. Auch in der Strafverfolgung verursachte das Urteil Probleme.
Konsumenten fühlten sich sicher, und selbst Polizisten glaubten, daß geringe Mengen nicht mehr illegal seien (vgl. Urteil erschwert Polizeiarbeit, Die Welt 12.11.96). Dabei hat sich für die zuständigen Beamten durch das Urteil nichts verändert. Nur die Staatsanwälte wurden angewiesen, das Verfahren bei Vorliegen der Kriterien geringe Menge, keine Fremdgefährdung und Eigenbedarf, einzustellen.
Auch die Formulierung \"geringe Menge\" führte zu Mißverständnissen, da einige Konsumenten der Meinung waren, Mengen unterhalb der \"nicht geringen Menge\"(mehr als 80-120 g Cannabis) sei automatisch eine geringe Menge. Zwischen der geringen und der nicht geringen Menge liegt jedoch noch die \"normale Menge\", die nach §29 BtMG mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft wird. Die nicht geringe Menge wird jedoch nach §29a, §30 und §30a mit Freiheitsstrafe nicht unter einem bzw. zwei, in besonders schweren Fällen sogar 5 Jahren bestraft.
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