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philosophie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Das außenverhältnis



Popmusik spricht von sozialer Bewegung und Beweglichkeit und kennt dabei im Prinzip nur eine Richtung: von der absoluten Ausgeschlossenheit des einzelnen (sei es politisch, rassistisch, ökonomisch ausgeschlossen, einsam, fremd) zur utopischen Eingeschlossenheit aller (\"Befreiung, Revolution, Einigkeit, Kommunikation\")[4] .
Betrachtet man die außerhalb der kommerziellen Sphäre kursierenden Musiken, dann sind sie entweder unmittelbar auf Formen und Stile rückführbar, die sich in einem, z.T. über Generationen tradierten, und nicht unbedingt an Jugend gebundenen Außenverhältnis einer Minderheitenkultur gebildet haben (zumeist Schwarze in den USA), oder es wurden, z.B. in Europa, darauf basierend neue Formen entwickelt. Träger dieser Entwicklung waren freiwillige Exilanten, deren Exil verschiedene Ursprünge haben konnte und die die von jenseits des Ozeans herübergewehten Klänge in ihr eigenes Universum einbauten, um so im kreativen Akt das Medium mit Botschaften zu füttern (z.B. über soziales Leben des Exilanten, politische Statements, literarische Verweise, Anwendung des importierten Stils auf Ideen der europäischen Avantgarde ).
Die Nachkriegszeit begann mit Rock\'n\'Roll. Seine Energie rekurrierte hauptsächlich auf den Blues der schwarzen Kultur. In seinen Riffs klang, auch wenn der Sound mitunter stark verwässert war, Trauer, Angst, Wut, Sex, soziale Mobilität, die Freuden der Kriminalität, Heilsversprechungen. In Europa begannen die Beatles und die Stones als Rhythm and Blues-Bands ihre Karrieren mit dem Anzapfen dieser spezifischen Energie. Von diesem Ausgangspunkt entwickelten sie eigene Stilistiken, blieben aber als Bürgerschreck (Stones) oder großmäulig von \"Revolution\" (Beatles) Singende weiterhin dem Außen verpflichtet.
Velvet Undergound, wichtiger Einflußgeber für Grunge oder REM, entstanden in den 60ern an der Schnittstelle von Avantgardekunst, Heroinabhängigkeit, Popart und Verweisen auf Sado-Maso-Sex. Mit ihnen wurde das Außen auch für den literarisch geschulten Mittelschichtsintelektuellen annehmbar, dem Soul und die Beatles noch zu durchschaubar oder oberflächlich waren.
Die Wurzeln des Techno gehen auf musikalische Stile zurück, die sich in den frühen und mittleren achtziger Jahren in den schwarzen Gettos der Industriestadt Detroits mischten.
House entstand aus Disco und war der Sound, zu dem eine hedonistisch orientierte, zahlenmäßig kleine Schwulenszene abfuhr. Dabei wurden Energien frei, die auch auf Nichthomosexuelle ansteckend wirkten.
Reggae war ebenfalls Musik des Ghettos von Kingston/Jamaika und erfuhr internationale Popularisierung, als Bob Marley begann, Zeichen und Werte der in Jamaika doppelt ausgegrenzten Rastafarianismusreligion zu übernehmen. Mit diesem Schritt exportierte Marley ein auf Stolz und Gegenwehr zielendes Ideologiegemisch, das in den mittleren siebziger Jahren von den ansonsten verfeindeten Hippies und Punks gleichermaßen geschätzt wurde.
Hip Hop ist ein weites Feld der Stile und damit der Konnotationen. Hip Hop ist daher ein gutes Beispiel für die universelle Transportfähigkeit eines Mediums / Stiles, einer Ästhetik oder Kunst, für die vielfältigen Ideologien und Wünsche einer Generation. Von marxistischen Termini und Analyseweisen (Beatnigs, KRS One) reichen Hip Hop Texte über religiös motivierte Hinwendungen zum Islam der Nation of Islam (X-Clan) oder der Cypress Hill Fraktion, die immer wieder einen um Marihuanawolken gewobenen spiritualistischen Lebensstil beschwört, bis zur Selbstreferez auf die durch Schwarze geprägten Teile der US-Kultur (A Tribe Called Quest), oder Selbstreferenz, die auf der Suche nach kulturellem Erbe bis nach Afrika vordringt (Jungle Brothers) und in einem Abwasch den Tribalismus (Gesang von der Black Nation\") mitbegründet. \"Im Hip Hop ist , wie in kaum einer anderen Musikform, dieser Ausgangspunkt (die Faszination f. Hip Hop, Anm. d. V. ) immer schon durchkreuzt vom komplexen Ineinanderwirken von Ästhetik und Sozialem.\" [5]
Wobei \"Sozialem\" vom Rapper in einem politisierten Sinne gemeint sein kann, aber nicht muß. Immer aber geht er von einem Außenverhältnis aus, sei es aufgrund einer rassistischen Herrschaftsideologie, die die Absonderung von Bevölkerungsteilen in Ghettos produziert, von Kulturhegemonie, die eine mit Konnotationen aufgeladene Kultur als tonangebende definiert für die \"african roots\" keine Rolle spielen, oder sei durch den eigenen von der Macht kriminalisierten Drogenkonsum. Dabei wird der rassistischen Hauptkultur keineswegs immer ein Wertesystem der Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit entgegengesetzt. In einer Kultur, in der u.a. dem Pimp (Zuhälter), als sozialem Aufsteiger und Stilproduzent eine Leitbildfunktion zukommt, sind bürgerliche, in der Tradition des Humanismus wurzelnde Ideale kaum zu erwarten. \"Pop ist eher links als rechts oder Mitte. Dennoch reicht die konventionelle Definition von links nicht aus, um die Politik von Pop zu beschreiben. Pop ist auf seiner inhaltlichen Ebene weder notwendigerweise die Musik der Arbeiterklasse, der Frauen, der Rassifizierten, ja überhaupt ein Agent sozialen Fortschritts, noch generell vernünftig. Die Foucaultsche Auffassung von der Gegenmacht kommt der politischen Position von Pop näher, die alle möglichen Grade von Blindheit und Beschränktheit nicht nur mitschleppen kann, sondern oft zur Voraussetzung hat.\"[6]
Das Beispiel des Hip Hop zeigte, daß für die Produktion kreativer, neuer ästhetische Systeme eine Eigenwahrnehmung als Außerhalb zur Hauptkultur stehend vorausgeht. Sie findet von dieser Außenperspektive ausgehend zu einer Kritik der Hauptkultur. So erstaunlich das Ausmaß der Affirmation und der puren Naivität in den Texten und Reden des Love-Parade-Veranstalters Dr. Motte auch ist, so lassen sich doch auch in der Techno-Kultur Verweise auf das Außenverhältnis bzw. auf Kritik an der bestehenden Hauptkultur erkennen. Techno und House wurden von Typen erfunden, die außer der Aussicht auf eine dem Hedonismus dargebrachte Nacht nicht viel vom Leben zu erwarten hatten (Industrieller Niedergang der Motorcity Detroit)[7] . 1982 wollte der Bürgermeister Detroits die Stadt zum Notstandsgebiet erklären, da viele Einwohner an Hunger litten.
Was in der Musik keine Verzweiflung, sondern eben Hedonismus produzierte und darüber hinaus die Entschiedenheit der Macher sich mit den spezifischen ästhetischen Eigenheiten der Musik kreativ auseinanderzusetzen. Im Europäischen Kontext ist Techno dann ein offenes, für jedermann codierbares ästhetisches Medium. Ich betone dies, da Techno zu fraktioniert ist um diesem als Gesamtsystem allgemeingültige Kritiken und Ziele zu unterstellen. Hier kann nur versucht werden, am Beispiel einer Fraktion Grundfunktionen zu abstrahieren: Es gibt die Trance und Goa- Fraktion, die für die Weiterführung ewiger Hippiewerte von Gemeinschaftlichkeit in Absonderung vom rat race gebietenden System steht, unterfüttert von einem im Buddhismus geerdeten Humanismus und einem ebenso New Age- haften wie postmodernen Verzicht auf rationalistische wie verbindliche Denkmodelle. Mit diesem Verzicht auf politische Analyse sehen sich Goaraver eher in der Rolle, das Kapital zum Humanismus zu therapieren als es zu analysieren oder gar zu bekämpfen (\"das Ozonloch bedroht uns alle, laßt uns die alten Differenzen über Bord werfen und gemeinsam handeln.\"[8]). Eine Aussage, die sinngemäß zwar bei einem Interview mit der Band Galliano fiel, von Teilen der Technokultur aber voll übernommen wurde.).
Delphine (das Yin-Yang-Symbol bildend) ersetzen Che Guevara. Dabei aber weiterhin eine Revolution/Utopie anstrebend: \"Wir haben die Vorahnung, daß die Visionen, die heute zur \"Raving Society\" entwickelt werden, einen großen gesellschaftlichen Impact haben, vielleicht einen bedeutenderen als die Theorien und Ideologien der 68er Bewegung auf die heutige Gesellschaft.\" [9] Vorerst werden diese Utopien in inselartigen temporären autonomen Zonen realisiert, dem hier und jetzt des Utopischen.
Auch hier ist wieder der Rekurs auf das Außen anzutreffen: Mit dem Verweis auf Kulturzusammenhänge mit ganzheitliche Weltsichten und ritualisiertem Zugriff auf Grenzheitserlebnisse und Transzendenz (gemeint ist die Emphase der Goa-Fraktion für die Drogenkulturen südamerikanischer Indianerstämme oder Hochkulturen wie die der Mayas) bezieht man sich auf Erlebnisformen die in einem christlich geprägten ebenso wie trance- und ekstasefeindlichen Kulturzusammenhang, so nicht vorgesehen sind.
Von diesem, aus dem Idealismus entlehnten Ansatz versucht sich die Gruppe \"radical rave\" abzusetzen indem sie die auf Veranstaltungen erwirtschafteten Überschüsse z.B. den Aufständischen in Chiapas zukommen läßt, und auch sonst bemüht ist Aufklärung über die Auswirkungen neoliberaler Wirtschaftspolitik unter die Tänzer zu bringen.
Derartige Seitenarme zum Hauptfluß der Geschichte sind underground (ein Begriff, der dem von mir eingeführten Begriff \"Außen\" ähnelt), sehen sich selber auch als \"underground resistance\" -so der Name eines bekannten Houselabels. Überhaupt: Stets ist es der Underground, wo Kreativität und Credibility zur Coolness sich verbinden, und \"cool\" ist bekanntlich ein Wort, welches sich schwarze Hipster- und Bebopjunkies in den frühen 50er Jahren ausgedacht haben und das seitdem nicht mehr totzukriegen ist und als Gütesiegel fungiert, um die Dinge zu klassifizieren, die den Kriterien eines jugendkulturellen Kontextes entsprechen oder eben nicht (uncool).
Das Export-Import-Verhältnis, das Innen-Außen-Verhältnis und das Zusammenzurren von all dem durch Popmusik beschreibt Diedrich Diederichsen: \"Ein primärer Anti-Integrationismus ist auch Voraussetzung für die Würde (Coolness) des (immer schon) politischen Einwandes. Deswegen ist Popmusik in der Regel auf der inhaltlichen Ebene anti-integrationistisch, während sie natürlich objektiv internationalistisch, interkulturell funktioniert und gerade Kontakte zwischen den verschiedenen, freiwillig oder unfreiwillig Marginalisierten herstellt, die weder offiziell eingeplant sind, noch sich auf die Logik des Kulturimperialismus reduzieren lassen. Die Kanäle der Popmusik sind heutzutage die einzigen, in denen ghettoisierte wie ausgestiegene Jugendliche und Erwachsene über die Schranken der Ghettos, Subkulturen und Stämme hinweg, gegen die segregationistischen Tendenzen des nur formal globalen Kapitalismus kommunizieren können.\" [10]

 
 

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