Nimmt man das Parteiensystem in Westdeutschland als Ganzes, so zeigen sich
in den vier Jahrzehnten zwischen der Gründung der Bundesrepublik 1949 und
der Widervereinigung 1990 vielfältige Veränderungen. Anfänglich gab es
viele Parteien mit Mandatschancen für den Bundestag. 1949 saßen dort 10
Fraktionen (CDU und CSU als Einheit gerechnet) und Gruppen, zudem noch 3
fraktionslose Abgeordnete und die gültigen Stimmen wurden bis auf einen
kleinen Rest (1,1%) in Mandate umgesetzt. Dies lag einerseits am noch nicht
so strengen Wahlgesetz (im Vergleich zu späteren Bundeswahlen) nach dem die
5%-Klausel nur für Länder bestand und ein Mandat über die Erststimmen
genügte, um Mitglied des Bundestages zu werden. Andererseits wurde die
Auferstehung der vielfältigen Parteienlandschaft wie sie in der Weimarer
Republik schon bestand durch die strenge Lizenspraxis der Alliierten
besonders der Amerikaner und Franzosen- gebremst, da diese nur einem Teil
der Parteien die Möglichkeit einräumten, politisch aktiv zu werden.
Der entscheidende Unterschied zu Weimar war von Anfang an die Union. Mit
ihr entstand erstmals eine zweite Volkspartei neben der SPD mit
überkonfessioneller Anlage, d.h. die Union vereinte alle
christ-demokratischen Bewegungen vom katholischen Zentrum bis zu den
protestantischen Nationalen unter einem Dach. 1949 erhielten CDU und SPD
3\\5 aller gültigen Stimmen (60,2%).
Bis 1953 änderte sich die Situation grundlegend. Die Union konnte bei der
zweiten Bundestagswahl einen enormen Sieg verbuchen und ihren Stimmenanteil
gegenüber 1949 um die Hälfte steigern (von 31% auf 45,2%). Dies war ein
deutliches Zeichen für die Zufriedenheit des Volkes mit der Regierung
Adenauers und seiner Politik der Westintegration und der Einführung der
freien Marktwirtschaft unter Wirtschaftsminister Ludwig Erhard. Das
Stimmenwachstum der CDU resultierte aber auch daraus, dass sie den
kleineren bürgerlichen Parteien die Stimmen abnahm und zwar, wie sich
zeigen sollte, dauerhaft. Bei den folgenden 9 Bundestagswahlen sank die CDU
nur dreimal geringfügig unter den `53 erreichten Wert (`72: 44,9%; `80:
44,5%; `87: 44,3%), lag sonst aber immer deutlich darüber und erreichte
sogar einmal (1957) die absolute Mehrheit.
Neben den beiden großen Parteien, die zusammen 74% aller gültigen
Wählerstimmen hinter sich hatten, stellten 1953 nur noch 4 andere Parteien
Abgeordnete: FDP/DVP:53; GB/BHE:27; BP:15 und Zentrum:3. Neu im Bundestag
war die erst 1950 gegründete Vertreterin der Vertriebenen, der BHE (Block
der Heimatvertriebenen und Entrechteten); Zeichen dafür, dass die vor `49
erfolgte Lizenzvergabe der Alliierten nicht ausschlaggebend für politischen
Erfolg auf Bundesebene war.
Jede 15. Stimme (6,7%) blieb diesmal bei der Mandatszuweisung
unberücksichtigt ein sehr beachtlicher Wert. Die verschärfte Sperrklausel
zeigte ihre Wirkung. Die CDU konnte so ihre Koalition mit der FDP und der
DP fortführen und nahm zusätzlich den BHE in die Regierung auf. Die SPD
blieb weiterhin unter ihren verschiedenen fghdtj in der Opposition.
Im Jahre 1957 setzte sich der Konzentrationsprozess weiter fort. Im
Bundestag gab es nun nur noch 4 Gruppen. Neben CDU/CSU und der SPD, die ihr
Tief von `53 zu überwinden begann (31,8%), gab es nur mehr die FDP und die
von der CDU gestützte DP, die ohne Hilfe des großen Koalitionspartners
nicht mehr nach Bonn zurückgekehrt wäre. Der BHE blieb knapp unter 5% und
so lag der Anteil nicht umgesetzter Stimmen diesmal bei 7,1%. Dank der
absoluten Mehrheit der Union bei der dritten Bundestagswahl konnte sie nun
auf die Stimmen der FDP verzichten und gründete nur noch eine Koalition mit
der DP, welche sich jedoch 1961 auflöste und zusammen mit dem BHE die
Gesamtdeutsche Partei (GDP) bildete, die 1964-66 fast vollständig zur CDU
wechselte.
Für die SPD begann 1959 ein nahezu radikaler Wandel. Die Reformen des
Godeberger Parteitags markierten einen Kurswechsel von der sozialistisch
angehauchten Arbeiterpartei zur sozialen Volkspartei mit Akzeptanz der
Westintegration Deutschlands. Die klare Trennung der politischen Lager der
50er Jahre mit freier Marktwirtschaft und Westpolitik Adenauers und der FDP
auf der einen Seite und sozialistische Demokratie mit der Forderung nach
mehr Verstaatlichung und Neutralität in der internationalen Politik auf der
anderen war damit beendet. Der Weg zum System der sich in ihrer
Programmatik wenig unterscheidenden Großparteien war geebnet.
In der 4. Bundestagswahl 1961 bestanden nur noch 3 Fraktionen: CDU/CSU, SPD
und FDP. Diese Struktur, das Zwei-Parteien-System mit der FDP als
Mehrheitbeschaffer, blieb fast 22 Jahre lang erhalten; bis zum Frühjahr 1983.
Die CDU verlor 1961 die absolute Mehrheit (45,3% der Zweitstimmen) und war
damit wieder zur Koalition mit der FDP gezwungen. Der FDP gelang in diesem
Jahr ihr bestes Wahlergebnis überhaupt (12,8%) und ging, trotz der
Vorbehalte gegen Adenauer, wieder mit ihm eine Koalition ein. Die FDP
erreichte schließlich auch, dass Adenauer 1963 sein Amt an Erhard abgab.
Letzterer bekam die Probleme der damaligen Zeit jedoch nicht in den Griff.
Trotz der ersten deutschen Rezession nach dem Krieg und dem zunehmenden
Wertewandel konnte 1965 noch die Bundestagswahl gewonnen werden (47,6%).
Letzten Endes scheiterte die Koalition aber an der Diskussion um den
Haushaltsausgleich 1966 und die Union führte kurzzeitig eine
Minderheitsregierung bis sie im Dezember `66 eine Große Koalition mit der
SPD bildete; Zeichen dafür, dass die zwei Großparteien sich nun so nahe
gekommen waren, dass keine ideologischen Mauern mehr bestanden.
Die große Koalition wurde 1969 überraschend durch die sozial-liberale
Regierung unter Willy Brand, dem ersten Bundeskanzler der SPD abgelöst.
Eine neue Ära der SPD als Legislative Gewalt begann und hielt ab `74 unter
Helmut Schmidt- bis Oktober `82. In dieser Zeit, in der die Union erstmals
in der Rolle der Opposition war, begannen die Unionsparteien unter heftigen
innerparteilichen Diskussionen eine klare Linie festzulegen.
Der 1982 gestartete Versuch eines konstruktiven Misstrauensvotums
scheiterte nur knapp. Der Verdacht, dass einer der beiden Unionspolitiker,
die gegen den damaligen CDU-Vorsitzenden Barzel stimmten, von der DDR
bestochen worden war, scheint nicht unbegründet. Einige Monate später wurde
der Bundestag nach Ablehnung einer Vertrauensfrage des Kanzlers gemäß Art.
68 GG aufgelöst. Bei den anschließenden Neuwahlen erhielt die SPD erstmals
mehr Stimmen als die Union. Barzel trat daraufhin zurück und wurde von
Helmut Kohl als Parteivorsitzender abgelöst.
Ohne den Wandel von der Klassen- zur Volkspartei, wie er mit den
Godesberger Programmen von 1959 noch eher angekündigt als dokumentiert
wurde, wäre der steile Aufstieg der SPD nicht möglich gewesen. Die durch
den Einfluss der Medien geförderte Konzentration der Wähler auf die beiden
großen Volksparteien hatte ihre Parallele im Rückgang der bei der
Mandatszuweisungen nicht zu verwertenden Stimmen. Ihr Anteil betrug 1961
5,8%, 1965 3,6%, 1969 5,4% (NPD verfehlte den Einzug in den Bundestag) und
1% 1972. Auch in Folge blieb er niedrig.
1982 gelang in der Geschichte der BRD erstmals ein konstruktives
Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt. Die FDP wechselte den
Koalitionspartner und demonstrierte so ihre Macht als Zünglein an der Waage
. Neuer Kanzler wurde Helmut Kohl.
Ab 1983 hatte der Bundestag mit den Grünen wieder 4 Fraktionen. Den Preis
dafür musste vor allem die SPD zahlen, der nun die neue Partei viele Wähler
abnahm. Sie sank deshalb von 38,2% im Jahre 1983 auf 37% bei der Wahl von 1987.
Diese erneute Auffächerung des Parteiensystems war Ausdruck des Wandels in
den Ansichten und Prioritäten, der sich seit den `60ern in der Bevölkerung
vollzog und von der Wählerschaft der Grünen besonders deutlich empfunden
wurde. Beim Blick auf den Bundestag könnte man sagen, dass sich innerhalb
von 12 Jahren ein ausgesprochenes Vielparteien- in ein
Dreiparteiensystem verwandelte und sich erst gut zwei Jahrzehnte später,
1983, wieder zu einer Vierergruppe ausweitete.
Eine solche Sichtweise wird der Entwicklung aber nicht ganz gerecht. Zwar
hatte die `57 nochmals verschärfte Sperrklausel in den `50ern und `60ern
eine beachtliche selektive Wirkung (ohne sie wären die kleineren Parteien
kräftiger geblieben), aber ein leichterer Zugang zum Bundestag hätte die
Dominanz der Großparteien wohl auch nicht gefährdet.
Diese war nämlich bereits 1949 gegeben, als es nur geringe Hürden gab, und
sie entsprach den Entwicklungstendenzen der sich immer deutlicher
herausbildenden Mittelstandsgesellschaft.
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