Anläßlich des siebten Solvay-Kongresses kamen die bedeutensten Physiker zusammen, um über das zentrale Thema der Physik, den Atomkern zu diskutieren. Die ältere Generation wurde von MARIE CURIE und ERNEST RUTHERFORD vertreten, die neue Physikergeneration von CHADWICK, IRèNE CURIE, BOTHE UND FERMI. Nicht alle Probleme konnten gelöst werden wie etwa das Rätsel des Betazerfalls.
Was ist ein Betazerfall? Es bedeutet die Abgabe von Elektronen aus instabilen (zerfallende) Kernen. Das Ehepaar JOLIOT-CURIE machte diese bedeutende Entdeckung:
Sie beschossen leichte Elemente wie Aluminium, Bor un Kalium mit Helionen (Alphateilchen) und beobachteten dabei, daß die Schicht, die mit Helionen bombadiert wurde auch dann noch Positronen abgab, als die Bestrahlung eingestellt wurde. Eine genaue Untersuchung lieferte das unbezweifelbare Ergebnis: Das Ehepaar JOLIOT-CURIE hatte die künstliche Radioaktivität entdeckt.
Das Ehepaar deutete ihre Versuchsergebnisse folgendermaßen: Indem das Neutron ein Elektron abgibt, kann es sich in ein Proton verwandeln und damit einen stabilen Kernzustand erreichen. Das gleiche funktioniert aber auch, wenn das Proton ein Positron abgibt und so zum Neutron wird. Natürlich wird bei solchen Prozessen Energie frei, aber eine Frage blieb im Raum stehen: Warum sind die Energiepakete bei gleichartigen Kernen nicht gleich groß? Warum besitzen die herausgeschleuderten Elektronen und Positronen sowohl sehr hohe als auch sehr niedrige Geschwindigkeiten und wohin geht die Energie, wenn es einen Unterschied zwischen dem Anfangs - und Endzustand der Energie gibt? Auf diese Fragen wußte das französische Ehepaar keine Antwort. Es war der italienische Physiker ENRICO FERMI, der den Betazerfall so zu deuten versuchte, daß der Satz von der Erhaltung der Energie, der besagt, daß Energie nicht neu entstehen oder verlorengehen kann, in jedem Falle erhalten bleibt.
ENRICO FERMI wurde am 29.September 1901, als Sohn eines Verwaltungsangestellten bei der Bahn und einer ehemaligen Lehrerin, geboren. Enrico wuchs in Rom auf und besuchte als ausgezeichneter Schüler die Oberschule. Schon bald zeigte sich sein großes Interesse für Mathematik und Physik. Nach der Matura beschloß FERMI, die Scuola Normale Superiore in Pisa zu besuchen, und natürlich war es für den ausgezeichneten Schüler kein Problem, die Aufnahmeprüfung zu bestehen.
Im Jahre 1922, nachdem er promoviert hatte, kehrte Fermi nach Rom zurück und baute mit FRANCO RASETTI, einem langjährigen Freund, ein Forschungsteam auf. Anfangs beschäftigten sie sich vor allem mit der optischen Spektroskopie und der Atomtheorie, doch bald erkannten die jungen Forscher, daß die Zukunft in der Kernphysik liegt, und sie änderten ihre Richtung.
Das Jahr 1933 war das große Jahr des ENRICO FERMI, denn es gelang ihm das Problem des Betazerfalls endgültig zu lösen. WOLFGANG PAULI und ENRICO FERMI erdachten sich ein hypothetisches Teilchen, dem sie den Namen Neutrino - kleines Neutron - gaben. Diese leichten neutralen Teilchen, die die Elektronen beim Betazerfall begleiteten, besitzen nur 1/1000 der Masse eines Elektrons, und können vom Beobachter gar nicht wahrgenommen werden. Dennoch sind die Neutrinos für die Erhaltung der Energie verantwortlich, weil sie die fehlende Energie auf eine nicht beobachtbare Weise abführen. FERMI hat aber nicht nur das
Neutrino postuliert, das übrigens erst am Beginn der 50-Jahre experimentell nachgewiesen wurde, er führte auch eine neue Naturkraft, die schwache Wechselwirkung, ein. Die schwache Wechselwirkung ist eine Naturkraft wie die Schwerkraft und die Elektrizität und für diese neue Kraft führte er die universelle Konstante g ein, die aus den Betazerfallsexperimenten bestimmt werden konnte. Kurz ausgedrückt: Die schwache Wechselwirkung ist dafür verantwortlich, daß ein Neutron in ein Proton und ein Elektron zerfallen kann.
Ein Jahr nachdem er das Problem des Betazerfalls gelöst hatte und die schwache Wechselwirkung eingeführt hatte, machte er im Jahre 1934 eine weitere, wichtige Entdeckung, die vor allem für die künstliche Radioaktivität entscheidend war.
Weil das Ehepaar JOLIOT bei ihren Pionierversuchen mit der künstlichen Radioaktivität Aluminium mit Alphateilchen beschossen hatten und dabei aber nur eine Atomspaltung erzielten, obwohl sie den Kern mit circa 1 Million Alphateilchen bombadierten, kam Fermi auf den Gedanken, den Kern mit Neutronen zu beschießen. Er glaubte nämlich, daß die Ausbeute des französischen Physikerehepaares so gering ausfiel, weil der Aluminiumkern die Alphateilchen elektrostatisch abstieß und so verhinderte, daß die Teilchen den Kern spalteten. Bei Neutronen hingegen, die ja bekanntlich keine elektrische Ladung besitzen, konnte dieses Problem nicht auftreten.
Fermi und seine Mitarbeiter begannen nun, alle Elemente, die sie auftreiben konnten, mit Neutronen zu beschießen, und das italienische Forscherteam war sehr erfolgreich. Sie entdeckten rund 40 neue radioaktive Substanzen und förderten mit dem erheblichen Materialzuwachs die Untersuchungen über die Kernenergie.
Durch Zufall entdeckten die italienischen Physiker im Herbst 1934, daß sich langsame Neutronen für Kernreaktionen viel besser eignen als schnelle. Schnelle Neutronen rasen aufgrund ihrer hohen Geschwindigkeit viel leichter am Kern vorbei, langsame Neutronen halten sich viel länger in Kernnähe auf und die Wahrscheinlichkeit, von den anziehenden Kräften eingefangen zu werden, ist daher bei langsamen Neutronen viel größer.
Diese Entdeckung war der Schlüssel zur Erforschung der Kernenergie.
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