Keine neue Chance
Hervorzuheben ist die Geschichte von drei Frauen aus Frankfurt/Oder: Berta Klaus, Grete Lieser und Irmgard Luckner, die in der DDR-Zeit eine bemerkenswerte berufliche Entwicklung genommen hatten. Aufgrund ihres Alters - sie waren zwischen 1928 und 1934 geboren - geriet ihre gesamte Lebensleistung gewissermaßen in den Bereich des ,,Vorher". Der Bruch von 1989/90 bot ihnen keine Chance mehr für einen Neuansatz, er blieb deshalb als Abbruch schmerzhaft präsent. Ihre ,,Karriere", die sie selbst nie so nennen würden, ist eng verbunden mit einem Betrieb in der Stadt an der polnischen Grenze. Alle drei Frauen waren verheiratet und hatten bereits Kinder, als sie Ende der fünfziger/Anfang der sechziger Jahre im neu erbauten Halbleiterwerk im Drei-Schicht-System zu arbeiten begannen.
Vorzeigefrauen
Das neu erbaute Werk, in dem es noch keine fest gefügten Hierarchien gab und in dem es überall an ausgebildeten Fachkräften fehlte, bot diesen Frauen einzigartige Aufstiegschancen. Sie holten ihre Facharbeiterausbildung nach und qualifizierten sich anschließend zu Meisterinnen, natürlich immer neben der Schichtarbeit im Abendstudium bei gleichzeitiger Verantwortung für Haushalt und Kinder sowie stets gedrängt von Kaderleitern, Abteilungsleitern, Parteisekretären, deren Erwartungen sie keinesfalls enttäuschen wollten. Grete Lieser schaffte sogar noch das Ingenieurstudium und wurde Abteilungsleiterin. Die beiden anderen Frauen leiteten bis 1990 verschiedene Fertigungsbereiche und bildeten Lehrlinge aus. Mit ihrem Fleiß und ihrer Einsatzbereitschaft hielten sie die oftmals stockende Produktion in Gang und bekamen dafür gesellschaftliche Bestätigung, Prämien und Medaillen. Sie galten als Vorzeigefrauen im Werk und in der Stadt. Zeitungsartikel wurden über sie geschrieben, in der Betriebschronik konnte man Fotos von ihnen sehen. Grete Lieser war sogar Abgeordnete im Bezirksparlament und durfte Erich Honecker einen Blumenstrauß überreichen, als er das Werk besuchte.
Dieses Leben, in dessen Zentrum die Arbeit stand, verlor plötzlich seinen Sinn, als 1990 die ersten Frauen im Halbleiterwerk entlassen wurden. Am leichtesten war es vielleicht noch für Grete Lieser, die kurz zuvor in Rente gegangen war und zusammen mit ihrem zweiten Ehemann Pläne für einen neuen Lebensabschnitt machen konnte. Irmgard Luckner (damals sechzig jährig) aber hatte noch auf mindestens fünf Jahre voller Berufstätigkeit gerechnet und Berta Klaus war erst 56 Jahre alt, als beide ihre Entlassungspapiere erhielten. Beide Frauen waren inzwischen verwitwet, die Kinder hatten schon eigene Familien gegründet. Es verwundert deshalb kaum, dass vor allem Frau Klaus und Frau Luckner den Veränderungen keine gute Seite abgewinnen konnten. Berta Klaus empfand die Wendezeit ,,wie eine kalte Dusche". Irmgard Luckner kam sich vor, ,,als ob wir einen Krieg verloren hätten".
Fehlender Lebensinhalt
Hier drückte sich nicht nur die große Schwierigkeit aus, einen neuen Lebensinhalt zu finden, sich nach Jahrzehnten rastloser Pflichterfüllung wieder auf sich selbst zu besinnen, Es war auch das Gefühl, von der eigenen Lebensleistung abgeschnitten zu sein, die keine Würdigung mehr erfuhr, das Gefühl, dass alle Anstrengungen, alle Mühe umsonst gewesen waren, da sie in kein Ergebnis geflossen sind, auf das man heute stolz sein kann.
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