Der Begriff \"industrielle Revolution\" erweckt den Eindruck, als wären mit einem Schlag, mit einer einzigen bahnbrechenden Erfindung die Fundamente von Wirtschaft und Gesellschaft verändert worden. Aber selbst die Dampfmaschine und der mechanische Webstuhl hatten eine lange \"Vorgeschichte\". Die bahnbrechenden Erneuerungen wurden nicht von genialen Erfindern über Nacht eingeleitet, sie waren das Ergebnis jahrzehntelangen Suchens und Experimentierens. Sie konnten erst dann wirksam werden, wenn die wirtschaftlichen Voraussetzungen gegeben waren.
Am Beispiel der Textilindustrie und der Dampfmaschine sollen die komplizierten Wechselwirkungen zwischen technischen Neuerungen und wirtschaftlicher Entwicklung gezeigt werden.
Eine einfache Verbesserung des Handwebstuhles(1), mit deren Hilfe das Webschiffchen durch eine Feder hin- und herbewegt wurde, ermöglichte die vier- bis fünffache Webleistung pro Tag. Dies hatte zur Folge, dass zu wenig Garn zur Verfügung stand (1746). Doch erst 1764 baute Hargreaves seine handgetrieben \"Spinning Jenny\"(2) und 1769 Arkwright eine Spinnmaschine, die durch Wasserkraft angetrieben wurde. Der erhöhte Bedarf an Baumwolle (3) konnte erst gedeckt werden, nachdem die amerikanischen Plantagenbesitzer den Anbau kräftig ausgeweitet hatten. Dies war aber trotz des Einsatzes hunderttausender Sklaven erst nach der Erfindung der Baumwollentkernungsmaschine durch Whitney möglich. Der Preis für Rohbaumwolle sank. Die billiger werdenden Baumwollgewebe aber trafen auf einen wachsenden Markt (4). In England, Amerika, auf dem europäischen Kontinent \"explodierte\" die Bevölkerung: Zwischen 1820 und 1850 verdoppelte sich die Bevölkerung Großbritanniens auf 20 Millionen, nach der Aufhebung der Kontinentalsperre stand den britischen Exporteuren der riesige europäische Markt offen und in Indien, dem Herkunftsland der Baumwollstoffe, wurde deren handwerkliche Produktion durch die englischen Kolonialherren vernichtet.
Alle Veränderungen in der Produktion aber waren noch nicht so bedeutend, vergleicht man sie mit der Entwicklung in den 1830er Jahren. Erst mit dem Einsatz geeigneter Hochleistungsdampfmaschinen (5) wurde man von der Wasserkraft unabhängig und konnte zahlreiche Arbeitsmaschinen gleichzeitig antreiben. 1832 gab es in ganz England 6000 mechanische Webstühle, 1840 schon 50 000.
1712 baute Thomas Newcomen seine Dampfmaschine. Mit ihrer Hilfe konnte man das Grubenwasserproblem in den Steinkohlebergwerken lösen. 1765 verbesserte James Watt diese Maschine erheblich und gründete mit einem Unternehmer in Brirmingham eine Maschinenfabrik. Diese Dampfmaschinen waren aber noch sehr groß, teuer und störanfällig. Erst Anfang des 19. Jahrhunderts wurden die ersten kleineren und billigeren Hochdruckdampfmaschinen gebaut. Jetzt wurde die Dampfmaschine als Kraftmaschine in den Textilfabriken brauchbar, erst jetzt konnte sie allmählich das Wasserrad verdrängen (ca. 1789, franz. Revolution). Der Ankauf einer Dampfmaschine war nur dann rentabel, wenn mehrere Spinnmaschinen oder Webstühle aufgestellt wurden. Mit der Zeit konnte man mit einer einzigen Dampfmaschine zehntausende Spindeln in riesigen Maschinensälen betreiben. Erst jetzt wurde die Konzentration in der Textilindustrie so stark, dass man von Fabriken im heutigen Sinn sprechen kann.
Die neue Maschinengeneration war bereits vollständig aus Eisen. Ihre Herstellung setzte voraus, dass genügend Gusseisen in ausreichender Qualität und nicht zu teuer zur Verfügung stand. Dies war erst nach 1810, nach zahlreichen Neuerungen in der Eisen- und Stahlproduktion, möglich. Die wachsende Maschinenindustrie wirkte nunmehr aber verstärkt auf die Stahlerzeugung zurück, die Produktion stieg an, man brauchte mehr Erz, mehr Kohle und vor allem bessere und billigere Transportmöglichkeiten. Die Erfindung der Eisenbahn \"lag in der Luft\"...
Das 19. Jahrhundert bezeichnet man auch als das \"Eisenbahnzeitalter\".
\"Die Eisenbahn war nicht einfach nur ein Verkehrsmittel, mit dem vorhandene Transportproblem besser gelöst werden konnten, sie war das größte Investitionsprojekt des 19. Jahrhunderts, das alle anderen wirtschaftlichen Aktivitätene bei weitem übertreffen und die gesamte Weltwirtschaft mitreißen sollte.\"
Abbildung: George Stephensons \"Rocket\", 10 PS, Höchstgeschwindigkeit 50 km/h, gewann am 6. Oktober 1829 das \"Rainhill - Wettrennen\", bei dem die geeignetste Lokomotive für die Eisenbahn Liverpool - Manchester ermittelt wurde.
1830 wurde die erste längere Eisenbahnlinie zwischen Manchester und Liverpool eröffnet. Ein wahres Eisenbahnbau- und Spekulationsfieber brach daraufhin in England aus und zahlreiche Aktiengesellschaften wurden gegründet. Zwar gab es 1850 schon 10 600 km Eisenbahnlinien, die Spekulationen mit hohen Gewinnen hatten aber auch schwere Krisen mit Kursverfall der Aktien und Massenarbeitslosigkeit zur Folge.
Die Eisenbahn ließ nicht nur die Transportkosten sinken, sie hatte auch eine riesige Nachfrage nach Eisen und Stahl für Schienen, Brücken, Bahnhofkonstruktionen, für Lokomotiven und Waggons zur Folge. Der Eisenbahn- und Maschinenbau wurde zum wichtigsten \"industriellen Schrittmacher\" bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Eisenbahn als Verkehrsmittel ermöglichte neue Standorte, machte Rohstoffe, Güter und vor allem Menschen \"beweglicher\". Erst im Eisenbahnzeitalter konnten große neue Industrieregionen, Ballungszentren und Millionenstädte entstehen.
Die Vorrangstellung der Britischen Inseln 1830 bis 1850:
60% aller Baumwollstoffe, 50% des Roheisens, 75% der Steinkohle der Welt wurden in Großbritannien erzeugt bzw. gefördert.
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