(Gk Deutsch Fürst)
Eine Zeichnung des Malers und Schriftstellers Robert Gernhardt zeigt den Käfer Gregor,
der von drei anderen Käfern - zwei gleichgroßen und einem deutlich größeren - liebevoll
empfangen wird.
Sie gibt pointiert und prägnant den in der Erzählung ausgedrückten Wunsch des Künstlers Kafka nach Akzeptanz, Verständnis und gleichberechtiger Stellung gegenüber den anderen wieder.
Diese harmonische Heimkehr - ein gezeichnetes Happy End - kann jedoch aus der Erzählung nicht abgeleitet werden. Gregor kann seine Andersartigkeit gegenüber der Familie nicht mehr verleugnen, was bildhaft durch die Verwandlung in den Käfer, das Ungeziefer, dargestellt wird.Noch bestehen familiäre Gefühlsbeziehungen, besonders zur Schwester, die anfangs durch die Versorgung versucht, die Beziehung zu halten. Doch sie ist in ihren Versuch bereits gespalten zwischen dem Wunsch zu helfen und deutlichem Widerwillen gegenüber dem klar
demonstrierten Anderssein Gregors. Die Mutter äußert wohl den Wunsch, nach ihrem Sohn zu sehen, macht jedoch keine entschiedenen Anstalten, dies auch aktiv durchzusetzen. Der Vater lehnt die unerwünschte Veränderung erbarmungslos ab.
Gregors Verwandlung zeigt auf, dass er anders ist als Vater, Mutter, Schwester. Gleichzeitig wertet sie dieses durch die Verwandlung in ein Ungeziefer als eine als minderwertig empfun-
dene Position. Trotzdem wünscht er den Kontakt zu den Familienmitgliedern und unternimmt anfangs große Anstrengungen wie das Öffnen der Tür mit seinem Käfermund. Er versucht, sich mitzuteilen,ist menschlisch in seinem Denken und Fühlen und entsetzt, dass er nicht mehr ver-
standen wird. Ebenso versteht er die Sprache der anderen Familienmitglieder mit Ausnahme der für ihn unverständlichen Reaktion des Vaters, der ihn mit bedrohlichen Zischlauten zurück-
treibt.
Doch kein Mitglied seiner Familie wendet sich ihm wirklich zu, versucht, mitfühlenden Kontakt mit ihm aufzunehmen. Keiner versucht, mit ihm oder nur zu ihm zu sprechen oder einfach bei
ihm zu sein, ihm Gesellschaft zu leisten. Gefühle werden nur als Widerwillen über Gregor
ausgedrückt, nicht als Mitgefühl. Das einzige Anliegen der Familie ist, Gregor wieder zu
sehen wie vorher. Die Familie wünscht die, die für sie gültige Normalität wiederhergestellt zu sehen. Sie kümmert sich um Gregors äußere Gestalt, die sie als ekelhaft empfinden, und machen keinen Versuch, zu entdecken, wie er innerlich denkt und fühlt.
Da Gregor sich nicht ändert, werden ihm nach und nach, beginnend mit der Ausräumung des
Zimmers, die Lebensgrundlagen als Sohn und Bruder der Familie entzogen.
Seine Position wird immer schwächer. Anfangs wird die Zimmertür noch manchmal geöffnet.
Wenigstens passiv darf er seinerseits an der Kommunikation innerhalb der Familie teilnehmen.
Doch immer öfter wird die Tür, schließlich auch auf Betreiben der Mutter, geschlossen.
Eine Entscheidung wird herbeigeführt durch die Zimmerherren, die mit ihrer Welt von Sauber-
keit, Ordnung, Stärke die Plätze der Familie einnehmen und diese von den familiär geprägten
noch bestehenden Bindungsverpflichtungen befreien.
Mit ihren kauenden Zähnen bewältigen sie stillschweigend, kommunikationslos, doch in einer
Position der Stärke den Alltag und demonstrieren, dass Gregor mit seinen schwachen zahn-
losen Kiefern und dem Wunsch nach andersartiger,nicht materieller, sondern geistig-seelischer
Nahrung, wertlos ist.
Schließlich spricht die Schwester, die Gregor anfangs halbherzig zu helfen versuchte, die Ein-
stellung der Familie klar aus. Man muss Gregor, das lästige, der normalen Welt schädliche Un-
geziefer, los werden.
Und so gibt Gregor auf. Er versteht, dass er in dieser Familie, dieser Welt, keinen Platz hat, und wählt den radikalen Rückzug der Aufgabe bis zum Tode, dabei noch verständnisvoll mit
Gedanken der Liebe und Rührung hinsichtlich seiner Familie.
Vater, Mutter, Schwester, befreit vom Konflikt zwischen ihren Wertvorstellungen und der An-
dersartigkeit des Bruders, der sich in seiner Verwandlung klar äußerte und von ihnen ebenso
deutlich abgelehnt wurde, fühlen sich befreit. Die Erwartungen, die die Eltern an Gregor hat-
ten, konzentrieren sich jetzt auf die Tochter. Der Rückzug des lästigen Gregor, der andere
Werte vertrat als die normal gültigen Vorstellungen, wird von ihnen gefeiert. Sie trauern nicht,
sie freuen sich und dies so sehr, dass sie die eigenen Pflichten erst einmal absagen, um einen
Ausflug zu machen.
Gewiss ist Kafka nicht der einzige Künstler, der von seiner Familie wegen anderer Lebens-
und Wertvorstellungen abgelehnt wird oder wurde. Und für manchen könnte Gernhardts
Zeichnung eine Lösung sein: Gleichgesinnte Menschen nehmen ihn akzeptierend und verständ-
nisvoll auf, die nicht zur Familie gehören.
Doch in der Erzählung \"Die Verwandlung\" reduzieren sich die Außenbeziehungen auf das
Bild der Dame, die nur als von Gregor geschätztes Bild eine Rolle spielt, sowie auf das
Fenster, durch das er die Außenwelt beobachtet. Und das Leben vor dem Fenster wird zuneh-
mend undeutlich, wie im Nebel.
Die einzige Lösung für den Käfer Gregor Samsa könnte darin bestehen, dass er sich zu ande-
ren Käfern begibt: Zu seinesgleichen. Dies bedingt Verbindungen zur Außenwelt. In Kafkas
Erzählung bestehen diese nicht.
Daher ist Gernhardts Zeichnung der Heimkehr des Käfers Gregor eine Wiedergabe des An-
liegens der Erzählung, jedoch kein mögliches alternatives Ende der Erzählung Kafkas.
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