Die japanische Idee
Für den japanischen Physiker HIDEKI YUKAWA war die Sache ganz einfach und klar: Es mußten Kräfte existieren, die Protonen und Neutronen zusammenhalten, denn wenn diese Kräfte nicht existierten, dann könnten die Teilchen auch keinen massiven Kern bilden.
Versuche zeigten, daß die Kernkräfte, die zwischen den Protonen und Neutronen existieren, eine äußerst geringe Reichweite besitzen, und sie sich deshalb von den elektrostatischen Kräften, die eine weitgreifendere Wirkung besitzen, grundsätzlich unterscheiden. Diese neuartigen Kernkräfte sind nur über eine Distanz von 1/1013 cm wirksam.
Außerdem konnten die Kräfte zwischen Protonen und Neutronen nicht elektrischer Natur sein, da sie zu stark waren. Um nun den Zusammenhalt zwischen Proton und Neutron zu erklären, erdachte sich HIDEKI YUKAWA ein neues Elementarteilchen, das Meson.
Das Meson bewegt sich mit Lichtgeschwindigkeit und jagt 5*1017 mal pro Sekunde zwischen Proton und Neutron hin und her.
YUKAWA führte dieses Teilchen aufgrund theoretischer Überlegungen im Jahre 1935 ein. Weiteres vermutete er, daß die Masse seines neuen Teilchens zwischen der Masse des Protons oder des Neutrons und der Masse eines Elektrons liegen müßte und somit erhielt das Teilchen den Namen Meson (griechisch mesos=zwischen). Das erste freie Meson wurde übrigens erst zwei Jahre,
nachdem YUKAWA es postuliert hatte, von einem Amerikaner namens CHARLES ANDERSON in der kosmischen Strahlung nachgewiesen. Es ist unmöglich, ein Meson zu beobachten oder zu messen, trotzdem können Mesonen mit Hilfe von Streuversuchen statistisch erfaßt werden. Der Atomkern ist von einem Mesonennebel umgeben, wobei die virtuellen Mesonen positiv oder negativ geladen, aber auch neutral sein können.
Wenden wir uns nun endgültig von diesem postulierten \"Teilchenzoo\" ab und beschäftigen uns mit der Kernspaltung.
14 Die Kernspaltung
Zwei deutsche Chemiker, OTTO HAHN und sein Schüler FRITZ STRAßMANN, setzten im Jahre 1938 Versuche fort, die schon der Italiener ENRICO FERMI und das Ehepaar JOLIOT mit Uran Atomen gemacht hatten: Sie beschossen Uran-Atome mit Neutronen und erwarteten sich dabei die Bildung von Uran-Isotopen.
FERMI, der ja diesen Versuch auch schon gemacht hatte, behauptete fälschlicherweise, daß bei diesem Experiment Trans-Uranen entstehen, die eine höhere Ordnungszahl als das Uran haben und somit nicht natürlich vorkommen. Der neunundfünfzigjährige HAHN und sein Schüler STRAßMANN wiesen aber nach der Neutronenbestrahlung von Uran das Metall Barium, das die Kernladungszahl 56 besitzt, nach.
Es war eine österreichische Physikerin und langjährige Mitarbeiterin HAHNS, die gemeinsm mit ihrem Neffen, OTTO FRISCH, die unerwarteten Versuchsergebnisse richtig deutete. Leider konnte die Jüdin LISE MEITNER an den Untersuchungen Hahns nicht teilnehmen, da sie trotz aller Bemühungen HAHNS und anderer bekannter Wissenschaftler aus Österreich, das ja im Jahre 1938 zu existieren aufgehört hatte, fliehen mußte.
LISE MEITNER erkannte richtig, daß die in den Urankern eindringenden Neutronen, diesen in zwei ungefähr gleich große Teile spalten.
0n + 92U 56Ba + 36Kr
Es war den zwei deutschen Physikern gelungen, dem Kern nicht nur Protonen und Neutronen zu entreißen, sie hatten den Atomkern wirkungsvoll zertrümmert. Doch wie funktioniert nun dieser Vorgang? Versuchen wir den Prozeß am Scheinbild vom GAMOWSCHEN Kerntröpfchen zu erklären: Ein Neutron dringt zunächst in die \"Kernflüssigkeit\" des Uran-238 Isotops ein, und es entsteht das Isotop Uran-239, das nun in einem angeregten Kernzustand ist.
Wenn diese Anregungsenergie groß genug ist, dann kann sich ein Kern in zwei Teile spalten: Zunächst beginnt das fast kugelförmige Tröpfchen zu schwingen. Das Tröpfchen, dessen Kugelgestalt sich mehr oder weniger verändert, wird schlußendlich zu einem abgeplatteten Ellipsoid. Es kommt zu einer Abschnürung, und der Kern spaltet sich. Dieses Tröpfchen - Modell schildert den Vorgang der Spaltung nur ganz grob, dennoch können wir uns nun ein anschaulicheres Bild der Kernspaltung machen.
Natürlich wiederholten die Physiker in der ganzen Welt die Versuche von HAHN und STRAßMANN, doch sie stießen auf Probleme, weil die Kernspaltung beim Uran 238 Isotop nur selten eintritt. Um ein Uran 238 Isotop zu spalten, müssen die Neutronen außergewöhnlich energierreich sein. Beschießt man ein Uran 238 Isotop mit normalen Neutronen, wird die Anregungsenergie ausgeglichen, indem ein anderes Neutron aus dem Kern geschleudert wird. Erfolgreicher verliefen die Versuche mit dem Uran 235 Isotop, das eine Lawine von Kernspaltungen auslösen kann. Bei diesem Vorgang werden gewaltige Mengen an Energie frei, und es eröffneten sich gigantische Perspektiven für die Energiewirtschaft, wenn die Reaktion unter Kontrolle und auf einen stationären Zustand gebracht werden kann. Es steht aber auch ein anderer Weg offen, der zur Atombombe. Der Prozeß der Kernreaktion wird voll wirksam, wenn dafür gesorgt ist, daß keine anderen Substanzen die freiwerdenden Neutronen verschlucken. Die Masse des 235-Uran-Isotops sollte so groß sein, daß die Neutronen nicht entweichen können, ohne auf einen Kern zu treffen. Diese Masse wird auch kritische Masse genannt, und beträgt bein Uran 235 rund 10 Kilogramm. Wenn die Zahl der zündenden Neutronen den Wert 1 übersteigt, dann kommt es zu einer gewaltigen Detonation und in einem Sekundenbruchteil wird eine ungeheure Energiemenge freigesetzt. Man spricht von einer \"explosiven Kettenreaktion\":
Hiroshima, 6. August 1945
Abb. 9: Kettereaktion: Ein Neutron spaltet einen Atomkern. Die dabei freiwerdenden Neutronen spalten wiederum andere Kerne usw.
15 Die Atombombe
Der Gedanke, eine neue Energiequelle gefunden zu haben, bzw.die Möglichkeit, eine neue Bombe entwickeln zu können, ging verschiedenen Physikern durch den Kopf. Die einen versuchten, diesen Gedanken für sich zu behalten, andere wollten daraus Patente machen, wieder andere wollten die ganze Sache geheimhalten, da sie Angst vor den möglichen Folgen hatten.
Es war FERMI, der beschloß, der Sache auf den Grund zu gehen, denn er wollte wissen, ob die Kettenreaktion nur ein Wunschtraum, oder eine ernstzunehmende Möglichkeit darstellte.
Er begann an der Columbia-Universität an seinem Projekt zu arbeiten, und es stellte sich bald heraus, daß die Herstellung von Kernwaffen, die eine unvorstellbare Sprengkraft besitzen, kein \"Ding der Unmöglichkeit\", sondern viel mehr eine ernstzunehmende Möglichkeit war. Die ersten Physiker, die sich mit den Problemen der Atomenergie auseinandersetzten, waren die Ungarn LEO SZILARD, EUGENE WIGNER, EDWARD TELLER, der Österreicher V. WEISSKOPF und natürlich ENRICO FERMI.
Im August 1939 wurde ALBERT EINSTEIN von ungarischen Aktivisten, zu denen auch SZILARD gehörte, überredet, einen Brief an den Präsidenten Roosevelt zu unterschreiben, der den Präsidenten über die Situation und ihre Folgen unterrichtete. Ganz ähnlich ging FERMI bei den Vertretern der US-Navy vor, doch die zugesicherte Unterstützung des Regierungsapparats war nur \"ein Tropfen auf den heißen Stein\".
Im Jahre 1940 identifizierten E. MCMILLLAN und P. ABELSON das erste Transuran, das sie Neptunium (239Np) nannten. Es war bereits klar, daß das Transuran in ein ziemlich langlebiges Isotop des Elements 94 zerfallen sollte. Im selben Jahr zerbrachen sich FERMI und EMILIO SEGRé die Köpfe, ob es eine Alternative zu 235U, das im natürlichen Uran im Verhältnis 1:137 - also sehr selten - vorkommt, gibt.
Denn wenn es ein künstliches Element gibt, das sich als Substitut für 235U eignet, dann mußte man genügend produzieren, um eine Bombe herstellen zu können. Das war keine Kleinigkeit, doch die Isotopentrennung war viel schwieriger und auch teurer. Schon nach wenigen Monaten, nachdem W. KENNEDY, G. T. SEABORG, A. C. WAHL und EMILIO SEGRé ein Mikrogramm 239Pu präpariert hatten, war der Nachweis geliefert, daß dieses Element als Kernbrennstoff verwendet werden konnte.
Nun konnte man eine Atombombe durch Trennung der Uranisotope oder durch Plutonium, das in Kernreaktoren hergestellt und anschließend von der chemischen Industrie separiert und gereinigt wird, herstellen. Wenn also genügend 235U oder 239Pu vorhanden ist, gilt es noch, die Bombe selbst zu bauen.
Mittlerweile war auch der Staat an diesem Projekt interessiert.
Es war der Physiker ROBERT OPPENHEIMER, der beauftragt wurde, die Bombe in einem speziell dafür eingerichteten Labor zu bauen.
ROBERT OPPENHEIMER wurde als Sohn einer jüdischen Familie, die aber deutsche Abstammung besaß, in New York geboren. Die Familie, die bald erkannte, daß Robert sehr begabt war, förderte ihn, indem sie ihn auf die besten Schulen, mit den besten Lehrern schickte.
OPPENHEIMER studierte nicht nur Naturwissenschaften, sondern auch Philosophie, Sprachen und Kunst. Nachdem er sein Physikstudium an der Harvard Universität absolviert hatte, ging er nach Europa, wo er am Cavendish-Laboratorium arbeitete und viele neue Kollegen kennenlernte. Er kehrte nach Amerika zurück und gründete zwei erstklassige Schulen für theoretische Physik. Obwohl dieser Mann so intelligent und gebildet war, verhielt er sich als junger Mann in Sachen Politik naiv. Er war ein Anhänger des Kommunismus - eine riskante Sache in den USA.
Es stellt sich bald heraus, daß OPPENHEIMER zwar ein eher weltfremder, geistesabwesender, theoretischer Physiker, aber dafür ein ausgezeichneter Labordirektor war, da er mit den verschiedensten Menschentypen zurechtkam. Das Laboratorium, das OPPENHEIMER leitete, wurde in Los Alamos errichtet, im Hochland von Neumexico, denn dieser Ort mußte gut geschützt und weit abgelegen sein. Das Laboratorium wurde im Eiltempo gebaut, in dem bald darauf die weltbekanntesten Physiker an der Atombombe arbeiteten. Anfangs lief der Bau der Atombombe unter dem Geheimcode \"Manhatten Engineering District\", später nannte man das geheime Vorhaben \"Projekt X\", dessen militärischer Befehlshaber General LESLIE GROVES war. Ursprünglich sollte die erste Bombe in Deutschland abgeworfen werden, doch da der Krieg in Europa schon zu Ende war, bevor das Los-Alamos-Team eine funktionstüchtige Bombe hergestellt hatte, fand die erst atomare Testexplosion am 16. Juli 1945 in der Wüste von New Mexiko statt. Kurz nach der ersten Testexplosion, bei Tagesanbruch des 6. August 1945, flogen sieben Bomber - 3 Wetter- und Aufklärungsflugzeuge, 2 Beobachtungsflugzeuge, eine Reservemaschine und die \"Enola Gay\" mit der Atombombe in Richtung Hiroshima. Um 8.15 Ortszeit wurde die Bombe in einer Höhe von etwa 10.000 Meter abgeworfen und explodierte 580 Meter über dem Stadtzentrum. Der Himmel verschwand hinter dem gleißenden Licht eines Feuerballs. Tosendes Brausen begleitete die Druckwelle, die sich ausbreitete und Sekunden später erhob sich eine Rauchwolke, gleich einem Pilz, 17.000 Meter in die Höhe.
Menschen, die sich in den Straßen aufhielten, empfanden die Hitze, die bei der Explosion frei wurde, wie einen Peitschenhieb. Diejenigen, die sich im Umkreis von 3,5 Kilometern aufhielten, trugen Verbrennungen der Haare und Haut und der Netzhaut davon, wenn sie in den grellen Lichtblitz geschaut hatten. Eisen und Granitsteine, die einen Kilometer vom Explosionszentrum entfernt lagen, schmolzen, und Menschen in unmittelbarer Nähe verglühten. 80% der Häuser brannten, und die Druckwelle hatte in der Nähe des Explosionszentrums eine Gewalt von ca. 35 Tonnen/Quadratmeter. Insgesamt wurden 92% der Gebäude in Hiroshima dem Erdboden gleich gemacht. Das gleiche Schicksal wiederfuhr auch den Bewohnern der Stadt Nagasaki am 9. August 1945 um 11 Uhr vormittags.
Der Unterschied zwischen diesen zwei Bomben und allen bisher eingesetzten Waffen war die radioaktive Strahlung. Einige Sekunden nach der Explosion entstand eine Anfangsstrahlung, die im Umkreis von 2,3 Kilometern sogar dicke Betonwände durchdrang. Die Bombe verseuchte die Erdoberfläche, und jeder, der innerhalb der nächsten Tage in dieses Gebiet kam, um nach Opfern zu suchen, oder um zu helfen, wurde selbst zum Opfer. Tödlich war auch der Regen, der aufgrund der strahlenden Asche schwarz war und etwa eine halbe Stunde nach der Explosion einsetzte. Vergeblich versuchten Feuerwehrmänner und freiwillige Helfer das Feuer zu bekämpfen, doch die Feuerwehrrohre waren geschmolzen, sodaß die ganze Stadt lichterloh brannte. Binnen weniger Sekunden wurden diese zwei Städte in Orte der Folter und Qual, der Tränen, des Wimmerns und der Flüche verwandelt.
Abb. 10: Uranbombe \"Little Boy\" (Abwurf über Hiroschima)
Abb. 11: Plutoniumbombe \"Fat Man\" (Abwurf über Nagasaki).
Obwohl uns diese schrecklichen Tatsachen bekannt sind, lagert in den Arsenalen der Atommächte für jeden einzelnen Menschen eine Vernichtungskraft von vier Tonnen Sprengstoff, genug also, um die Erde nicht nur einmal, sondern gleich mehrere Male zu zerstören.
Die Spaltung des Atoms hat unsere Welt \"unsicherer\" gemacht, doch wenn wir wollen, dann können wir die Bedrohung eines Atomkrieges überwinden, indem wir versuchen in Frieden miteinander zu leben.
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