2.1 Lebensstil
(Becher)
In der Verwendung des Begriffs Lebensstil trifft man am ehesten auf die Zuordnung zur Freizeitsphäre. Als Beispiele für einen bestimmten Lebensstil werden etwa die Wahl bestimmter Speisen und Getränke, Mode, Wohnungseinrichtungen und Musik- oder Sport- Vorlieben genannt. All dies gehört vorrangig zum Privatleben. Für kulturwissenschaftliche Untersuchungen mag dieser Aspekt am interessantesten scheinen, doch der Lebensstil- Begriff umfasst neben sozialen und kulturellen Erfahrungen als Orientierungsmuster auch ökonomische und politische Ursachen. Ökonomische Ursachen durch Beruf, Status, Einkommen sowie politische Ursachen im Maß der Freiheit, welches die Politik dem einzelnen gewährt oder vorenthält.
Dies wird in den frühen Deutungen des Lebensstilbegriffs von Max Weber berücksichtigt. Er verwendet die Begriffe \"Lebensführung\" und \"Stilisierung des Lebens\". in seiner Unterscheidung von Klassen, Ständen und Parteien. Dabei hat der Begriff \"Lebensführung\" mehr den Akteur oder eine Gruppe von Handelnden im Auge, \"Stilisierung des Lebens\" beschreibt die ritualisierten Handlungen.
Pierre Bourdieu führt den Habitus als zentralen Schlüsselbegriff ein; damit meint er Dispositionen, die auf ein System verinnerlichter Wahrnehmuns- und Handlungsmuster zurückgehen, die allen Mitgliedern einer Gruppe oder Klasse gemeinsam sind. Diese Handlungsmuster stammen also aus der objektiven Realität sozialer Strukturen, sind aber von den Individuen aufgenommen, verarbeitet, gelernt und internalisiert. Dies soll hier genügen um die Komplexität des Lebensstil-Begriffs deutlich zu machen. Wenn verschiedene Lebensweisen als Lebensstile gelesen werden sollen, ergibt sich die Schwierigkeit, daß man sich an den jeweils dominanten Formen zu orientieren hat. Was nun als \"dominant\" zu gelten habe, läßt sich nicht einfach mit \"mehrheitlich\" gleichsetzen; neue Entwicklungen werden zunächst von einer Avantgarde aufgegriffen und ausgebildet, bevor sie zum vorherrschenden Typus werden, neben dem ältere Lebensweisen noch lange bestehen können. So ist unzweifelhaft, daß \"moderner Lebensstil\" aus der urbanen Lebensweise hervorgeht und sich weitgehend in der Auseinandersetzung mit städtischen und dann industriell bestimmten Lebensbedingungen entwickelt.
Mittlerweile dürften die Stadt/Land-Unterschiede durch die Schnelligkeit sowie ständige Präsenz der Medien und der hohen individuellen Mobilität aber immer schneller ausgeglichen werden.
2.2 Jugendlichkeit
(Liesenfeld)
Jugendlichkeit bezeichnet die charakteristischen Eigenschaften der \"Jugend\". Dabei bedeutet Jugend genauso die Jugendzeit wie die Jugendlichen selbst. Der Lebensabschnitt zwischen Kindheit und Erwachsensein ist gekennzeichnet mit dem suchen nach einem Lebenspartner und einem Beruf, d. h. Existenzsicherung. Einhergehend geschieht die Abnabelung von der \"Fremdbestimmtheit\" durch die Eltern. Zum Jugendbild aller Zeitsrömmungen gehören Kraft, Energie, Stärke, jenes Urvertrauen zu sich selbst, einzig und allein resultierend aus der Tatsache des Jungseins, aber auch des Mangels an Erfahrungen. In der Romantik finden wir Jugendlichkeit in der Person des Taugenichts, der Freisein, Lebensfreude, bukolisches Genießen, Einssein mit der Natur und Abenteuerlust, himmelhoch jauchzend oder zu Tode betrübt in eine für ihn unerschöpfliche Zeit einbettet. Um diese geht es auch Faust, der sogar, um seine Jugend wieder zu erlangen, bereit ist, seine Seele an Mephisto zu verkaufen. Denn nur so scheint Faust seine Neugier, seinen Wissensdurst und seinen Drang nach Erkenntnis befriedigen zu können. Einen weiteren Aspekt liefern die verschiedenen Solidarisierungen junger Menschen im Laufe der Geschichte. Anzuführen ist das oppositionelle, aufrührerische Element, das mit unterschiedlichen Inhalten und Zielsetzungen etwa in der Französischen Revolution, in den napoleonischen Freiheitskriegen oder aber auch in der Studentenbewegung der achtundsechziger Jahre und die Friedensbewegung der achziger Jahre zum Tragen kam. Generell kann behauptet werden, daß vor allem in der Jugendzeit in einer Gruppe Gemeinschaftserlebnise gemacht werden. Dabei muß die Gruppe nicht unbedingt oppositionell ausgerichtet sein.
Wenn der Abschnitt des Jugendalters als \"zwischen Kind und Erwachsener\" definiert ist, haben viele Jugendliche eine Jugend ohne viel Jugendlichkeit erlebt. Jugendlichkeit für alle Jugendliche einer Generation gibt es erst seit diesem Jahrhundert: \"Das Bild einer sozialen Eigenwelt der Jugend lebt von dem Bewußsein eines Eigenwertes der Jugendzeit, die sich auch als Recht der Jugend auf eine autonome soziale Stellung im Gesellschaftsganzen\" dokumentieren muß\" meint der Soziologe Schelsky. Die Ausbildung eines solchen Eigenwertes ist, nach Rosenmayr, in \"patriarchalisch strukturierten archaischen Gesellschaften mit punktuellen Herrschaftssitzen ..\", die auf der \"Unterordnung des Sohnes unter den Vater oder Männerbund\" basieren, nicht gegeben. Demnach scheint im Mittelalter und in der frühen Neuzeit eine Jugendphase in ihrer Eigengesetzlichkeit lediglich für bestimmte Gruppen wie etwa die höfischen Knappen oder die fahrenden Scholaren möglich gewesen zu sein. Auch in der Gesellschaft des frühen 18. Jahrhunderts blieb das Ausleben diverser Spielarten von Jugendlichkeit bloß einer elitären, kleinen Gruppe vorbehalten. Für das Gros der damaligen Bevölkerung herrschte jedoch drückende Not, die kaum Freiräume zuließ. So war auch die Gesellenwanderung, die vielfach als ein Zeichen der Freiheit und \"Freizügigkeit\" dargestellt wird, meist eine Phase größter ökonomischer Unsicherheit und Entbehrung. Ledige Dienstboten unterstanden der Verfügungsgewalt des Hausherrn.
Im ausgehenden 19. Jahrhundert in Berlin suchten soziale Einrichtungen, Fürsorgevereine und Obdachlosenasyle der Not der Arbeitslosen entgegen zu wirken und vom Land stammende Dienstmädchen mußten in den städtischen Familien des Bürgertums als isolierte, sozial tief stehende Klasse oft mehr als 16 Stunden pro Tag ihre Arbeit leisten. Dagegen frönten in den Verbindungskneipen Studenten und \"Alte Herren\" bei Bier und in \"voller Wichs\" lauthals ihrer Jugend mit dem
\"Gaudeamus igitur
iuvenes dum sumus ...\"
Der Heidelberger Ethnologe Mühlmann stellt fest: \"Nur unter den seltenen Bedingungen einer stabilen Existenzgesichertheit (Wegfall der Sorge um die unmittelbare Befriedigung der elementaren Lebensbedürfnisse, ausgedehnte Friedenszone) kann sich so etwas wie eine OHeimweltO entwickeln, wo im milden Klima pädagogischer Zuwendung spezifisch jugendliche Eigenschaften wie Sorglosigkeit, Übermut, Spielfreude, aber auch Diposition zur Revolte, gedeihen.\"
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