Normen Davi, der englische Historiker und Autor einer zweibändigen Geschichte Polens, die im Jahre 1981 herausgegeben wurde und einer gekürzten Fassung \"Das Herz Europa\", die im Jahre 1984 veröffentlicht wurde, hat die Stellung der Kirche nach dem II Weltkrieg so definiert:
\"Die Stellung der Römisch-Katholischen Kirche in Polen nach dem II. Weltkrieg war stärker als in welcher auch immer vorigen Zeit ihrer tausendjährigen Sendung. Ihre Kraft lässt sich einerseits an den Leiden der Kriegszeit erklären, in der das Volksgemüt auf den religiösen Trost gerichtet war, andererseits am Trotz, der den Glauben des Volkes deshalb festigte, da er von der Regierung verboten war, hauptsächlich aber an den ethnischen und kulturellen Wandlungen der polnischen Gesellschaft während des Krieges und danach\" (\"Das Herz Europas\", S. 30).
Davis scheint mit seinen Behauptungen ziemlich viel Recht zu haben. Um aber dennoch diese starke Position der katholischen Kirche völlig verstehen zu können, muss man auf die Geschichte und die verwickelten Zusammenhänge zwischen Staat und Kirche im Laufe der Jahrhunderte zurückgehen.
Vor allem darf man aber nicht vergessen, dass die Anfänge der Staatlichkeit Polens unzertrennlich mit der Annahme des Christentums durch Fürsten Mieszko I. verbunden sind. Diese Tatsache wurde sogar von der marxistischen Geschichtsschreibung nicht abgelehnt, obwohl die Rolle der Kirche in der Geschichte eben vom Standpunkt der Marxisten aus unterschätzt wurde. Diese Tatsache bedeutete in der Praxis, daß die Anfänge unseres Nationalbewusstseins unzertrennlich mit der Kirchengeschichte verflochten sind.
Zu den ersten polnischen Schriftdenkmälern gehören die Übersetzungen der Bibel und die Texte von Gebeten und Predigten. Sogar die Staatsgeschichte wurde von Mönchen geschrieben. An dieser Stelle lassen sich folgende Namen anführen: Gall Anonim, Kadlubek und Dlugosz.
Besonders in der Reformationszeit im XVI. und XVII. Jahrhundert wurde die Verbindung zwischen Kirche und Staat sehr eng. Der Begriff \"Pole=Katholik\" geht eben auf diese Zeit zurück. Um nicht auf Einzelheiten einzugehen, beschränken wir uns auf die Feststellung, dass sich der Sieg der Konterreformation oder - wie man es heute öfter nennt - der katholischen Reform in der Republik beider Nationen unter dem Motto des Kampfes mit den fremden Einflüssen vollzogen hat. Den Protestantismus identifiziert man mit der deutschen Kultur, die griechisch-orthodoxe Kirche mit der byzantinischen. Von einem solchen Gesichtspunkt aus betrachtet sie Piotr Skarga, der Hofprediger vom König Sigismund dem III., der sogar zu den Theoretikern dieser Betrachtungsweise gehört. Die Wirklichkeit der beiden Kulturen wurde von Grund auf als fremd eingeschätzt und galt als gegen das Staatsinteresse gerichtet. Außerdem entsprach sie dem Empfindungsvermögen der Polen nicht. Die Verschmelzung der religiösen Werte mit den politischen Begriffen hatte ihre Folgen in der geschichtlichen Entwicklung Polens. Von Bedeutung war die fast 150 Jahre dauernde Episode, in der Polen seiner Freiheit beraubt war. In dieser Zeit betrachtete man die katholische Kirche als einen Hort und eine Garantie für die Bewahrung der nationalen Werte. Die Eroberer (besonders Russland und Preußen) wurden als ständige Gefahr betrachtet. Daher sah man die Rolle des Katholizismus in der Verteidigung der nationalen Selbständigkeit und Festigung kultureller Identität nach der Wiedergewinnung der Unabhängigkeit der einzelnen Teile eines von der fremden Herrschaft befreiten Landes.
Zu dieser Zeit herrschten auch antiklerikale Tendenzen, weil man im Katholizismus und besonders in der kirchlichen Hierarchie eine Gefahr für die freie kulturelle Entwicklung sah. Das Jahr 1939 bildet einen tragischen Wendepunkt im Kampf verschiedener Tendenzen und für einen langsam entstehenden demokratischen Staat. In der nächsten Teilung des Landes unter zwei totalitären Mächten, Hitler-Deutschland und Stalin-Russland, zeigte sich der neue Wille dieser Mächte, die Selbständigkeit des Landes und seine kulturelle Identität zu vernichten. Der sogenannte Sieg des sowjetischen Russland über den Hitlerismus bedeutete in der Praxis für Polen den Anfang der Tradition, die fremd war. Der Versuch, unserer Nation den Kommunismus aufzuzwingen, scheiterte endgültig und wurde von der ganzen Gesellschaft oftmals abgelehnt. Die bürokratische Regierungsform wurde als fremd betrachtet und war dem allerwichtigsten Volksinteresse feindlich. Oftmalige Versuche, das kommunistische System abzuwerfen, die 1956, 1968 und 1976 unternommen wurden, sind misslungen und endeten mit den mehr oder weniger blutigen Repressionen. Die Entstehung von Solidarnosc hat schließlich den totalitären Apparat ins Wanken gebracht und zu freien Wahlen im Juni 1989 geführt, die die endgültige Niederlage des Kommunismus bedeuteten. Viele Politologen betonen die Wichtigkeit des Pontifikats von Karol Wojtyla, der 1978 zum Papst gewählt wurde. Seine Wallfahrten in die Heimat brachten immer große Religionsmanifestationen mit sich, die nicht von den politischen Schwerpunkten frei waren. Die letzten Jahre auf der politischen Bühne unseres Landes sind durch die Versuche gekennzeichnet, ein Modell des demokratischen Staates zu schaffen, in der die traditionellen Werte mit der Notwendigkeit, sich der Welt zu öffnen, in Einklang gebracht werden. Bis dahin fällt es schwer zu sagen, welchen Verlauf diese Entwicklung nehmen wird.
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