Hobson: die ökonomische Imperialismustheorie
Hobson schloss aufgrund umfangreichen Zahlenmaterials auf einen direkten Zusammenhang zwischen der Ausdehnung des britischen Empires nach 1879 und dem raschen Wachstum der britischen Investitionen in Übersee. Daraus leitete er folgende Theorie ab: Weil die Märkte in den Industriestaaten gesättigt seien, suchten Kapitalbesitzer nach neuen Investitionsmöglichkeiten. Sie nutzten ihren Einfluss auf die Politik um den Staat zu einer imperialistischen Politik zu bewegen.
Die stete Verbesserung der Produktionsmethoden und die zunehmende Konzentration des Kapitals in wenigen Händen verstärkten nach Hobson diesen Mechanismus. Der Staat soll für viel Geld irgendein fernes, unerschlossenes Land erwerben, das die Kapital- und Warenüberschüsse seiner Industrie aufnehmen kann. Der beschriebene Mechanismus führt zu einem eigentlichen Wettlauf um die Gebiete, die noch von keiner Macht besetzt sind. Der Imperialismus führt notwendigerweise zu einem Krieg zwischen den Grossmächten.
Weber: eine soziologisch-politische Imperialismustheorie
Der Imperialismus beruhte nach Weber auf den machtpolitischen und gesellschaftlichen Ansprüchen bestimmter Schichten. Die Führungsschicht der Industriestaaten konnte sich dank der imperialistischen Politik bereichern, denn hatte es grössere Gewinnmöglichkeiten. Das stärkte und sicherte ihre vorherrschende Stellung in der Politik und der Gesellschaft der imperialistischen Staaten.
Die Führungsschicht wurde in ihren Anliegen vom Mittelstand und vom Bildungsbürgertum unterstützt, denn die kolonialen Imperien boten neue Möglichkeiten für die Karieren der mittelständischen Jugend in der Armee und in der Verwaltung.
Lenin: die marxistisch-leninistische Imperialismustheorie
Lenin deutete den Imperialismus als letztes Aufbäumen des Kapitalismus. Er behauptete: "Der Imperialismus ist das höchste Stadium des Kapitalismus". Da die Bourgeoisie gewissermassen mit den Gewinnen aus den Kolonien die eigene Arbeiterschaft kaufen konnte, ermöglichte dies dem Kapitalismus seinen unvermeidlichen Untergang nochmals hinauszuschieben.
Der Klassenkampf verlagert sich ausserdem auf eine internationale Ebene in der es eine neue Form von Klassengegensätzen gibt. Nämlich die der ausbeutenden und der ausgebeuteten Länder.
Lenin sagte einen grossen Krieg zwischen den imperialistischen Mächten voraus. Dieser Krieg werde den Kapitalismus verschlingen und den Weg frei machen für eine Weltrevolution. Diese gehe aus dem Bündnis zwischen den ausgebeuteten Kolonien und der Arbeiterschaft in den Industriestaaten hervor.
John Gallagher und Ronald Robinson: informaler und formaler Imperialismus
Die beiden Geschichtswissenschaftler unterschieden am Beispiel der britischen Kolonialherrschaft unter einem informalen und einem formalen Imperialismus.
Zunächst habe ein "informal Empire" bestanden. Zu diesem gehörten alle Gebiete, in denen die Briten eine wirtschaftliche Vorherrschaft erlangt hatten. Ein Beispiel dafür wäre Indien, das den britischen Wirtschaftsinteressen unterworfen war, lange bevor es formal zu Kronkolonie gehörte.
Sie definierten den Imperialismus als Übergang vom informal Empire zum formal Empire. Mit formal Empire bezeichneten sie alle Kolonialgebiete, die durch staatliche Machtmittel beherrscht wurden. Der wirtschaftlichen Durchdringung folgte also die politische Unterwerfung.
Schumpeter: die soziologisch-strukturelle Imperialismustheorie
Schumpeter vertrat die Ansicht, dass Imperialismus und wirtschaftliche Expansion zwei grundverschiedene Dinge und nicht zwei Seiten einer Medaille waren. Der Imperialismus sei gewissermassen eine Störung des Kapitalismus.
Die natürliche Form des Kapitalismus sei nach Schumpeter der Freihandel. Jedoch seien die Oberschicht vom Drang zum Krieg und zur Expansion besessen gewesen und hätten deshalb eine imperialistische Politik durchgesetzt. Somit sei der Imperialismus eine Folge davon, dass politische und gesellschaftliche Strukturen aus der Zeit der Industrialisierung weiter bestanden.
Wehler: Konjunkturkrisen und Sozialimperialismus
Wehler deutet den Imperialismus als das Ergebnis der regelmässigen Wirtschaftskrisen in den europäischen Industriestaaten. Als eigentlicher Auslöser war die Grosse Depression von 1873 gedacht. Damals sei "ideologischer Konsensus" darüber entstanden, dass der eigenen Wirtschaft mit allen Mitteln neue Absatzmärkte geschaffen werden müssten, um weiteren Wachstum zu gewährleisten.
Der Imperialismus habe nach Wehler nicht nur die Aufgabe, die Schwankungen der wirtschaftlichen Entwicklung aufzufangen, sondern diene ausserdem dazu die bestehende Gesellschaftsstruktur zu erhalten. Es konnte eine innenpolitische Stabilität erreicht werden, indem die herrschende Gesellschaftsordnung gegen aussen gestärkt wurde. Sie strebten danach, ihre führende Stellung in der sich wandelnden Industriegesellschaft zu erhalten.
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