Noch ist die CD-ROM das Leitmedium für Interaktivität, und der Transport einer Videocassette von A nach B wird für einige Jahre der ökonomisch leistungsfähigere Transportweg als die direkte Übertragung von Lehrveranstaltungen in Breitbandnetzen bleiben. Zu den Binsenweisheiten der Hochschuldidaktik gehört die Tatsache, daß eine Vorlesung umso interessiertere Hörer findet, je mehr in ihr eine vernünftige Mischung aus Unterhaltung und Belehrung gefunden werden kann. Der einfachen Abbildung einer Veranstaltung, oft nur mit einer Kamera ohne Schnitt und Gegenschnitt realisiert, fehlt häufig jede audiovisuelle Dramaturgie. Selbst die rhetorischen Leistungen des Vortragenden gehen dann in der Monotonie der Übertragung verloren. Bild- und Tonträger werden auch in Zukunft für die Lehre ihren Sinn bewahren, weil sie preiswertere und reflektiertere Produkte ermöglichen. Völlig überhastet - online - im "jetzt" und "sofort" zu hecheln, ist ein schlechtes Leitbild für das neue Lernen, das vielmehr freie interaktive Wahlen aus gut gestalteten Produkten ermöglichen soll. Der Erfolg des "fast-food" liegt nicht darin, daß es spontan und relativ kurzfristig erstellt wurde. Ihm gehen vielmehr eine genauere Marktanalyse und sein perfekt geplantes und gestyltes Marktgeheimnis voraus.
George Gilder hat unter dem Titel "Life after Television" ein bemerkenswertes Buch geschrieben, das in die gleiche Richtung weist, wie der durch unser Institut für Medienintegration vor cirka einem Jahr veranstaltete Kongreß "Unterhaltung in der Post-Fernseh-Ära". Nach Gilder ist das Fernsehen "out" und der Computer "in". Gilder hält im Gegensatz zu mir zwar auch das Telefon für eine megaout-Technologie, aber ihm muß sicherlich darin zugestimmt werden, daß die neue Ästhetik des Multimediazeitalters weder durch die klassischen Fernsehgesellschaften noch durch die Telefongesellschaften wirklich erschlossen werden kann. Wenn es stimmt, daß das Leitmedium Fernsehen an Attraktivität und Faszination verliert, die Dauer, die die Zuschauer dem Medium widmen, stagniert oder gar abnimmt, und sich die mentale Konzentration auf das Medium im Raume verliert, dann zumindest scheint es plausibel zu sein, daß die jungen Leute, die im interaktiven Medienkonsum wieder praktisch mitmischen wollen, tatsächlich neue und anspruchsvollere Konsumenten als ihre Eltern sind. Sie haben sich mit dem Computer ein neues Leitmedium erschlossen, das sie nun sehr selbstbewußt und dezidiert auch im Hochschulalltag einfordern.
Dediziertes Lernen fördern, heißt, eine angemessene Balance aus Unmittelbarkeit und Direktheit zu finden. "Dedication" bezeichnet im Englischen ein Begriffsfeld zwischen Widmung und Hingabe. Immer mehr junge Leute scheinen die klassische Massenkommunikation als zu fade zu empfinden. In der Erlebnisgesellschaft sind Ereignisse gefragt, denen man sich wieder hingebungsvoll widmen kann. Während die direkte Online-Anbindung zudem nur eine ortsgebundene Unmittelbarkeit ermöglicht, wenn auch an wechselnden Orten und Anschlüssen, so erweitert die Offline-Kommunikation unser Verhaltensspektrum erheblich. Gerade die wirklich mobilen Anwendungen sind durch die vorerst noch vorhandene Knappheit an Frequenzen auf deutliche Reduktionen im Online-Verkehr angewiesen. Die Direktheit der persönlichen Ansprache kann selbst dann erhalten bleiben, wenn wir nicht unmittelbar online erreichbar sind. Der Trend von der ortsgebundenen Unmittelbarkeit zur raum-zeitlichen Direktheit ist hier vorgezeichnet. Offline-Techniken eignen sich, um im Datenstreß durch Dekommunikation neue Freiräume zu ermöglichen. Dies erleichtert die oben postulierte intensivere Verwendung von Techniken der Gemeinsamkeit, weil wir direkt untereinander in Verbindung bleiben können, ohne zur unmittelbaren Verbindung gezwungen zu sein. Dediziert gewidmente Formen der Individualkommunikation wachsen in die Refugien der diffusen Massendistribution.
Neue Formen des Lernens werden nur dann Erfolg haben, wenn sie dem Streben einer neuen Generation nach neuen Fomen hingebungsvoller Gemeinsamkeit zu entsprechen vermögen. Der Tribalismus der Technokulturen zeigt die allgemeine Wegrichtung. Die Computerkulturen junger Anwendungsspezialisten erstaunen darüber hinaus durch die Ernsthaftigkeit ihrer Kooperation. Jugendkulturen haben der Langeweile schon immer den Kampf angesagt. Ein Großteil der aktuellen Online-Angebote ist nun einmal langatmig und langweilig. Nur euphorisierte Manager, Politiker oder Hochschullehrer ohne Computererfahrung, die die neuen Kommunikationstechniken "zu Tode lieben" (Esther Dyson) merken nicht, wie langsam die neue Medienwelt wirklich ist, die sie mit markigen Worten als "new frontier" im Exportkrieg propagieren.
|