Nun ist dieses gesamte Projekt einer einheitlichen Währung in Europa sehr umstritten, sei es aus Angst um das Ersparte, um den deutschen Wohlstand oder nur aus Informationsmangel. Auf alle Fälle ist es nicht so einfach wie Dr. Weber vom Verband der deutschen Banken es dem Bürger verkaufen will: "Es handelt sich lediglich um eine Umstellung der Währungseinheit, die Kaufkraft bleibt voll er halten und auch sonst ändert sich nichts."(Nr. 11) Ich befürchte, daß wenn die Banken die eigentlich der Regierung zustehende Aufgabe, die Bevölkerung zu informieren, übernehmen, der Bürger unzureichend über die Risiken der WWU aufgeklärt wird, und die Banken allein zu ihrem Vorteil handeln und dem kleinen Mann auch mal das eine oder andere verschweigen. "Die Fakten sprechen alle für die Währungsunion," sagt Wessel, Präsident des Verbandes der deutschen Banken, "Diese wollen wir vermitteln. Nur so lassen sich viele unbegründete Vorbehalte und Sorgen der Bürger ausräumen."(SZ v. 18.12.95) Sollte dies aber in der Art und Weise von Dr. Weber geschehen, so wird diese Aufklärung nicht objektiv sein. Denn so unbegründet sind diese Ängste der Bevölkerung bestimmt nicht, denn sonst hätten die Wirtschafts- und Währungsexperten nicht diese heftigen Meinungsverschiedenheiten, die sich auch in grundsätzlichen Dingen bestehen.
Zu beginnen wäre bei den Konvergenzkriterien: Ich möchte nicht wie SZ-Kommentator Wilfried Münster behaupten, daß die "Qualifikationskriterien einfach nicht passen"(SZ v. 9.9.95) oder mich Hans Dietrich Barbiers Meinung, "Die Kriterien sind willkürlich"(Nr. 12) anschließen. Ich denke, daß man mit den Konvergenzkriterien schon im Groben zwischen den Staaten, die sich für eine Währungsunion eignen oder nicht, selektieren kann. Aber zu "prüfen, ob ein hoher Grad dauerhafter Konvergenz erfüllt ist",(Nr. 1; Art.109j) sind sie meiner Meinung nach eben nicht geeignet. In einigen Fällen sind die Kriterien zu locker, und in anderen zu hart: So gibt es währungspolitisch gesehen gar keinen Grund, Belgien von der Währungsunion auszusperren, da der Belgische Franc mindestens so stabil ist wie der Französische, wie die Abbildungen 3, 4 und 5 im Anhang zeigen. Gemäß den Kriterien aber hat das Königreich keine Chance, da seine öffentliche Schuld mehr als doppelt so hoch ist wie erlaubt. Es ist aber - zumindest politisch kaum vorstellbar, Europas Hauptstadt Brüssel aus der WWU auszugrenzen. Für Belgien aber eine Ausnahme zu machen würde bedeuten, daß man auch Länder mit instabilen Währungen wie Italien, Spanien, Griechenland , Portugal und andere mit aufnehmen müßte. Zum Fall Belgien bleiben also viele Fragen ungeklärt (SZ v. 9.9.95)
Des weiteren fehlt nach Ansicht der Bonner Arbeitsgruppe, die "Maastricht II"-Konferenz vorbereitet, ein wichtiges Kriterium, der ich mich nur anschließen kann: "In den Maastricht-vertrag müßten Bestimmungen eingefügt werden, durch die ein hohes Beschäftigungsniveau sichergestellt wird."(Zwischenbericht der Arbeitsgruppe zur Maastricht II-Konferenz vom 5.9.95; aus SZ v. 6.9.95) Die Arbeitslosenquote als ein weiteres Kriterium würde dafür sorgen, daß wirklich nur von der Wirtschaftsstruktur ähnliche Staaten einen gemeinsamen Währungsraum bilden. Die Arbeitslosenquote in Europa liegt im Durchschnitt bei 11%; die geringste Quote hat Luxemburg mit 3,9%, die höchste Spanien mit 22% (SZ v. 8.9.95).
Einer der größten volkswirtschaftlichen Fehler im Vertragswerk besteht darin, daß diese Konvergenzkriterien quasi nur als Momentaufnahme im Jahr 1998 überprüft werden und dann die teilnehmenden Staaten auf Dauer feststehen. Ab diesem Zeitpunkt sind die Konvergenzkriterien dann in keiner Weise mehr relevant. Also genau zu dem Zeitpunkt, wo eine vernünftige, ausgeglichene und disziplinierte Wirtschafts-, Fiskal- und Haushaltspolitik unverzichtbar wäre, gibt es nach dem Vertrag von Maastricht für die teilnehmenden Staaten keine Vorschriften (Prof. Hankel und Barbier in Nr. 12). "Nach der Qualifikation für den Währungsclub gelten keine Regeln mehr. So kann beispielsweise jedes Land seine Staatsschuld auf Kosten der anderen in die Höhe treiben. Auch wenn die gemeinsame Währung gegenüber Drittländern fällt und fällt, drohen dem Schuldenmacher keinerlei Sanktionen." (Nr. 13, S. 43) Das hat zwischenzeitlich auch Bundesfinanzminister Waigel (CSU) erkannt, weswegen er einen Stabilitätspakt, der den Maastrichtvertrag ergänzen soll, initiiert hat. Diese von vielen Experten, darunter auch Bundesbankpräsident Tietmeyer (SZ v. 23.11.95) befürwortete und auch von anderen Staaten wie Frankreich (SZ v. 14.11.95) begrüßte Ergänzung soll aber erst in den nächsten Monaten inhaltlich ausgehandelt und unterzeichnet werden. Damit sollen die Länder verpflichtet werden, auch nach 1999 eine für alle an der WWU teilnehmenden Staaten akzeptable Finanzpolitik zu betreiben. So soll nach Waigels Plänen in normalen wirtschaftlichen Zeiten die maximale Neuverschuldung bei 1% des Bruttoinlandprodukts liegen und nur in schwierigen Zeiten bis zu 3% vom Bruttoinlandprodukts ansteigen. Wenn Teilnehmer gegen diesen Stabilitätspakt verstoßen, sollen sie 0,25% ihres Bruttosozialproduktes bei der EZB hinterlegen (SZ v. 16.12.95). Fraglich ist meiner Meinung nach nur, ob sich ein Land dadurch vom Aufnehmen neuer Schulden abbringen läßt. Auf die Frage, was man dann gegen diese Länder unternehmen kann, weiß auch EWI-Präsident Lamfalussy noch keine Antwort (SZ v. 26.10.95) Als Strafe scheint diese Regelung nicht allzu eingreifend zu sein. Auch sollte man daran denken, daß diese bei der EZB hinterlegten 0,25% des Bruttosozialprodukts wohl auch in den meisten Fällen durch Schulden finanziert werden.
Ein weiterer Gefahrenpunkt ist die Auslegung des Vertragtextes: Wenn das "öffentliche Defizit ... erheblich und laufend zurückgegangen ist ... oder der Referenzwert nur vorübergehend überschritten wird" (Nr. 1; Art. 104c; Abs. 2a) oder "das Verhältnis des öffentlichen Schuldenstands ... hinreichend rückläufig ist und sich rasch genug dem Referenzwert nähert" (Nr. 1; Art. 104c; Abs. 2b), so kann der Staat trotzdem an der WWU teilnehmen. Eine nähere Begriffsbestimmung der Wörter "hinreichend, erheblich oder rasch genug" liefert der Vertrag jedoch nicht. Je nach Interpretation können die Kriterien so weit aufgeweicht werden, daß eine Stabilitätsunion nicht mehr garantiert wäre. Das hätte zur Folge, daß die Bundesrepublik Deutschland nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr an der Währungsunion teilnehmen darf (BVerfG, Zweiter Senat: 2 BvR 2134/92 und 2 BvR 2159/92). Hier besteht also auch noch erheblicher Klärungsbedarf und noch jede Menge politischer Sprengstoff, da die volkswirtschaftlichen Rahmenbedingungen noch nicht verbindlich vorliegen, politische Entscheidungen fehlen und unter Umständen rechtliche Streitigkeiten vor Gericht mit ungewissen Ergebnissen ausgetragen werden.
Ein weiteres Manko ist der Zeitraum, in dem die Einhaltung der Konvergenzkriterien geprüft wird. Die Staaten müssen lediglich 1997 die erforderlichen Kriterien eingehalten haben und seit 1996 die Bandbreiten im EWS (die zur Zeit bei großzügigen ±15% liegen) einhalten. Dieser Zeitraum ist meineserachtens viel zu kurz, um sicher sagen zu könne, welche Staaten sich zur Teilnahme eignen, zumal die Kriterien wie bereits ausgeführt auch nicht gerade ideal gewählt sind.
Wie auch Abbildung 5 im Anhang zeigt, hat 1993 kein einziges Land alle Kriterien erfüllt. 1994 haben Deutschland und Luxemburg die Kriterien geschafft, 1995 wäre Deutschland aber schon wieder wegen seines Haushaltsdefizits von 3,6% zum Bruttoinlandprodukt durchgefallen. (SZ v. 12.1.96) Besonders interessant ist auch der Fall Großbritannien: Obwohl der Vertrag zur Europäischen Union verlangt, daß alle Länder bis spätestens 1999 eine unabhängige Zentralbank haben müssen, wird dort die Zinspolitik noch immer vom Unterhaus betrieben.
Die Experten sehen aufgrund dieser Ergebnisse folgende zwei Modelle für die Währungsunion:
Da fast kein Land den Anforderungen entspricht, werden sie weich ausgelegt; es gäbe eine größere Teilnehmerzahl auch mit Ländern stabilitätschwacher Währungen, und die Währung wäre nicht so stabil, wie es sich die Staaten mit stabilen Währungen wünschen würden. Dieses Modell ist aber eher unwahrscheinlich, da viele Persönlichkeiten wie der Vorsitztende der "Fünf Wirtschaftsweisen" Prof. Hax (SZ v. 2.12.95) und der bayerische Ministerpräsident Stoiber (SZ v. 4.11.95, erste Seite) aus Politik und Wirtschaft sehr auf die Stabilität achten und dafür auch den Zeitplan verschieben würden. Auch dürfte die Bundesrepublik Deutschland nach dem Verfassungsgerichtsurteil nicht an einer Währungsunion teilnehmen, in der die Kriterien nicht absolut sind (Prof. Hankel in Nr. 12)
Die Kriterien werden hart ausgelegt, es gibt nur wenige Teilnehmer und die Währung wird stabil. Die große Frage wäre dann, ob die nichtteilnehmenden Länder dann ihre jetzige Stabilitätspolitik aufgeben, keine weiteren Anstrengungen zur Einhaltung der Konvergenzkriterien betreiben, die Zügel der Wirtschaft schleifen lassen, sich abspalten und damit die Differenzen zwischen ihnen und den teilnehmenden Staaten immer größer werden, was genau das Gegenteil des eigentlichen Ziels, das Zusammenwachsen in Europa, wäre. Oder wird die WWU für die "Outsider", sofern sie gut funktioniert, eine Magnetwirkung ausstrahlen, die bewirkt, daß sie sich weiter bemühen, vielleicht ein reformiertes EWS bilden und bald mit in die EWU aufgenommen werden. Wie sich das entwickeln wird, ist nach der Meinung von Hans Dietmar Barbier hochspekulativ und von niemanden vorherzusagen. (Nr. 12)
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