Mit der Maueröffnung war die deutsche Einigung allerdings noch keine beschlossene Sache. Die Entwicklung seit Mitte der achtziger Jahre deutete vielmehr in die entgegengesetzte Richtung. Die Welt hatte sich an die deutsche Teilung gewöhnt. Die DDR war auf der Bühne der internationalen Politik inzwischen anerkannt. Die Wende vom Herbst 1989 traf daher Ost und West unvorbereitet. Obwohl es bei näherer Betrachtung zahlreiche Hinweise und Vorboten für den Wandel im kommunistischen Lager gegeben hatte, wurde man davon im Westen ebenso überrascht wie in der Sowjetunion. Jene war über die weitere Vorgangsweise zuerst uneinig. Teile der KPdSU wollten durch Miltärgewalt die Grenzen wieder schließen Gorbatschow und vor allem Außenminister Eduard Schewardnadse wiesen jedoch auf die möglichen Konsequenzen einer Militäraktion in der Mitte Europas hin. Später behauptete Schewardnadse in einem Interview sogar, in diesen Stunden habe man sich \"am Rande eines Dritten Weltkrieges\" bewegt. Glücklicherweise habe er in der Auseinandersetzung mit den Befürwortern einer Militäraktion Rückendeckung von Gorbatschow erhalten, so daß ein militärischer Konflikt habe vermieden werden können. Während sich Frankreich und Großbritannien besorgt über die Vorgänge des 9. November zeigten, begrüßte man die Wende in den USA. Am 10.November rief Kohl bei einer Kundgebung in Berlin der Menge zu: \"Wir sind an Eurer Seite. Wir sind eine Nation\".
Am 13. November kam Modrow an die Spitze der DDR gewählt und entschied sich, durch Reformen eine sozialistische Demokratie aufzubauen. Es galt die DDR finanziell zu sanieren, wenn nötig auch mit Hilfe der Bundesrepublik. Unter Umständen hätte Modrow mit diesen Mitteln auch Erfolg gehabt, doch war es 1989 schon zu spät. Neben dem verlorenen Vertrauen der Bürger in die SED, besaß die DDR außerdem ein Haushaltsdefizit von 120 Milliarden Mark und eine Auslandsverschuldung von 120 Milliarden Dollar. Die Produktivität ostdeutscher Betriebe war um 50 Prozent gesunken. Mit Gesprächen und Verträgen mit der Bundesrepublik versuchte die neue Regierung Fördermittel von der Europäischen Gemeinschaft zu erhalten. Änderungen wurden nicht erzielt, und der Flüchtlingsstrom riß nicht ab. Anfang Dezember war die Ära Krenz endgültig zu Ende. Neuer Vorsitzender der SED, die sich nun \"Sozialistische Einheitspartei - Partei des Demokratischen Sozialismus\" (SED-PDS) nannte, wurde der Rechtsanwalt Gregor Gysi, der sich als Verteidiger von Regimegegnern einen Namen gemacht hatte, sich nun aber ebenfalls rasch als loyaler Parteigänger Modrows erwies.
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