Der Vielfalt der politischen Gruppierungen stand die Vielfältigkeit, Widersprüchlichkeit der Artikulationen des geistigen und kulturellen Lebens in nichts nach, eher im Gegenteil. Auch hier gab es alles, was das 19. und 20. Jahrhundert an denkerischen und schöpferischen Möglichkeiten entfaltet hatte. Bestimmend für die Neuartigkeit der Weimarer Situation war auch in diesem Bereich, dass die beherrschende Wilhelminische Kultur ihren Führungsanspruch hatte preisgeben müssen. So gab es mythisches Philosophieren neben positivistischem Rationalismus, Marxismus neben Organizismus, juristischen Positivismus neben politisch orientierter Jurisprudenz und so weiter.
Zweifellos war die Fülle, der Reichtum, die schöpferische Breite des geistigen Lebens der Weimarer Jahre ein Ausfluss der Vielfalt an Meinungen, Strömungen, Richtungen und Tendenzen. Es lässt sich zwar nachweisen, dass fast alle neuen Stilelemente in Literatur und Kunst schon vor Beginn der Weimarer Republik auftauchten, aber erst die Kriegszeit und die Republik konnten ihnen dank des freien Raums, den sie allen geistigen Bestrebungen gab, zu vollerer Entfaltung verhelfen. Die Lebendigkeit, der Reichtum und das überdurchschnittliche Niveau des kulturellen Lebens der Weimarer Republik erklären sich vornehmlich aus der Spannung, die aus unvereinbaren, vorübergehend gleichwohl produktiven Gegensätzen herrührt. Woran die Politik notwendig scheitern musste, weil man zum Regieren einer Nation die Zustimmung ihrer wichtigen politischen und sozialen Gruppen braucht.
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