1. Einführung und Vorwort
Verschuldung und Überschuldung von privaten Haushalten stellt immer mehr einen sozialen als auch ökonomischen Brennstoff dar. In Zeiten zunehmender Arbeits- und vor allem auch Langzeitarbeitslosigkeit, Reallohnverluste durch Tarifabschlüsse unterhalb der Inflationsrate aber auch dem stetigen Anstieg der Beiträge für die Sozialversicherungssysteme und Kürzungen von Sozialleistungen auf der einen Seite und dem überproportional ansteigenden Lebenshaltungskosten auf der anderen Seite geraten immer mehr Kredite, und damit vor allem die Kreditnehmer in Not. Ratenverpflichtungen können nicht mehr bedient werden, da das freiverfügbare Haushaltseinkommen nicht mehr für das Bestreiten des Lebensunterhaltes und den darüberhinausgehenden Zahlungsverpflichtungen ausreicht. Gläubiger reagieren hierauf mit der Errichtung des modernen Schuldturms, aus dem sich der Schuldner nur auf eine Weise befreien kann: Durch Zahlung. Kredite werden also gekündigt und zur sofortigen Zahlung fällig gestellt, Mahnungen und Mahnbescheide werden verschickt, Verzugszinsen in Rechnung gestellt, Inkassobüros mit der Eintreibung der Forderungen beauftragt, Lohnabtretungen offengelegt, Pfändungen im Rahmen der gerichtlichen Zwangsvollstreckung beantragt und als letztes Mittel die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verlangt. Zu einer oft verhältnismäßig kleinen Hauptforderung gesellen sich schnell beträchtliche Nebenforderungen der Gläubiger. Am Ende steht der Schuldner oft einem kaum noch überschaubaren Berg von Forderungen gegenüber, die auch bei weiterer Ratenzahlung in vielen Fällen nicht abnimmt, sondern durch die Anrechnung von Zinsen und Kosten (nach § 367 BGB) weiter zunimmt. In diesem modernen Schuldturm ist der Schuldner mindestens 30 Jahre gefangen,
da der Gläubiger aus einem rechtskräftigen Urteil 30 Jahre beitreiben lassen kann. Aber auch über diese Frist hinaus kann er auf Zahlung bestehen, da die Verjährung durch eine erneute Vollstreckungsmaßnahme unterbrochen wird und so von vorne beginnt.
Diese, für den Schuldner mehr oder weniger aussichtslose Situation soll sich zum 01.01.1999 mit dem Inkrafttreten der neuen Insolvenzordnung (InsO) ändern, mit der erstmals im deutschen Recht auch für Privatpersonen die Möglichkeiten eines Konkurses mit Restschuldbefreiung möglich wird.
2.Definitionen von Ver- und Überschuldung
Von Verschuldung wird immer dann zu sprechen sein, wenn gegen einen Haushalt Forderungen bestehen, die er sofort oder in Zukunft zu begleichen hat.
\"Konsumieren, Sparen und Kreditaufnahme gehören zu den normalen wirtschaftlichen Verhaltensweisen privater Haushalte. Kreditaufnahme und damit Verschuldung sind in einer entwickelten Gesellschaft mit hohen Realeinkommen breiter Schichten selbstverständliche Vorgänge.\" Verschuldung sagt also nichts über die Zahlungsfähigkeit desjenigen aus, gegenüber dem diese Forderungen bestehen.
Überschuldung hingegen liegt nach Nothacker4 dann vor, wenn der Schuldner die Summe seiner fälligen Zahlungsverpflichtungen auch in absehbarer Zeit nicht begleichen kann und ihm zur Deckung seines Lebensunterhaltes weder Vermögen noch anderweitige Kreditmöglichkeiten zur Verfügung stehen. \"Oder kurz: Die zu leistenden monatlichen Gesamtausgaben sind höher als die Einnahmen.\" Überschuldung stellt in jedem Fall eine kritische Lebenssituation für den betroffenen Haushalt dar. Soll die Verschuldung als normalen Zustand definiert werden, so stellt die Überschuldung den Ausnahmezustand, die Extremsituation dar. Da die Grenzen zwischen beiden Lebenssituationen nicht immer exakt zu ermitteln sind, kann in der weiteren Betrachtung auch nicht immer haarscharf zwischen Ver- und Überschuldung differenziert werden kann.
Verschuldung als auch die aus ihr hervorgehende Überschuldung stellen zwar zwei unterschiedliche Ereignisse dar, finden jedoch in einem gemeinsamen Bezugsrahmen statt. Die Zielrichtung von Verschuldung und Überschuldung sind jedoch prinzipiell gegensätzlich. Bei Verschuldung ist Überschuldung nicht intendiert, private Verschuldung soll in aller Regel im Gegenteil zur Steigerung des Konsums, zu privater Investition und Vermögensbildung und damit der Erhöhung der Lebensqualität führen. Überschuldung bedeutet dagegen gemeinhin weniger Konsum und Verringerung der Lebensqualität.
Überschuldung als das Unvermögen zur Erfüllung von Zahlungsverpflichtungen verstanden beschreibt also eine Zwangssituation, die neben der wirtschaftlichen auch zu einer psychischen und sozialen Destabilisierung führt und ist nicht selten mit Problemen in Ehe und Familie sowie emotionalen Problemen mit einer Einschränkung an Einsichts- und Handlungsfähigkeit verbunden ist
2.1 Gründe für die Kreditaufnahme
Wie aus der GP-Studie hervorgeht stellt die Anschaffung von langlebigen Konsumgütern (Möbel, KFZ, etc.) die vorrangige Ursache dar, welche die Aufnahme von Krediten erfordert. Daneben ist es jedoch bedenklich, dass einerseits viele Kredite nur aus dem Grund aufgenommen werden, um andere laufende Kredite abzulösen (Umschuldungskredite), wobei i.d.R. schlechtere Konditionen in Kauf genommen werden müssen. Andererseits sind offensichtlich viele Haushalte auf die Kreditaufnahme zur Sicherung des Lebensunterhaltes angewiesen, da sie diesen aus anderen Quellen wie Einkommen und/oder Sozialleistungen nicht (mehr) decken können. Unter Berücksichtigung der momentanen Entwicklung, die einerseits von Reallohnverlusten durch Zunahme der Steuer- und Abgabenbelastung, andererseits von der Kürzung und Streichung von Sozialleistungen geprägt ist, wird mit einer weiteren Verschärfung dieser Problematik zu rechnen sein.
2.2 Von der Verschuldung zur Überschuldung
Der Übergang von der Verschuldung zur Überschuldung vollzieht sich meist fließend. Dieser Prozess lässt sich nach meistens in fünf Phasen darstellen.
1. Phase: Kreditaufnahme
In dieser Phase befinden sich die Haushalte noch in überschaubaren, stabilen Verhältnissen. Eine Minderheit der Kreditnehmer gerät jedoch bereits hier in eine Situation latenter Überschuldung.
2. Phase: Finanzielle Belastung als Folge unvorhergesehener Ereignisse
Durch unvorhergesehene Ereignisse, die finanzielle Mehrbelastung oder Einkommensrückgang zur Folge haben gerät die Haushaltskalkulation in Schieflage. Je nach Kalkulation genügen hier schon geringfügige Veränderungen der Einkommens/ Ausgabenseite. Diese Phase stellt den Auslöser manifest auftretender finanzieller Schwierigkeiten dar.
3. Phase: Versuch, die finanziellen Schwierigkeiten mit eigenen Mitteln zu beheben
In dieser Phase werden Anstrengungen unternommen, einerseits das Haushaltseinkommen zu steigern und andererseits die Ausgabenseite zu minimieren. Neue Kredite werden zur Ablösung jener Kredite aufgenommen, bei denen es zu Störungen gekommen ist. Da die neuen Kredite i.d.R. mit hohen Kosten verbunden sind, kommt es meist nur zu kurzfristigen Verbesserung der Situation. Begleitet wird diese Phase häufig von sozialer Isolation, Partnerschaftsproblemen und z.T. psychosomatische Störungen.
4. Phase: Zahlungsverzug
Scheitern die Versuche in der 3. Phase oder kommt es zu neuen finanziellen Belastungen, die nicht aufgefangen werden können, so kommt es zum Zahlungsverzug. Durch Stundungsvereinbarungen, Kreditkündigungen, Umschuldungen, etc. entstehen neue Kosten, die das Haushaltseinkommen zusätzlich strapaziert. Im ungünstigsten Fall können nur noch anfallende Kosten und Verzugszinsen gezahlt werden.
5. Phase: Kumulation von Schulden
Durch den Zahlungsverzug in Phase 4 entstehen weitere Schulden, da weitere Verbindlichkeiten (z.B. Miete, Energie) nicht mehr bedient werden können. Diese Verschuldungssituation kann meist vom betroffenen Haushalt allein nicht mehr bewältigt werden.
2.3 Gründe zur Ver -/ Überschuldung
Arbeitslose
Eine Untersuchung aus den 80er Jahren zur materiellen Verarmung von Langzeit- und Mehrfacharbeitslosen kommt zu dem Ergebnis, daß 39% der Befragten mit ihren Zahlungsverpflichtungen in Verzug gekommen sind. Neuere Untersuchungen zur Überschuldung von Arbeitslosen in Westdeutschland sprechen davon, daß 7,9 % (202.000) aller Empfänger von Arbeitslosengeld und Arbeitslosenhilfe überschuldet sind und noch einmal 131.000 Familienangehörige von arbeitslosen Leistungsbeziehern von deren Überschuldungssituation betroffen sind. Betrachtet man alle Arbeitslosen (Leistungs- und Nicht-Leistungsbezieher), so wird davon ausgegangen, daß insgesamt 400.000 Arbeitslose direkt und mindestens weitere 260.000 Personen mittelbar betroffen sind.
Nach einer Stichprobenuntersuchung in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg beträgt die durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit von Überschuldeten 74 Wochen, wohingegen sie im Bundesdurchschnitt im Jahr 1994 bei 29,5 Wochen lag.
Personen mit niedrigem und/oder unregelmäßigen Einkommen
Nach der GP-Studie liegt bei jedem vierten von Schuldnerberatungsstellen betreuten Klienten das Haushaltsnettoeinkommen unter 1.000,- DM, 75% steht nicht mehr als 2.000,- DM für die Haushaltsführung (incl. Miete) zur Verfügung.
Lebensgemeinschaften mit Kindern
Statistiken von Schuldnerberatungsstellen der Kirchen und Sozialverbände weisen für Familien mit Kindern ein besonders hohes Überschuldungsrisiko (ca. 31%) auf, wobei in dieser Gruppe junge Familien (bis 25 Jahre) noch einmal besonders von Überschuldung betroffen sind.
Alleinerziehende
Betont werden muß an dieser Stelle, daß es sich bei den Alleinerziehenden etwa zu 86% um Frauen handelt, von denen nur 5 bis 6% Leistungen nach dem AFG erhalten, da sie meist die formalen Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllen. Nur 15% der geschiedenen Frauen erhalten Ehegattenunterhalt (wegen fehlender Leistungsfähigkeit bzw. Leistungswilligkeit des geschiedenen Partners), so daß diese Personengruppe meist auf Leistungen nach dem BSHG verwiesen bleibt.
Strafgefangene
Ein besonders hohes Überschuldungsrisiko hat die Gruppe der Strafgefangenen zu tragen. Zum einen resultiert dieses aus der hohen finanziellen Belastung u.a. durch Geldstrafen aus unerlaubter Handlung, Schmerzensgelder und Gerichtskosten und gleichzeitig die fehlende Tilgungsmöglichkeit zu Zeiten des Strafvollzugs. In dieser Zeit kumulieren sich die direkt aus der Straftat resultierenden Schulden mit ggf. schon vorher bestandenen Verbindlichkeiten zu einem kaum zu bewältigendem Schuldenberg. In der GP-Studie wird davon ausgegangen, daß ¾ der Strafgefangenen auch ein Schuldenproblem haben, wobei die durchschnittliche Schuldenhöhe vom Bayerischen Landesverband für Gefangenenfürsorge und Bewährungshilfe auf über 40.000,- DM ermittelt wurde.
Drogenabhängige
Ähnlich wie bei der Gruppe der Strafgefangenen ist auch bei Drogenabhängigen eine sehr hohe Ver-/Überschuldung festzustellen. Eine Untersuchung aus dem Jahr 1985 in hessischen Langzeittherapieeinrichtungen belegt für 84% ihrer Patienten eine Verschuldungssituation mit einer durchschnittlichen Verschuldungshöhe von etwa 17.000,- DM. Diese setzen sich zum einen aus Schulden aus unerlaubter Handlungen und Gerichtskosten (57%) sowie Anwaltskosten (39%) zusammen, zum anderen stehen sie in direktem Zusammenhang mit der Beschaffung der Drogen (bankmäßige Kredite = 56%; Schulden bei Verwandten und Bekannten = 42%). Die Gesamtzahl der überschuldeten Drogenabhängigen wird von der GP-Forschungsgruppe auf rund 40.000 bis 60.000 geschätzt.
Kranke Menschen
Bei ihnen besteht die Gefahr des Verlustes der Arbeitsplatzes mit allen bekannten ökonomischen sowie psycho-sozialen Folgen und möglichen Begleiterscheinungen. Aber auch die Finanzierung von notwendigen Arznei- und Heilmitteln kann eine Überschuldungssituation herbei führen.
Personen in Trennungs- oder Scheidungssituationen
Neben psycho-sozialen Schwierigkeiten hat diese Gruppe einen erhöhten Kapitalbedarf, um den gewohnten Lebensstandard der jeweiligen Bezugsgruppe halten zu können, der oft nur durch Kredite ermöglicht werden kann.
Empfänger von Sozialhilfe bzw. Leistungen nach dem AFG
Aufgrund der Leistungshöhe ist es v.a. Empfängern von Sozialhilfe nicht möglich, während des Bezuges Tilgungszahlungen zu leisten und so einen Abbau von Verbindlichkeiten zu erreichen. Erschwert wird dies zusätzlich dadurch, daß bei Ermittlung des sozialhilferechtlichen Bedarfes für Hilfe zu Lebensunterhalt keine bestehenden Schulden berücksichtigt werden können. Gravierend ist dies in den Fällen, wenn Lohnpfändungen vorliegen und auf diese Weise das tatsächlich zur Verfügung stehende Nettoeinkommen unterhalb der Bedarfsgrenze liegt.
2.4 Folgen von Überschuldung
Als mögliche Folgen von Überschuldung lassen sich benennen:
Drastische Senkung des Haushaltsbudgets mit erheblichen Einschränkungen in der täglichen Versorgung,
Fehlen finanzieller Reserven für unvorhergesehene Ereignisse,
Gehalts- und Lohnpfändungen mit möglicherweise anschließendem Verlust des Arbeitsplatzes,
Abgabe von Eidesstattlichen Versicherungen mit Minderung späterer Kreditwürdigkeit,
Aufnahme deutlich zinsüberhöhter Kredite mit der Folge der weiteren Verschuldung,
Störung des sozialen Gleichgewichts in der Familie,
Erhöhte Reizbarkeit der Familienmitglieder im Umgang miteinander,
Zerstörung der ehelichen bzw. familiären Gemeinschaft,
Streß- und Überlastungssituation für Eltern und Kinder,
geringer werdende Teilnahme am gemeinschaftlichen Leben,
Neigung, sich vor Nachbarn zu \"verstecken\",
Angst vor der Zukunft, keine Zukunftsperspektive, Gefühl der völligen Ohnmacht,
Entstehen psychischer Überlastung,
Aufkommen von Aggression nach Innen (Depression und Resignation, psychische Erkrankung, Suchterkrankung),
Krankheit,
Einstellung der Energieversorgung für die eigene Wohnung,
Wohnungsverlust - Obdachlosigkeit,
u.v.m.
2.5 Ablauf einer Schuldnerberatung
Nach Berner läßt sich der Ablauf einer Schuldnerberatung in grundsätzlich zwei Phasen unterteilen, der Klärungs- und Beratungsphase und der Handlungsphase.
Zur Klärungs- und Beratungsphase gehören:
\"Klärung der finanziellen und persönlichen Situation einer verschuldeten Person/Familie
Schuldenberatung hinsichtlich der Forderungen der Gläubiger
Schuldnerberatung in finanzieller Hinsicht
Schuldnerberatung in Bezug auf die persönlichen Probleme\"
Die Handlungsphase besteht aus:
\"Kontaktaufnahme zu Gläubigern ohne direkte Regulierung der Schulden
Schuldenregulierung, bei der Regelungen mit den Gläubigern mit dem Ziel der Tilgung der Schulden getroffen werden
Psychosoziale Betreuung des Klienten mit pädagogisch-präventativer Arbeit zur Vermeidung erneuter/weiterer Überschuldung
Öffentlichkeitsarbeit zur Überschuldungssituation der Bevölkerung\"
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