Wir werden im weiteren Verlauf nur die konvergierende Möglichkeit betrachten, bei der es durch einen Marktmechanismus zu einer Annäherung an das Marktgleichgewicht kommt. Dieser Prozess wird in der volkwirtschaftlichen Literatur wegen der optischen Wirkung als "Spinnweb-Theorem" (engl. "Cobweb-Theorem") bezeichnet. Er vollzieht sich in vier verschiedenen Phasen, die sich theoretisch unendlich oft wiederholen, bis das Marktgleichgewicht exakt erreicht ist. In der Praxis gibt man sic in der Regel mit einer Annäherung zufrieden.
Phase d1:
Der Stückpreis, zu dem die Menge a angeboten wird, ist niedriger als der Stückpreis, den der Nachfrager bei der Menge a zu zahlen bereit ist.
Phase d2:
Zu dem höheren Nachfrage-Stückpreis kann nun eine größere Menge angeboten werden. Es entsteht ein so genannter Angebotsüberhang bzw. Angebotüberschuss.
Phase d3:
Die größere Menge wird nun aber nur zu einem geringeren Stückpreis nachgefragt.
Phase d4:
Zu diesem geringeren Nachfrage-Stückpreis wiederum kann nunmehr nur eine geringere Menge angeboten werden. Es entsteht eine so genannter Nachfrageüberhang bzw. Nachfrageüberschuss.
Beispiel:
Angebotsfunktion:
Nachfragefunktion:
A und N sind lineare Funktionen, Graph(A) steigt und Graph(N) fällt streng monoton. Aus der Schnittpunktsbedingung ergibt sich .
Durch Auflösen nach m und Einsetzen in A(m) oder N(m) erhält man die Gleichgewichtsmenge und den Gleichgewichtspreis , also stellt der Punkt das Marktgleichgewicht dar.
Der Stückpreis, zu dem z.B. die Menge 1 angeboten wird, ist um 1,5 niedriger als derjenige Stückpreis, zu dem der Nachfrager bei der Menge nachzufragen bereit ist. Es gilt nämlich
Zu dem höheren Nachfrage-Stückpreis von 4,5 kann nun die größere Menge 1,5 angeboten werden, denn führt zu also entsteht der Angebotsüberhang
Die größere Menge wird nun aber zu dem geringeren Stückpreis 3,75 nachgefragt. Es gilt
Zu diesem geringeren Nachfrage-Stückpreis 3,75 kann nunmehr nur die geringere Menge 1,25 angeboten werden. führt zu , also entsteht der Nachfrageüberhang
Allgemein
Jetzt stellt sich die Frage ob die unendliche Summe aller Teilstreckenlängen des "Spinnweb-Polygons" einen endlichen Wert hat. Dieser Wert kann somit als Maß für den zeitlichen Umfang des Gesamtprozesses angesehen werden, also die Dauer bis zum Erreichen des Marktgleichgewichtes.
In Abhängigkeit von der gegenseitigen Lage von Angebots- und Nachfragekurve sind damit unterschiedliche Anpassungsprozesse bezüglich ihrer zeitlichen Dauer miteinander vergleichbar.
Um diese Aufgaben bewältigen zu können benötigt man Kenntnisse über die Themengebiete Folgen und Reihen, insbesondere geometrische, sowie Grenzwertbetrachtungen.
Wie bereits erwähnt werden die Angebots- und Nachfragefunktionen als linear vorausgesetzt und haben demnach Funktionsgleichungen der Form und mit und .
Somit ist das Anfangsglied der Folge , die die Längen der Einzelphasen des Anpassungsprozesses darstellt.
Bilden der Gesamtfolge
Bildet man jeweils die Quotienten zweier aufeinanderfolgender Glieder, so ergeben sich mittels der Steigungen mA und mN die nachfolgenden Beziehungen:
,....
Die Glieder dieser Gesamtfolge lassen sich nun folgendermaßen in vier verschiedene Gruppen aufteilen.
i) Angebots-Überhänge: d2, d6, d10, ...
ii) Nachfrage-Überhänge: d4, d8, d12, ...
iii) Nachfragestückpreis-Überhänge: d1, d5, d9, ...
iv) Angebotsstückpreis-Überhänge: d3, d7, d11, ...
Bilden von Teilfolgen
Aus den oben beschriebenen vier Gruppen der Gesamtfolge lassen sich nun nach lückenloser Nummerierung vier Einzelfolgen bilden:
Folge der Angebots-Überhänge:
Folge der Nachfrage-Überhänge:
Folge der Nachfragestückpreis-Überhänge:
Folge der Angebotsstückpreis-Überhänge:
Die Folgen (un), (vn), (pn), (rn) sind geometrische Folgen mit . Wegen und konvergieren sie genau dann, wenn gilt. In diesem Fall wird der Anpassungsprozess als kontrahierend bezeichnet. Der statische ( ) und der explodierende ( ) Fall werden im Folgenden nicht betrachtet.
Für den kontrahierenden Fall, der zum Marktgleichgewicht führt, gilt:
Länge des Anpassungsprozesses
Die zu den obigen vier Folgen gehörenden geometrischen Reihen haben Grenzwerte, die sich mit den bekannten Formeln bestimmen lassen.
Analog gilt:
Die Gesamtlänge s des aus unendlich vielen Einzelphasen bestehenden Anpassungsprozesses ergibt sich folgendermaßen:
sges > 0 wegen su, sv, sp, sr > 0
Anwendungsbeispiele
Die folgenden Beispiele sollen abschließend als Anregung dienen, wie unterschiedliche Anpassungsprozesse nach dem Spinnweb-Theorem mit Hilfe der Maßzahl s miteinander verglichen werden können.
Im Unterricht können diese in Themenbereichen wie Geradengleichungen, Schnittpunktberechnungen und Diskussionen gebrochen-rationaler Funktionen (mit den Funktionsvariablen mA bzw. mN) angewendet werden.
Gegeben sind vier Paare von Angebots- A und Nachfragefunktionen N mit folgenden Gleichungen [Folie]. Der Anpassungsprozess an das Marktgleichgewicht soll jeweils mit der Gütermenge a=1 beginnen.
i) Bestimme für jedes der vier Funktionenpaare die Gesamtlänge s des Anpassungsprozesses an das Marktgleichgewicht.
ii) Spezialisiere jeweils die allgemein gegebenen Steigungsmaße:
in (1): mN = -0,5
in (2) und (4): mA = 2
in (3): mA = 3
Berechne für diese Spezialfälle jeweils die Werte für s.
iii) Jetzt können die s Werte verglichen werden.
so verläuft der Anpassungsprozess zu (1) mit s = 18 doppelt so schnell wie der zu (2) mit s = 9.
Wobei man mit diesem Ergebnis vorsichtig umgehen sollte. Es stimmt nur wenn man sich auf das gleiche Produkt (ev. In einem anderen Land) bezieht.
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