Wie kam es zu der galoppierenden Inflation von 1923? Schon während des Krieges war die deutsche Währung in Unordnung geraten. Die ungeheue¬ren Kriegsausgaben wurden nicht wie in Eng¬land und Frankreich größtenteils durch erhöhte Steuern, sondern durch Anleihen und durch Druck zusätzlichen Papiergeldes bezahlt. So war das Deutsche Reich Ende 1918 hoch ver¬schuldet und der Geldumlauf gegenüber dem Stand von 1914 mehr als verzehnfacht. Da dem stark erhöhten Zahlungsmittelumlauf nur ein ge¬ringes Warenangebot gegenüberstand, kam es zu einer allgemeinen Preissteigerung (Inflation).
Auch nach dem Kriegsende stand die Notenpresse nicht still. Die Umstellung auf die Frie¬densproduktion, die Unterstützung der entlasse¬nen Soldaten, der Flüchtlinge und Arbeitslosen, die Kriegsopferfürsorge und die Kosten für Be¬satzungstruppen erforderten riesige Geldmen¬gen und beschleunigten das Tempo der Markentwertung.
Dazu kamen die wirtschaftlichen Bestimmungen des Versailler Vertrages, die Deutschland zur Wiedergutmachung aller Verluste und Schäden verpflichteten, die den Alliierten entstanden wa¬ren. 1921 wurde die Reparationssumme von den Siegermächten auf 132 Milliarden Goldmark festgesetzt und die deutsche Regierung in ulti¬mativer Form zur Anerkennung gezwungen.
Die Festsetzung der ungeheueren Reparationssumme wurde selbst von dem englischen Nationalökonomen John Keynes als unsinnig bezeichnet. Denn es ge¬nügte nicht, daß die jährlichen Reparationszahlungen vom deutschen Steuerzahler in Mark aufgebracht wur¬den, sie mußten in fremder Währung geleistet werden. Dies setzte aber voraus, daß den deutschen Exporteu¬ren die Möglichkeit geboten wurde, durch einen er¬höhten Verkauf deutscher Waren im Ausland ausrei¬chende Devisen zu verdienen.
Als Deutschland die Barzahlungen nicht mehr fortsetzen konnte, wurde es zu Sachlieferungen gezwungen. Ein geringer Ablieferungsrückstand von Kohle und Holz im Wert von 24 Millionen Goldmark, bei einer tatsächlichen Reparations¬leistung von 1478 Millionen Goldmark im Jahre 1922, führte im Januar 1923 zur Besetzung des Ruhrgebietes durch französische und belgische Truppen.
Der französische Ministerpräsident Raymond Poincaré nannte dieses Vorgehen "Politik der produktiven Pfänder".
Aus Protest gegen die Besetzung des Ruhrge¬bietes rief die Reichsregierung zum passiven Widerstand auf. Arbeiter, Beamte und Ange¬stellte folgten dem Aufruf und legten die Arbeit nieder; Eisenbahner fertigten keine Züge nach Frankreich ab. Wenn Häuser beschlagnahmt wurden, waren sie am folgenden Tag ohne Was¬ser-, Gas- und Stromanschluß. Der passive Widerstand ging vereinzelt in aktive Sabotageakte über: Schienen wurden gesprengt, Schiffe ver¬senkt und Kanäle blockiert, um den Abtransport von Kohle und Industriegütern nach Frankreich und Belgien zu verhindern. Die Besatzungs¬mächte verhängten daraufhin den Belagerungs¬zustand. Viele Unternehmer und Streikende wurden vor Gericht gestellt, zu Gefängnis- und Geldstrafen verurteilt oder ausgewiesen.
Mit Hilfe kleiner separatistischer Gruppen ver¬suchten die Franzosen, das Rheinland als "Rheinische Republik" vom Deutschen Reich zu lösen. Sie scheiterten jedoch an der ablehnen¬den Haltung der reichstreuen Bevölkerung und an England, das die französische Politik nicht unterstützte. Die englische Außenpolitik vertrat wieder ihren Standpunkt der "Balance of Po¬wer" und war an einer wirtschaftlichen Gesun¬dung Deutschlands als zukünftigem Handels¬partner interessiert.
Das wirtschaftliche Chaos an der Ruhr und die Notwendigkeit, Millionen Streikende zu unter¬stützen, führten das Reich in eine schwere Krise. Die Inflation erreichte ihren Höhepunkt. Die Geldentwertung machte es auch unmöglich, auf dem Weltmarkt die benötigten Lebensmittel für die Bevölkerung einzukaufen. Wer keine Sachwerte zum Tauschen hatte, hungerte er¬neut.
Die Inflation traf besonders das kleine und mitt¬lere Bürgertum, das seine Ersparnisse in Spar¬guthaben, Hypotheken und Kriegsanleihen an¬gelegt hatte. Die Besitzer von Sachwerten (Fa¬briken, Häusern, Bauernhöfen und Gütern) erlit¬ten durch die Inflation keine Verluste. Sie erziel¬ten sogar große Gewinne, wenn sie aufgenom¬mene Kredite mit entwertetem Geld zurückzahl¬ten. Gewinner der Inflation waren auch das Reich, die Länder und Gemeinden, deren Schul¬den sich durch den Wertverfall des Geldes in nichts auflösten.
In dieser Situation fanden sich am 13. August 1923 im Reichstag SPD, Zentrum, DDP und DVP zu einer "großen Koalition" zusammen. Reichs¬kanzler wurde Gustav Stresemann, der Vorsit¬zende der Deutschen Volkspartei; er entschloß sich dazu, den "passiven Widerstand" im Ruhr¬gebiet zu beenden.
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