Das Problem, dass verbesserte Arbeitsbedingungen den Ertrag schmälern, sollte jedem bekannt sein. Lässt sich der nicht durch höhere Umsätze steigern, bleibt nur noch die Kostensenkung. Diese aber wird nur durch den Einsatz von Maschinen oder die Verlagerung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer erreicht. Jede unter dem Druck von Gewerkschaften erzwungene Lohnerhöhung kostet also einer Vielzahl von Arbeitnehmern den Arbeitsplatz.
Das Problem zeigte sich sehr deutlich beim Tarifabschluss im öffentlichen Dienst Anfang 2003. Mit insgesamt 4,4% Lohnerhöhung war dieser Streik angesichts des überschuldeten, finanziell kaum noch handlungsfähigen Staates, ökonomischer Aberwitz, erzwungen durch massive Streikdrohungen und Warnstreiks zu Lasten aller Bürger.
Schon 1950 erkannte der Staatsrechtler Joseph H. Kaiser in Streiks ein staatsrechtliches Problem, in denen nicht nur die Interessen der Arbeitnehmer und -geber zum Austrag kommen, sondern auch spezifische Interessen von Organisationen und Eigeninteresse der Gewerkschaftsbürokratie. Viele Funktionsträger großer Gewerkschaften stellen sich als Politiker im Dienste des kleinen Mannes oder sogar der Allgemeinheit dar und verfolgen doch nur die Interessen ihrer eigenen Gruppe. Flächentarife werden aus Prinzip selbst dann starr verteidigt, wenn Unternehmen zugrunde gehen.
Wie der Arbeitskampf im öffentlichen Dienst 2003 zu Lasten der Allgemeinheit zeigt, reichen die Maßstäbe des Bundesverfassungsgerichts nicht aus, besonders weil sich viele der rechtlichen Gegebenheiten grundlegend geändert haben.
Arbeitskampf muss nicht durch Streik gelöst werden. Im modernen Staat gibt es geeignetere Mittel zur Lösung von Konflikten, z.B. den ordentlichen Rechtsweg oder die Schaffung eines dem Bundesverfassungsgericht ähnlichen Gerichts. Das erste Volkszählungsgesetz 1983 wurde auch nicht durch Boykott außer Kraft gesetzt, sondern durch den Spruch des Bundesverfassungsgerichts.
Deutschland braucht starke Gewerkschaften als Gegengewicht gegen die Unternehmerseite und als Ordnungsfaktor.
Noch bestimmt die reine Ausübung von Macht zu sehr das Bewusstsein der Führungspersonen in den Gewerkschaften. Dienstleistung und Offenheit wäre das Schlüsselwort, statt der viel gepriesenen Geschlossenheit. Die Aufgabe der Zukunft ist nicht Konfrontation, sondern die Suche nach gemeinsamen Werten. Nur wenn die Gewerkschaften ihren Gesichtskreis öffnen und die Zukunft aller Mitmenschen in ihr Denken einbeziehen, werden sie wieder attraktiv. Andernfalls wird sich der Abwärtstrend in den Mitgliederzahlen fortsetzen, was die Gewerkschaften in die Bedeutungslosigkeit drücken würde.
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