5.1.1. Krieg mit China
"Die unerbittliche Logik der Revolution (führt) China zum Kriege hin, der, wie es die chinesischen Führer hoffen, die schwierigen ökonomischen und sozialen Probleme Chinas lösen und ihm eine führende Rolle in der heutigen Welt sichern soll."
Für Amalrik ist ein Krieg zwischen der UdSSR und China aus politischen, ideologischen und geographischen Gründen "unerbittlich logisch". Seine Ausgangshypothese ist, dass die sozialistische Revolution in China "genau die gleichen Etappen" durchlaufe wie die sowjetische. Diese unterteilt er in eine internationale, eine nationale und eine militärisch-imperialistische Phase, die sich allgemein durch Expansionsstreben auszeichne und im Fall der Sowjetunion "mit der Kontrolle über halb Europa" geendet habe . Nach Amalriks Theorie hatte das China der 70er Jahre sowohl die internationale als auch die nationale Phase durchlaufen. Ein Krieg ist also allein nach ideologischen Gesichtspunkten für Amalrik vorprogrammiert. Zusätzlich biete er jedoch, so der Historiker, einerseits die Möglichkeit zur Lösung sozialer und wirtschaftlicher Probleme und andererseits zur "nationalen Rache für jahrhundertelange Demütigung und Abhängigkeit" . Als Expansionsobjekte seien für China drei Staaten bzw. Räume möglich: die USA, die UdSSR und allgemein der südasiatische Raum. Zu einem Krieg mit der USA ist China jedoch laut Amalrik vom militärischen Gesichtspunkt aus "keinesfalls in der Lage" . Damit scheide auch eine Expansion in den Süden Asiens, der unter amerikanischem Schutz stehe aus, da es andernfalls "zu zermürbenden lokalen Kriegen nach Art des Vietnamkrieges" kommen könne. Ein Krieg in dieser Region sei umso gefährlicher, da "im Norden ein heimtückischer Feind steht, der bereit ist, jeden Fehler Chinas auszunutzen" - die Sowjetunion. Die Ausschaltung dieses Feindes und die Eroberung seiner wirtschaftlich interessanten Gebiete müsse also logischerweise Ziel chinesischer Außenpolitik sein. Diese Überlegungen könnten außerdem auch das Sowjetregime zu einem "präventiven Schlag" seinerseits veranlassen.
5.1.2. "Und die USA?"
"Die Frage der Annäherung der USA an die UdSSR oder an China (muß) nicht nur auf der Gleichheit der Kräfte und auf den negativen Bestreben, die eigene Ausnahmestellung zu erhalten basieren, sondern auch auf der Gemeinsamkeit irgendwelcher positiven Interessen. (...) Was gibt es schon Gemeinsames zwischen einem demokratischen Land mit seinem Idealismus und seinem Pragmatismus und einem Land ohne Glauben, ohne Tradition, ohne Kultur und ohne die Fähigkeit, irgend etwas richtig zu machen?"
Eine amerikanisch-sowjetische "Front gegen Gelb" ist für Amalrik aus oben genannten Gründen unwahrscheinlich. Ein "rassenfanatischer Standpunkt" seitens der USA wäre "sehr bedauerlich", aber auch genauso unwahrscheinlich, da China mit steigendem Lebensstandard "in eine Periode der Liberalisierung eintreten (werde), was in Verbindung mit seinem traditionellen Glauben an geistige Werte aus ihm einen ausgezeichneten Partner für das demokratische Amerika machen würde."
5.1.3. Das Verhältnis zu Europa
"Es (wird) vermutlich zur Wiedervereinigung Deutschlands kommen, (was) mit dem Prozeß der "Entsowjetisierung" Osteuropas zusammenfallen und diesen stark beschleunigen würde."
Ausgangspunkt für Amalrik ist auch bei der "europäischen Frage" der Krieg mit China, der "Kräfte der Sowjetunion in den Osten verlagern (werde)" und so der "Verteidigung sowjetischer Interessen in Europa" im Weg stehen werde. Mögliche Varianten des europäischen Umbruchprozesses seien "die ungarische, die rumänische und die tschechoslowakische", allerdings "dürften höchstwahrscheinlich nationalkommunistische Regimes entstehen", die in den einzelnen Ländern Ähnlichkeit mit dem vorkommunistischen Regime haben würden. Im Falle einer sowjetischen Okkupation dieser Staaten werde die UdSSR in einen Zweifrontenkrieg zwischen China und Europa geraten, "worauf sich die UdSSR natürlich nicht einlassen kann."
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