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mathematik artikel (Interpretation und charakterisierung)

Geometrie

Historische entwicklung der philosophie der mathematik



Zu Beginn unseres Jahrhunderts gab es eine kurze Periode, in der die Grundlagen der Mathematik offen diskutiert wurden. Rund 40 Jahre lang tauschen die führenden Mathematiker ihre Gedanken untereinander aus, und stritten sich über Details.
Diskussionen darüber gab es dennoch schon lange vorher. Sie hängen meist mit dem sogenannten Euklid-Mythos zusammen. Das ist der Glaube, daß die Schriften des Euklid Wahrheiten enthalten, die unwiderlegbar sind. (Wie bereits gezeigt, enthalten Euklids Bücher nur einen Teil der Wahrheit.) Euklid führte seine Beweise ausgehend von seinen Axiomen mit solcher Klarheit, so daß sie für lange Zeit eine feste Stütze der gesamten Mathematik bildeten. Da sich geometrische Tatsachen ja auch arithmetisch beschreiben lassen, kann somit auch die Arithmetik auf eine solide Grundlage gestellt werden.
Plato ging davon aus, daß der Mensch Kenntnis von geometrischen Wahrheiten hat, die nicht aus der Erfahrung stammen, und daß diese ein Beispiel für unwandelbare Wahrheiten sind. Später griffen die Rationalisten, wie Spinoza, Descartes und Leibniz, diesen Gedanken auf. Für sie waren die Sätze der Geometrie ein Beispiel für die Erkenntnis a priori. Sie glaubten, daß man sich nie irren kann, wenn man behauptet, daß a2+b2=c2 ist; behauptet man aber, daß morgen der dritte Weltkrieg ausbricht, so kann man diese Aussage logischerweise erst morgen überprüfen. Da die Mathematik von "offensichtlichen" Axiomen ausgeht und alle Sätze darauf aufbauen, kann für die Rationalisten kein Zweifel an der Wahrheit der Mathematik bestehen.
So wurde die Mathematik das beste Beispiel für die Rationalisten um ihre Philosophie zu untermauern. Für die Empiristen, war sie andererseits, eine peinliche Niederlage. Da sich die Mathematik mit Dingen beschäftigt, die nie zuvor beobachtet wurden, muß das empirische Weltbild, das ja auf der Erfahrung aufbaut, einige Lücken aufweisen. Deshalb gingen die meisten Empiristen auch nicht näher auf die Mathematik ein, sondern versuchten ihre Bedeutung wegzuerklären. Einzig auf dem Gebiet der Geometrie war man sich einig. Die Axiome der Geometrie waren so anschaulich, daß nicht einmal die Empiristen sie anfeindeten.
Auch Kant widmet sich in seinem Werk dem Euklid-Mythos. Daß wir den Raum dreidimensional wahrnehmen, und die euklidische Geometrie, die daraus entstanden ist, ist für ihn ein Beispiel für eine Erkenntnis a priori. Unser Verständnis der Geometrie wird uns also aufgezwungen. Für lange Zeit konnte sich diese Sichtweise Kants halten. Für fast jeden Mathematiker war es bis ins 20. Jahrhundert hinein selbstverständlich, daß die Geometrie Wahrheiten liefern kann. Da Gebiete wie die Arithmetik und die Algebra von ihr abhängen, mußten deshalb auch sie wahr sein.
Dieses mathematische Weltbild begann einzustürzen, als die nichteuklidischen Geometrien formuliert wurden. Da gezeigt werden konnte, daß die euklidische Geometrie nicht zwangsläufig die wahre Geometrie des Raumes sein muß, wurde die gesamte Kantsche Wahrnehmungslehre in Frage gestellt.
Eine weitere Bombe explodierte im mathematischen Denkgebäude als die Analysis raumfüllende Kurven und stetige überall undifferenzierbare Kurven hervorbrachte. Auf einmal war gezeigt, daß die "geometrische Intuition" nicht als Fundament für die Mathematik ausreichte, das seit Plato bestand.
Die führenden Mathematiker des 19. Jahrhunderts, z.B. Dedekind, und Weierstraß, wandten sich in Folge dessen von der Geometrie als Grundlage der Mathematik ab und der Arithmetik zu. Dazu griffen sie auf die Mengenlehre zurück, die Cantor kurz vorher als neuen Zweig der Mathematik entwickelte. Sie mußten sie unendliche Mengen einführen, um reelle Zahlen zu definieren. Es ergaben sich logische Probleme, die lange Zeit ungelöst blieben. Es wurden zahlreiche "Antinomien" (Widersprüche) in der Mengenlehre gefunden, die in der Arithmetik oder der Geometrie nie vorkommen.
Ein Beispiel für eine solche Antinomie wurde von B. Russell entdeckt. Er definierte eine "R-Menge" als eine Menge, die sich selbst als Element hat. Dann führte er eine Menge M ein, die alle möglichen Mengen, außer den R-Mengen enthält. Die Frage, ob M eine R-Menge ist führt zu Widersprüchen. Wenn M keine R-Menge ist, dann enthält sie sich selbst, was sie zu einer R-Menge macht.
Widersprüche wie dieser stürzten die Mathematik in eine tiefe Grundlagenkrise, aus der man sich auf verschiedenen Wegen zu befreien versuchte.

 
 

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