Daß die DDR überhaupt noch bestand, verdankte man hauptsächlich der Roten Armee und der Stasi, die die Opposition gleich von vornherein unterdrückten. Jedoch rückte in den achtziger Jahren der Zusammenbruch der SED immer näher. Die mangelnde Legitimität des politischen Systems, die bereits von Anfang an ein Problem gewesen war, die wachsenden ökonomischen Schwierigkeiten, die man nicht in den Griff bekam und das Reformdefizit waren die maßgeblichen Ursachen für die Krise im Frühjahr 1989. Während sich die baltischen Staaten schon längst für unabhängig deklariert hatten und die Reformen sämtliche Nachbarstaaten umkrempelten, steckte die DDR immer noch in der Isolation fest. Sowohl der Lebensstandard als auch die Wirtschaftskraft lagen deutlich unter denen des reichen, demokratischen Nachbarn.
Eine steigende Zahl von Ausreiseanträgen, aber auch die zunehmende Fluchtbewegung aus der DDR dokumentierten am Ende der achtziger Jahre den inneren Zustand eines Regimes, das seit 1945 primär von außen durch die Sowjetunion stabilisiert bzw. überhaupt erst am Leben erhalten worden war und sich nun in einer veränderten Umwelt plötzlich alleine behaupten sollte. Auch wenn nur wenige dies am Beginn des Wendejahres erkannten oder wahrhaben wollten: Die DDR stand kurz vor ihrem Kollaps.
Wesentlichen Anteil an der gespannten Lage in der DDR hatte Ungarn, daß mittlerweile eng mit dem Westen zusammenarbeitete und sich 1989 sogar zur vollständigen Einhaltung der UN Menschenrechtskonvention erklärte. Am 2. Mai 1989 begannen ungarische Soldaten in einem historischen Akt mit dem Abbau der Grenzanlagen (Eiserner Vorhang) zur Republik Österreich. Ungarn kündigte damit die Solidarität der Ostblockstaaten bei der Abriegelung des kommunistischen Herrschaftsbereichs auf. Diesen Schritt interpretierte der DDR Verteidigungsminister Keßler gegenüber dem Büro der SED als eine technische Maßnahme, von der die eigentlichen Grenzkontrollen nicht betroffen wären. Obwohl man sich durchaus der Sprengkraft dieses Vorgangs bewußt war, zog es die SED vor, sich selbst zu beschwichtigen. Man ging von der Vermutung aus, die ungarischen Grenzsoldaten würden die aus der DDR kommenden Bürger sowieso an der Ausreise hindern.
Sorgen hingegen bereitete in Ostberlin jedoch die Tatsache, daß es sich bei der Grenzöffnung gegenüber Österreich um eine alleinige Entscheidung der ungarischen Regierung handelte. Außerdem hatte keiner die Führung der DDR konsultiert beziehungsweise benachrichtigt. Die Flüchtlingszahlen stiegen wieder an, und aus Einzelfällen wurde schließlich ein ganzer Strom.
Dennoch hielt die SED Führung weiter an ihrem starren Kurs der Reformverweigerung fest. Beispielsweise begrüßte die Regierung die Vorfälle des 4. Juni 1989 in China, als die chinesische Armee mit Waffengewalt die Studentenrebellionen gegen das totalitäre System am Platz des himmlischen Friedens niederschlug. Diese Zustimmung Honeckers wurde auch als Drohung an die Oppositionsbewegungen aufgefaßt. Käme es zu einer ernsthaften Bedrohung der Regierung, würde auch das Militär zu drastischen Mitteln schreiten.
Im selben Jahr standen auch die Kommunalwahlen an, bei denen die SED stets mit Prozentsätzen von über 99 Prozent verwöhnt wurde. Man war sich einig, daß dieses Ziel auf keinen Fall mehr erreicht werden konnte, hatte die zunehmende Demokratisierung doch bereits die DDR weitgehend infiziert. Am 4. Mai wurde gewählt, und drei Tage später gab der Vorsitzende der Wahlkommission Egon Krenz nach Auszählung der Stimmen bekannt, daß die SED mit 95,98 Prozent neuerlich gewonnen hatte. Im ganzen Land habe es weniger als 200 000 Gegenstimmen gegeben. Zweifellos unterschied sich diese Wahl in keiner Weise von den früheren und war auch dieses Mal manipuliert worden, wie Schabowski später erklärte. Die Verfälschung der Wahlergebnisse war ein Mittel, um die SED an der Macht zu behalten. So scheiterten alle anderen Parteien an der fünf Prozent Hürde. Die SED hatte sich aber in der Friedfertigkeit der Bürger getäuscht, die die verfälschten Ergebnisse nicht länger hinnehmen wollten. Tatsächlich waren die Wahlmanipulationen vom 7. Mai gravierender als bei früheren Wahlen in der DDR. Das innen- und außenpolitische Umfeld hatte sich aber seitdem verändert.
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