Häufig reicht zum Einbezug eines externen Experten in ein Seminargespräch schon ein normales Telefongespräch aus. Interessanterweise hat bis heute niemand eine geeignete Hardware hierfür entwickelt, obwohl solche "Interviews" in den Massenmedien schon zur Routine gehören. Eine ISDN-Übertragung mit 32 ISDN-Kanälen, so technisch reizvoll der Multiplexbetrieb zur Erprobung von Bewegtbildübertragungen unter weniger idealen Bedingungen auch sein mag, ist für die Universitäten auf Dauer nicht finanzierbar. Eine Proshare-Bildkonferenz mit zwei ISDN-B-Kanälen ist hingegen sicher besonders kostengünstig aber bezogen auf die Bildqualität weniger attraktiv. Das System vermittelt, bevor die neuen, bereits annoncierten Komprimierungsverfahren eingesetzt werden, ein unscharfes Ruckelbild. Auch die, z.B. von Picture-Tel verwendeten und im Virtual College ebenfalls erprobten, 6 ISDN-Kanäle fallen deutlich hinter die Qualität eines Fernsehbildes zurück. Die Übertragungskosten bewegen sich allerdings auch hier im universitären Kostenrahmen.
Erstaunlich ist die Präsenz der jeweils physisch getrennten Gesprächspartner, die bei den neuen Bildkonferenzsystemen erzielt werden kann. In der Verwendung im Seminarbetrieb zeigten sich jedoch erhebliche Probleme in Hinsicht auf die Bilddramaturgie und die Konzeption eines geeigneten Settings. Mal erscheinen zu viele Personen auf dem Bild, die einzelnen Sprecher sind dann kaum erkennbar und Gestik und Mimik fallen fast völlig aus; wählt man hingegen einen kleineren Bildausschnitt, dann sprechen die Gesprächspartner häufig aus dem off. Ist der Dozent Frontalunterricht gewöhnt, so läßt sich dieser kaum in einen Raum mit einer anderen Konstellation übertragen, und Gruppengespräche scheitern häufig an fehlenden Zusatzkameras, die zudem eine eigene Bildregie erforderlich machten. Während manche Systeme verschiedene Kamerapositionen, die einfach gespeichert und abgerufen werden können, auf Knopfdruck zur Verfügung stellen, müssen bei anderen Systemen, für alle Beteiligten enervierend, die Fahrten während des Gespräches durchgeführt werden. Die Kamera kommt dann häufig beim Sprecher an, wenn dieser seinen Beitrag, einen eingeschobenen ad-hoc Kommentar oder ein kurzes Statement, schon beendet hat.
Der Einsatz von Konferenztechniken scheint die Konzentration auf die Aufgabe zu fördern. Die inhaltliche Bereicherung durch die externen Gesprächspartner, die bei pysischer Präsenz quasi natürlich gegeben zu sein scheint, läßt sich jedoch tatsächlich auch sehr gut mit Hilfe der audiovisuellen Telekommunikation erzielen. Einzelne Gedanken externer Partner habe ich aus der Erfahrung des Seminarbetriebs als wertvolle Hinweise in Erinnerung behalten. Telekonferenzen können zur Erweiterung von Perspektiven und Wissen beitragen, das in ein Lehrgespräch eingebracht wird. Die Mitarbeiter unserer Partneruni brachten Denkansätze ein, die so aus der internen Runde auf unserer Seite sicher nicht formuliert worden wären, und darauf kommt es ja schließlich bei der Bereicherung von Gesprächssitutationen durch Dritte an. Während das Abrufen aufwendig gestalteter Lehreinheiten von zentralen Servern häufig als das Nonplusultra des Telelearning dargestellt wird, aber vorerst noch zu hohe Gestaltungsansprüche an die Dozenten stellt, sind die moderateren Zwischenformen der Telekooperation schneller erlernbar und können auch ohne hohen Investitionsaufwand direkt eingesetzt werden.
Besonders erfolgreich ist in dieser Hinsicht der e-mail-Verkehr, der die gegenseitige Ansprache zwischen Dozenten und Studenten erleichtern kann. Literaturlisten, Seminarpläne, Folien und Lehrmaterialien, soweit sie ohne Copyright-Probleme auf dem Server abgelegt werden dürfen, gehören zu meinen eigenen ersten stolzen Online-Produkten. Die Beratungsroutine kann auf diese Weise an das System delegiert werden. So kann mehr Zeit für das persönliche Gespräch oder die Fortentwicklung des Forschungsprozesses gewonnen werden. Ehrlicherweise wäre der "Zeitgewinn" in meinem Fall aber schon wieder in neue Projekte geflossen. Auch dies scheint mir in einer gewissen Weise symptomatisch zu sein.
Schon jetzt hat sich im Rahmen des Virtual College gezeigt, daß die Telekooperation unter den Studenten schneller wächst als die zwischen Studenten und Dozenten, sobald die notwendigen technischen Voraussetzungen geschaffen sind. Das gemeinsame Arbeiten an Dokumenten ist eher die Ausnahme, aber der Austausch von Dokumenten zur jeweiligen Weiterverarbeitung hat deutlich zugenommen. Auch diese Zeilen, die ich gerade in einem Pariser Hotel schreibe, werden von einem unserer Studenten vor der Weitergabe an den Verlag nach dem e-mail-Versand noch einmal gegengelesen.
Das Berliner Virtual College ist ein Gemeinschaftsprodukt. Es könnte nach dem Wahlspruch von Mike Bookex, einem Systemarchitekten konzipiert sein: "You design top down, but you built bottom up." Es lebt als Infrastruktur durch die Leistungen seine Akteure. Wenn Sie sich ein Bild über das Angebot verschaffen wollen, so wählen Sie im WWW die Homepage http.//virtualc.prz.tu-berlin.de an. Der Hauptmotor in der Entwicklung des VC sind und waren die Studenten. Sie sind die aktivsten und leidenschaftlichsten Internet-Anwender an den Hochschulen, und dies macht sie als Kronzeugen der Entwicklung auch zugleich verdächtig.
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