6.1 Studie des IAB
Die sogenannte Scheinselbständigkeit spielt in der aktuellen sozialpolitischen Diskussion eine erhebliche Rolle. Beleg hierfür ist der von der SPD - Fraktion eingebrachte "Entwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Scheinselbständigkeit". Um dieses Problem wirksam bekämpfen zu können, benötigt man vorerst ausreichend sichere Daten über deren Umfang und Entwicklung. Diese Ausgangsinformationen fehlten, so daß das Bundesarbeitsministerium Ende 1993 mit dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesanstalt für Arbeit (IAB) die Erstellung einer breit angelegten Untersuchung vereinbarte.
6.1.1 Abgrenzungsmodelle
Ob eine Tätigkeit rechtlich als selbständige Tätigkeit oder ob eine Person eine abhängige Tätigkeit leistet und deshalb eventuell nur "zum Schein" selbständig arbeitet, hängt von der Definition des Arbeitnehmerbegriffs und der des Selbständigen ab.
Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG) legt eine Abgrenzung zu Grunde, die sich vor allem auf die persönliche Abhängigkeit bezieht. Für den Regelfall ist eine Einteilung auf dieser Grundlage eindeutig möglich. Es gibt aber auch Grenzbereiche, sogenannte Grauzonen, in denen fraglich ist, ob jemand zum Personenkreis eines Selbständigen oder eines Arbeitnehmers anzusiedeln ist. Die Rechtsprechung betont, daß die Abgrenzung eine Sache des Einzelfalls unter Gesamtwürdigung aller Umstände sei. In den Fragen, die bei den Interviews zur empirischen Erhebung verwendet wurden, sind alle vom BAG als beachtlich genannten Kriterien aufgenommen. Bei der Auswertung wurden die Merkmale danach geordnet und gewichtet, wie sie in der bisherigen Rechtsprechung überwiegend als maßgebend erschienen sind. Da bisher keine verbindliche Definition vorliegt, wurden dem "BAG- Modell" zwei weitere Modelle an die Seite gestellt. Das "Alternativmodell", in dem als Leitbegriff das Unternehmerrisiko herrscht und das "Verbandsmodell", in dem als Leitbegriff die Versicherungspflicht zu finden ist. Somit bekommt man einen Überblick, welche Zahlenverhältnisse sich nach dem einen oder anderen Modell ergeben. Folgend sind tabellarisch die zentralen Kriterien der drei arbeits- sozialrechtlichen Konzepte zur Abgrenzung von abhängiger und selbständiger Erwerbstätigkeit aufgezeigt.
Tabelle I [IAB2]
6.1.2 Empirische Erhebung
Im zweiten Halbjahr 1992 wurden insgesamt 21486, nach einem statistischen Zufallsverfahren ausgewählte Personen aus der deutschsprachigen Wohnbevölkerung im Alter von über 14 Jahren, befragt.
In einem ersten Erhebungsschritt wurden die Erwerbstätigen identifiziert, die in der Grauzone von selbständiger und abhängiger Tätigkeit angesiedelt waren (vergleiche Tabelle II). Dabei wurden diejenigen Personen der Grauzone zugeordnet, die hinsichtlich ihrer Haupterwerbstätigkeit oder Nebentätigkeit sowohl Merkmale einer selbständigen Erwerbstätigkeit, als auch Merkmale einer abhängigen Beschäftigung aufwiesen (vergleiche Tabelle III).
Tabelle II [IAB2]
Personen in der Grauzone von selbständiger und abhängiger Erwerbsarbeit Anteile in %
Anteil aller Personen, die der Grauzone zugerechnet werden, an der Wohnbevölkerung ab 14 Jahren ( = Grundgesamtheit ) 3,9
darunter:
Anteil der Erwerbstätigen, die hinsichtlich ihrer Haupterwerbstätigkeit der Grauzone zugerechnet werden an allen Erwerbstätigen aus der Grundgesamtheit
2,9
Anteil der Erwerbstätigen, die hinsichtlich einer Nebentätigkeit der Grauzone zugerechnet werden an allen Erwerbstätigen aus der Grundgesamtheit 1,8
Anteil von Nichterwerbstätigen einschließlich Arbeitsloser, die hinsichtlich einer Nebentätigkeit der Grauzone zugerechnet werden an allen Nichterwerbstätigen einschließlich Arbeitslosen aus der Grundgesamtheit
3,1
Grundgesamtheit: Deutschsprachige Wohnbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland im Alter ab 14 Jahre (Berechnet auf der Basis einer repräsentativen Stichprobe: N = 21,486)
Tabelle III [IAB2]
Nach der Auswertung des BAG- Modells, sowie des Alternativmodells - aufgrund des hohen Anteils der nicht zuordnungsfähigen Fälle wurde das Verbandsmodell nicht weiter berücksichtigt - kommt man zu folgendem Ergebnis: Entsprechend den Befunden der Studie sind insgesamt 2,9 % aller Erwerbstätigen hinsichtlich ihrer Haupt-erwerbstätigkeit der Grauzone von selbständiger und abhängiger Erwerbstätigkeit zuzuordnen. Dabei werden nach dem BAG- Modell 0,6 % aller Erwerbstätigen als eindeutig abhängig Beschäftigte eingestuft, obgleich ihnen die Arbeitnehmereigenschaft in der Praxis nicht zugestanden wird (Scheinselbständige). Das Alternativmodell kommt demgegenüber auf einen Anteil von 1,3 %. (siehe hierzu Tabelle IV)
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