Schmetterlingseffekt:
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Der Meteorologe Edward N. Lorenz entdeckte im Jahr 1963 den Schmetterlingseffekt bei dem Versuch, per Computer die Wettervorhersage zu präzisieren. Als er mit dem Computer eine Berechnung wiederholte, stellte er fest, daß sich die neue Zahlenreihe - der Wetterverlauf - stark von der vorherigen unterschied. Zunächst dachte er an einen Computerfehler, doch bei genauerer Betrachtung entdeckte er die tatsächliche Ursache: Lorenz hatte den Computer ursprünglich mit sechs Dezimalstellen gefüttert - 0,506127 -, die zweite Berechnung aber nur mit 0,506 als Ausgangszahl durchgeführt, da er die verbleibende Abweichung in dem verschwindend geringen Verhältnis von eins zu 1000 für unbedeutend hielt. Doch genau diese scheinbar zu vernachlässigende Differenz - im übertragenen Sinn vergleichbar mit dem durch den Flügelschlag eines Schmetterlings ausgelösten Windhauch - führt zu einer extremen Wirkung.
Das Phänomen ist weltweit als Schmetterlingseffekt bekannt. Diese starke Abhängigkeit dynamischer Systeme von den Anfangsbedingungen erklärt, warum der wissenschaftliche Glaube an die Wettervorhersage ein Wunschdenken sein muß: Entgegen den logischen Voraussetzungen der klassischen Mechanik, wonach kleine Ursachen nur kleine Wirkungen haben, können in komplexen, nichtlinearen Systemen nämlich gerade kleinste Ursachen allergrößte Wirkung nach sich ziehen.
Die große Woge:
In seinem Farbholzschnitt "Die große Woge" hat der japanische Maler des 18. Jahrhunderts, Katsushika Hokusai, all die Aspkekte der fraktalen Welt, in die wir eintreten werden, aufs herrlichste eingefangen. Diese unnatürliche Welle wird als "Soliton" oder solitäre Welle bezeichnet. Ein Ingenieur und Schiffsbauer namens Russel machte eines Tages im Jahre 1834 eine Entdeckung die ihn sein lebenlang nicht mehr losließ. Durch Zufall ergab es sich, daß ein normales Schifferboot eine Riesenwelle auslöste. Russel verfolgte die Welle bis er sie aus den Augen verlor. Sie sollte zum Ausgangspunkt seiner revolutionären Entwürfe von Schiffsrümpfen werden.
Die Physiker haben eine Technik entwickelt, die es ihnen erlaubt, sich eine beliebig komplizierte Wellenform als Kombination von lauter Sinuswellen vorzustellen. Die Sinuswelle ist die einfachste Form, die eine Welle annehmen kann. Jede Sinuswelle ist durch ihre Frequenz charakterisiert. Fügt man mehrere einfache Sinuswellen zusammen, so erzeugen sie eine komplexere Gestalt. Der Wasserhügel, der eine Welle auf der Oberfläche eines Kanals ausmacht, läßt sich als Zusammensetzung einer Menge von Sinuswellen beschreiben, die alle verschiedene Frequenzen haben. In Wasser pflanzen sich aber Wellen verschiedener Frequenz mit verschiedenen Geschwindigkeiten fort. Weil es nichts gibt, was diese verschiedenen Frequenzen zusammenhalten könnte, verändert der Hügel dieser komplexen Welle seine Form; der Gipfel beginnt sich aufzusteilen und die Hauptmasse zu überholen. Die Auflösung von Wellen in viele kleinere Störungen und schließlich das Brechen im Chaos nennt man Dispersion.
Offensichtlich aber trat in der von Russel beobachteten Welle keine Dispersion auf. Heute weiß man, daß die Welle, die Russel sah, ihre Stabilität nichtlinearen Wechselwirkungen verdankte, die die individuellen Sinuswellen aneinanderkoppelten. Diese Nichtlinearitäten wurden in der Nähe des Kanalbodens wirksam und brachten die einzelnen Sinuswellen dazu, sich aneinander zurückzukoppeln, so daß sie gewissermaßen das Gegenteil von Turbulenz erzeugten. So schaukelte sie sich nicht bis zum Brechen auf, sondern koppelten sich bei einem kritischen Wert die Sinuswellen aneinander. Wenn eine Sinuswelle versuchte, schneller zu werden und aus dem Soliton zu entwischen, so wurde sie durch ihre Wechselwirkung mit den anderen zurückgehalten.
Vergleichbar ist dieses Phänomen mit einem Marathonlauf. Wenn das Rennen beginnt, fangen die Läufer an, sich voneinander zu trennen, und nach kurzer Zeit ist der Haufen weit verteilt. Dies ist genau das, was einer gewöhnlichen Welle zustößt. Eine solitäre Welle jedoch ähnelt der Gruppe der besten Läufer in diesem Rennen. Meile um Meile bleiben sie durch Rückkoppelung miteinander verbunden. Sobald einer versucht, sich nach vorne zu schieben, holen die anderen auf, und die Gruppe hält zusammen.
Russel entdeckte rasch, daß eine hohe, dünne Welle eine kurze, dicke verfolgen und sie einholen konnte. Er fand auch heraus, daß die Existenz dieser Wellen mit der Tiefe des Kanals zu tun hatte. Wäre der Union Canal viel tiefer gewesen, so hätte er sein Soliton wohl nie gesehen. Russel war vorausblickend genug, um klar zu sehen, daß die Bedeutung seiner Translationswelle weit über den Union Canal hinausreichen würde. Es gelang ihm, durch Anwendung der Prinzipien dieser Welle zu beweisen, daß man den Knall einer fernen Kanone stets vor dem Abschußbefehl hört, weil der Kanonenschall sich als solitäre Welle ausbreitet, die eine höhere Fortpflanzungsgeschwindigkeit besitzt.
Turbulenz:
Überall in der Natur herrscht Turbulenz: in Luftströmungen, in rasch fließenden Flüssen beim Umspülen von Felsen oder Brückenpfeilern, in der glutflüssigen Lava, die sich von einem Vulkan herabwälzt, oder in Wetterkatastrophen wie Taifungen und Flutwellen. Öl will nicht rasch genug durch die Pipeline flißen; Pumpen und Turbinen oder auch Lastwagen auf der Autobahn beginnen zu rütteln, Kaffeetassen im Flugzeug schwapen über. Turbulenz im Blut kann Adern beschädigen, indem sie zur Ablagerung von Fettsäuren auf den Gefäßwänden führt.
Die Turbulenz hat schon früher die großen Denker fasziniert. Einer der ersten war Leonardo da Vinci, der viele Studien anstellte und geradezu von der Idee besessen war, daß eines Tages eine große Sintflut die Erde verschlingen müßte. Im 19. Jahrhundert erregte die Turbulenz die Aufmerksamkeit von Physikern wie von Helmholtz, Lord Kelvin, Lord Raleigh und eine ganze Schar weniger bekannter Wissenschafter, die wesentliche experimentelle Beiträge lieferten. Trotzdem blieb sie ein vernachlässigtes Forschungsgebiet, das Gebiet blieb für die Forschung ziemlich undurchsichtig.
Der Grund für das jüngste Interesse an Systemen mit so vielen Freiheitsgraden und so unermeßlich komplexer Dynamik liegt teilweise in der Fülle neuer raffinierter Untersuchungsmethoden, die es ermöglichen, mitten in turbulente Ereignisse hineinzugehen und dort Daten über die Vorgänge zu gewinnen. Die Entwicklung der superschnellen Computer erlaubt es den Forschern, die überquellende Vielfalt der Ergebnisse jener nichtlinearen Gleichungen graphisch darzustellen, die man benützt, um Turbulenz mathematisch zu verfolgen. Trotzdem lassen sich die Gesetze der Turbulenz nur allmählich erschlißen. Die meisten Fotschritte betreffen noch immer nur die ersten Schritte auf dem Weg zu Turbulenz.
Ein großer Stein legt sich dem Bach in den Weg, aber dieser teilt sich einfach und umfließt das Hindernis glatt und geschmeidig. Fügt man dem Wasser Farbteilchen hinzu, so lassen sie Strömungslinien sichtbar werden, die sich um den Stein herumlegen und sich nicht weit voneinander entfernen oder in irgendeiner Weise durcheinander geraten.
Mit Regen strömt der Fluß ein wenig schneller dahin. Nun bilden sich hinter dem Stein Wirbel (Grenzzyklen). Diese sind recht stabil und neigen dazu, sich lange Zeit hindurch an der gleichen Stelle zu halten.
Mit wachsender Srömungsgeschwindigkeit lösen sich Wirbel ab und treiben den Bach hinunter, wobei sie den störenden Einfluß des Steins weit die Strömung hinab tragen. Im Sommer hätte eine bachabwärts vorgenommene Messung der Fließgeschwindigkeit ein recht gleichmäßiges, fast konstantes Ergebnis erbracht. Nun aber schwankt die Fließgeschwindigkeit periodisch aufgrund der mittransportierten Wirbel.
Nimmt die Strömungsgeschwindigkeit noch weiter zu, so kann man beobachten, wie die Wirbel ausfransen und scheinbar zusammenhanglose Bereiche wallenden, strudelnden Wassers erzeugen. Zusätzlich zu den periodischen Schwankungen des Flusses kommen nun viel schnellere, unregelmäßige Änderungen: die ersten Vorstufen der Turbulenz.
Wenn schließlich das Wasser mit höchster Geschwindigkeit fließt, so scheint das Gebiet aller Ordnung enthoben zu sein und Messungen der Strömungsgeschwindigkeit liefern dort chaotische Ergebnisse. Echte Turbulenz hat eingesetzt, und die Bewegung jedes winzigen Wasserteilchens scheint völlig zufällig geworden zu sein. Das Gebiet hat nun so viele Freiheitsgrade, daß alles Vermögen der heutigen Wissenschaft nicht ausreicht, um es zu beschreiben.
Im Verlauf der Entstehung von Turbulenzen kommt es anscheinend zu unendlich vielen Teilungen und immer weiteren Unterteilungen oder Verzweigungen auf immer kleinerer Skala. Gibt es für ihre Anzahl eine Grenze? Eine Flüssigkeit besteht ja schließlich aus Molekülen. Ist es denkbar, daß wahre Turbulenz bis ganz hinunter auf das molekulare Niveau anhält - oder gar darüber hinaus?
Es liegt nahe, sich vorzustellen, daß Systeme am Rande der Turbulenz sich auf immer kleineren Skalen selbst ähnlich bleiben. |