In der Auseinandersetzung mit den Anforderungen eines interaktiven Mehrebenensystems kommt es zu Veränderungen in drei zentralen Bereichen:
1. Stärkung der Mitwirkung der Länder an Entscheidungen der europäischen Integration im föderalen System der Bundesrepublik.
2. Etablierung einer eigenständigen Repräsentation von Länderinteressen auf der europäischen Ebene.
3. Veränderungen des kooperativen Föderalismus im Sinne einer stärkeren Abgrenzung der Aufgaben und Kompetenzen der Länder im europäischen Mehrebenensystem und im bundesdeutschen Föderalismus und damit der Umdeutung des kooperativen in einen Wettbewerbsföderalismus.
1. Stärkung der innerstaatlichen Mitwirkung der Länder in Fragen der europäischen Integration
Die Mitwirkung der Länder beruhte in den Anfängen der Europäischen Gemeinschaft bis in die achtziger Jahre vor allem auf der Mitwirkung durch das föderale System der Bundesrepublik. Mit der Vertiefung der Integration erstritten sich die Länder immer weiter gehende Mitwirkungsrechte und europäische Handlungsspielräume. Die Mitwirkung der Länder beruht traditionell auf zwei Prinzipien: erstens dem Informationsprinzip, das die Bundesregierung verpflichtet, den Bundesrat über alle Vorhaben der Europäischen Gemeinschaften zu unterrichten, die für die Länder von Interesse sein könnten, und zweitens der Mitwirkung der Länder durch den Bundesrat bei Übertragung von Hoheitsrechten von der Bundes- und Landesebene auf die Europäische Union. Bereits durch die Ratifizierung der Römischen Verträge war ein Zuleitungsverfahren festgesetzt worden, das dem Bundesrat ein eingeschränktes Informationsrecht in Angelegenheiten der europäischen Integration einräumte. Zusätzlich zu diesem Informationsrecht wurde 1979 nach erneuten Verhandlungen zwischen Bund und Ländern über eine Formalisierung der Zusammenarbeit das Länderbeteiligungsverfahren eingeführt, das in Fällen der teilweisen oder gänzlichen Berührung von ausschließlichen Länderkompetenzen die Möglichkeit der Standpunktdarlegung durch die Länder vorsah. Von diesem Standpunkt konnte der Bund nur aus \"zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen\" abweichen. Mit der Ratifikation der Einheitlichen Europäische Akte (EEA) wurde die Länderbeteiligung reformiert und als Bundesratsverfahren rechtlich verankert. Eine wirkliche Mitwirkung des Bundesrates wurde jedoch erst mit dem Maastrichter Vertrag und der Grundgesetzänderung von 1993, insbesondere der Revision des Artikels 23 GG, erreicht .
Mit diesem Schritt hat der Verfassungsgesetzgeber deutlich gemacht, dass er die Europapolitik nicht länger als Teil der klassischen Außenpolitik im Sinne des Art. 32 Abs. 1 GG betrachtet; er hat sich durch die Grundgesetzänderungen vielmehr das von den Ländern propagierte Leitbild von der \"europäischen Innenpolitik\" zu Eigen gemacht . Der neue Art. 23 GG bindet die Übertragung von Hoheitsrechten von Bundes- und Landesebene auf die Europäische Union an die Zustimmung des Bundesrates. Den Ländern ist eine Beteiligung zugesichert. Sie können Ländervertreter in die deutsche Delegation zu den Verhandlungen in den Beratungsgremien des Rates und der Kommission entsenden, die von dem Bundesratsverfahren betroffen sind. Die vom Bundesrat bestimmten Ländervertreter sind in der Regel höhere Verwaltungsbeamte aus den jeweils zuständigen Ministerien, die über die nötige Sachkenntnis der zu verhandelnden Materie verfügen. Sie sind Mitglieder der deutschen Delegation. In der Besetzung der EG-Gremien mit Ländervertretern ist ein deutliches Übergewicht der größeren Landesverwaltungen von Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg festzustellen, das die festgelegten Ländergewichte im Bundesrat übersteigt.
Zur Stärkung ihrer Position und zur besseren Abstimmung greifen die Länder auf ein gemeinsames Vorgehen in Form der horizontalen Koordination der Länderinteressen, als Politik der Dritten Ebene, zurück. Dies geschieht u. a. durch die im Oktober 1992 gegründete \"Ständige Konferenz der Europaminister der Länder in der Bundesrepublik Deutschland\" (EMK) als speziell auf die EU-Politik ausgerichtete Institution sowie durch die Konferenzen der Ministerpräsidenten (MPK) als hochrangigstes Gremium und die Konferenzen der einzelnen Fachministerien. Bemerkenswert ist die horizontale Länderkoordination auch dann, wenn sie wie im Fall der Maastrichter Verhandlungen um eine interregionale Dimension erweitert wird, um ihre Forderungen nicht als allein deutsche Vorstellung erscheinen zu lassen und somit deren Durchsetzung zu erleichtern. Die Länder nutzen daher die \"Versammlung der Regionen Europas\" (VRE) und der Konferenz \"Europa der Regionen\" zur Unterstützung ihrer Forderungen.
Besonders sichtbar wird die Bedeutung der innerstaatlichen Mitwirkung der Bundesländer in EG/EU-Angelegenheiten bei ihrer Rolle im Rahmen von Regierungskonferenzen.
2. Die Rolle der Bundesländer im Rahmen der letzten Regierungskonferenzen: Von Maastricht über Amsterdam nach Nizza
Die Regierungskonferenz 1990 (Der Vertrag von Maastricht)
Im August 1990 hatten die Länder im Bundesrat ihre Erwartungen an die Regierungskonferenz, die in den Vertrag von Maastricht mündete, in einer Entschließung zusammengefasst. Zu den vier zentralen Punkten, die auch in der Folgezeit die europapolitische Debatte der Länder bestimmte, gehörten : erstens die Verankerung des Subsidiaritätsprinzips und der \"Dritten Ebene\", d. h. der Länder und Regionen, im Gemeinschaftsvertrag; zweitens die Teilnahme an Sitzungen im zentralen Legislativorgan der Gemeinschaft, dem Ministerrat, durch Vertreter von Ländern und Regionen; drittens die Errichtung eines eigenständigen Regionalorgans auf europäischer Ebene, in dem die regionale Ebene ihre spezifischen Interessen in den Gesetzgebungsprozess der Gemeinschaft einbringen kann, und viertens die Festschreibung eines eigenständigen Klagerechts für Länder und Regionen vor dem Europäischen Gerichtshof, um gegen Verstöße gegen ein im Vertrag zu verankerndes Subsidiaritätsprinzip gerichtlich vorgehen zu können. Diese Beschlüsse des Bundesrates wurden auf der Münchner Ministerpräsidenten-Konferenz im Dezember 1990 bestätigt. Diese Vorschläge, die eine an den Strukturprinzipien der Subsidiarität und des Föderalismus orientierte Europäische Gemeinschaft und vor allem \"die Achtung des Bestandes und die Förderung des Aufbaus einer staatlichen Ebene unterhalb derjenigen der Mitgliedstaaten\" zum Ziel hatten, fanden zu diesem Zeitpunkt bei der großen Mehrzahl der anderen (überwiegend nicht föderal verfassten) Mitgliedstaaten wenig Unterstützung bzw. offene Ablehnung.
Trotz dieser schwierigen Ausgangssituation war es den Ländern gelungen, die Bundesregierung dazu zu gewinnen, einige ihrer Forderungen in die Verhandlungen der Regierungskonferenz einzubringen. Das Ergebnis erbrachte mit der Einrichtung des \"Ausschusses der Regionen\" (AdR) als beratendes (!) Organ und mit der Festschreibung des Subsidiaritätsprinzips erstmals eine Verringerung der \"Landes-Blindheit\" (Ipsen) der europäischen Verträge. Dies war freilich weit entfernt von den ursprünglichen Vorstellungen der Länder von einer dreistufigen Europäischen Union.
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