"Obwohl es einen sozialen Mittelstand gibt, der die Grundsätze der persönlichen Freiheit, der Rechtsordnung und einer demokratischen Verwaltung nicht nur sehr wohl verstehen könnte, sondern sie praktisch auch brauchte, und der auch bereits die meisten Anhänger der Demokratischen Bewegung stellt, ist die große Masse so durchschnittlich, (...) verbeamtet und (...) passiv, dass ein Erfolg der Demokratischen Bewegung, die sich auf diese soziale Schicht stützt, äußerst problematisch erscheint."
Der Begriff "Demokratische Bewegung" scheint eine Bezeichnung Amalriks zu sein - in der Literatur taucht er nicht auf. Gemeint ist die innersowjetische Opposition der 60er und 70er Jahre. Ihre Ursprünge lagen in einer Protestbewegung von Künstlern gegen die staatlichen Repressionen und Vorgaben der poststalininistischen Ära unter Führern wie Chruschtschow und später Breschnew. Im Jahr 1968 politisierten ihre Anhänger die Ziele der Bewegung. Politischer Hintergrund waren die Prozesse gegen Sinjawskij und Daniel, die die Bevölkerung einschüchtern sollten, jedoch das Gegenteil bewirkten. "Zum erstenmal in der sowjetischen Geschichte kam es zu einer Welle von Protestbriefen, die (...) ganze Gruppen unterzeichneten. (...) Die innersowjetische Opposition war zum ersten Mal in die Öffentlichkeit getreten". In der Folge schlossen sich der Bewegung "Vertreter der technischen Intelligenz" , Naturwissenschaftler und liberale Intellektuelle an, die jedoch teilweise sehr verschiedene Ansichten hatten. So gab es Vertreter liberal-demokratischer (Andrej Sacharow), ebenso wie solche religiöser (Lew Wenzow), nationalistischer (Alexander Solschenizyn) und auch marxistischer (Roy Medwedjew) Vorstellungen. Amalriks Analyse der sowjetischen Opposition ist noch weitaus differenzierter. Dies hat jedoch für die weiteren Analysen keine große Bedeutung. Wichtig ist, dass der Autor, selbst aktiver Oppositioneller und Schriftsteller im "Samisdat", dem illegalen "Selbstverlag" der künstlerischen Opposition, die Rolle der Demokratischen Bewegung eher skeptisch sieht, obwohl sie seiner Meinung nach die einzige Basis für den Wandel zu einer demokratischen Sowjetunion darstellt. Grund für seine Skepsis ist einerseits ein fehlendes demokratisches Verständnis innerhalb des Volkes und die Erstarrung und Bürokratisierung der mittleren Schicht. Sieben Jahre nach der Herausgabe seines Essays äußert er sich etwas optimistischer. Der Einfluss der Bewegung sei weiterhin sehr gering und aktive Mitglieder gebe es immer noch "nur ein paar Dutzend". "Hilfe leisten aber einige hundert, passive Unterstützung geben einige tausend, und Millionen Leute teilen schweigend (unsere) Meinung." Trotzdem vertritt er weiterhin die Meinung, dass es "in Russland nur nach schweren Krisen zu Reformen (komme)" .
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