Jeder Bürger hat das Recht, bei der Bildung von Vereinigungen mitzuwirken und diesen beizutreten. Besonders wichtig ist hier, das Recht auf Koalitionsfreiheit zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zusteht. Der Staat überlässt wichtige Bereiche der Wirtschafts- und Sozialverfassung der Selbstordnung durch Interessenverbände. Dadurch sind beispielsweise die Tarifautonomie von Arbeitgebern und Abreitnehmern und das Streikrecht verfassungsmäßig abgesichert. Die Interessenverbände dienen in erster Linie der Selbsthilfe der Mitglieder bzw. der von ihnen vertretenen Bevölkerungsgruppen. Etwa 57% der erwachsenen Bürger sind in Verbänden tätig, davon 31% in sogenannten Freizeitverbänden wie zum Beispiel dem deutschen Sportbund. In zweiter Linie erstreben sie eine Einflussnahme auf die politischen Entscheidungen. Sie treten daher an Regierung, Parlament, Verwaltung und Parteien heran, um die Wünschen der von ihnen vertretenen Bevölkerungsschichten durchzusetzen. Am wichtigsten für die Interessenverbände ist die Einflussnahme auf die Regierung. Von ihr gehen die meisten Gesetzesinitiativen aus. Wegen seiner hohen Stellung ist der Bundeskanzler der gesuchteste Anspruchspartner. Dieser ist an den Kontakten mit den Verbänden interessiert, um sie für die Unterstützung seiner Regierungspolitik zu gewinnen.
Das wichtigste Ziel der Verbände im Bereich der Politik ist es, Mitgliedern die Zugehörigkeit zu bestimmten Parteien zu sichern.
4.2 Koalitionsfreiheit und Tarifautonomie ³
Die Arbeitgeberverbände und die Gewerkschaften haben eine besondere Stellung unter den Verbänden. Ein knappes Drittel der Arbeitnehmer ist gewerkschaftlich organisiert. Die Gewerkschaften besitzen die Tarifautonomie, das heisst, dass sie als Tarifpartner die Löhne und Arbeitsbedingungen selbständig heraushandeln. Den Arbeitnehmern und Arbeitgebern wurde durch den Staat die Reglung der Arbeitsverhältnisse übertragen. Ihre Vereinbarungen sind für die Mitglieder der Tarifparteien rechtswirksam und können bei den Arbeitsgerichten eingeklagt werden. Lohntarifverträge werden meistens nur ein bis zwei Jahre abgeschlossen und im wesentlichen regeln sie die Zahlungen von Löhnen, Gehältern und
³ Koalitionsfreiheit: Recht, der Abreitnehmer- und geber auf Zusammenschluss zur Wahrnehmng wirtschaftlicher Interessen
Tarifautonomie: Recht der Sozialpartner, Gewerkschaften und der Arbeitgeberverbände auf Aushandlung der Arbeitsverträge und Lohnabkommen ohne die Einmischung des Staates
Ausbildungsvergütungen. Mantel- oder Rahmentarifverträge gelten dagegen mehrere Jahre und regeln die allgemeinen Arbeitsbedingungen, wie beispielsweise Arbeitszeiten, Urlaub oder Bezahlung von Überstunden. Wenn Tarifverhandlungen ohne Ergebnis bleiben, kann es zu einem so genannten Arbeitskampf kommen. Die Gewerkschaften können zum Streik aufrufen und die Arbeitgeber können Aussperrungen vornehmen. Aussprrungen sind der Ausschluss arbeitswilliger Beschäftigter von der Arbeit. Streiks sind in Deutschland, im Gegensatz zu anderen Industrieländern,aufgrund des Systems der Tarifautonomie, eher selten.
4.3 Kirchen
Die Kirchen nehmen eine Sonderstellung unter den Verbänden ein, weil der Staat ihnen gegenüber eine Schutzfunktion wahrnimmt. Als Glaubensgemeinschaft sind
die Kirchen keine Interessenverbände im engeren Sinn, als Sozialgemeinschaft sind sie es jedoch schon, denn die Kirchen nehmen in großem Maß Einfluss auf den Staat
und die Gesellschaft. Der Kirche gehören mehr Menschen an als jeder anderen Gemeinschaft. Sie haben das Recht, Kirchensteuern zu erheben, allerdings auch bei der Gestaltung des Religionsunterrichtes an öffentlichen Schulen mitzuhelfen. Des weiteren unterhalten sie Kindergärten, Krankenhäuser, Altenheime und andere öffentliche Einrichtungen.
4. Bürgerinitiativen
Bürgerinitiativen sind Gruppen mehrer Personen, die Missstände (Spielplätze, Gefährdung der Umwelt) beseitigen möchten. Sie entstehen als demokratische Selbsthilfeorganisationen, um auf staatliche Stellen, politische Parteien und andere Repräsentanten der politischen Führung Einfluss auszuüben. Im Unterschied zu politischen Parteien versuchen sie nicht, über Wahlen politische Macht zu erlangen. Von Interessenverbänden wie Gewerkschaften unterscheiden sie sich durch die heterogene Zusammensetzung ihrer Mitglieder. Typisch für Bürgerinitiativen ist, dass sie innerhalb kurzer Zeit viele Anhänger finden, wozu auch viele aus der Mittelschicht mit hohem Einkommen gehören und dass sie sich auf ein Projekt konzentrieren (Einpunktorganisation).
Die ersten Bürgerinitiativen in der Bundesrepublik gab es erst Ende der sechziger Jahre im Rahmen der Studentenbewegung sowie der Aktivitäten der außerparlamentarischen Opposition (APO). Inhaltliche Gründe für die Entstehung von Bürgerinitiativen waren vor allem die Unzufriedenheit mit der sozialpolitischen, verkehrspolitischen und ökologischen Situation. Neue Ängste und Bedürfnisse der Bevölkerung waren von den traditionellen Interessenverbänden kaum aufgegriffen worden. Bürgerliches Unbehagen gegenüber Bürokratismus und dem Parteien - und Verbändestaat aktivierte Bürger zur Eigeninitiative. In den siebziger Jahren schlossen sich solche Initiativen zu Verbänden zusammen und wurden somit überregional aktiv und bekannt. 1972 schlossen sich mehrere Umweltinitiativen zum Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz, die mit riesigen Massenaktionen gegen Projekte von großen Konzernen (z.B. Atomkraftwerken) ihren Willen durchsetzten, indem sie erstmals Straßenblockaden, Sit-ins, Go-ins und Mahnwachen anwandten.
Umwelt-, Frauen- und Friedensbewegungen wurden als Neue Soziale Bewegungen bezeichnet, obwohl sie andere Interessen vertraten. Schließlich schlossen sich 1980 Bürgerinitiativen und Gruppen aus der Neuen Sozialen Bewegung zu der Partei "Die Grünen" zusammen.
Das Ablaufmodell einer Bürgerinitiative ist in sieben Phasen aufgeteilt. Am Anfang sind einzelne Bürger mit Plänen nicht einverstanden und wollen sie verhindern. Es kommt dann soweit, dass die Bürger (immer noch einzeln) Artikel in der Lokalzeitung und Zeitungsanzeigen aufgeben und Flugblätter verteilen. Ab der dritten Phase üben sie erstmals Druck auf die Verwaltung, den Gemeinderat und auf die Fraktionen der Partei aus, indem sie ihnen Briefe schreiben, die meist erfolglos sind. Erst in der vierten Phase wird eine Bürgerinitiative gegründet und man versucht mit Hilfe der anderen Öffentlichkeitsarbeit (wie in der ersten Phase) zu betreiben und sich den Rat von Experten zu holen. Ab der fünften Phase schalten sich die Parteien ein und äußern sich zu den Vorwürfen, indem sie der Presse Erklärungen liefern. Am Schluss versuchen die Parteien mit der Bürgerinitiative auf eine Lösung zu kommen und einen Kompromiss zu finden , bis die Bürgerinitiative zufrieden ist.
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