Europarecht kann in einem weiteren und in einem engeren Sinn verstanden werden:
Im weiteren Sinn versteht man darunter das Recht aller europäischer Organisationen. Dazu zählen nicht nur die in der Europäischen Union (EU) zusammengeschlossenen und ihre Grundlage bildenden Gemeinschaften, sondern alle Organisationen Europas, wie der Europarat, die WEU (Westeuropäische Union), die OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), etc. Das im Rahmen dieser Organisationen - auch im Verhältnis zu den europäischen Nichtmitgliedstaaten - anwendbare Recht ist Europarecht im weiteren Sinn.
Im engeren Sinn versteht man darunter das Recht der Europäischen Gemeinschaften bzw. das der EU.
Wo liegt nun der Unterschied zwischen dem Recht der europäischen Union (in Folge Unionsrecht) zum Recht der Europäischen Gemeinschaften (in Folge Gemeinschaftsrecht)?
Als Unionsrecht im engeren oder eigentlichen Sinn ist der Inbegriff jener Normen zu verstehen, welche Bereiche regeln, die durch den Vertrag über die Europäische Union vom 7. Februar 1992 (Vertrag von Maastrich, in Folge EU-Vertrag) neu erfaßt werden. Dazu zählen insbesondere die Vorschriften über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres.
Als Unionsrecht im weiteren Sinn ist auch das Gemeinschaftsrecht zu verstehen, das durch den EU-Vertrag etwa um die Konzepte "Unionsbürgerschaft", "Subsidaritätsprinzip", "Wirtschafts- und Währungsunion" etc. erweitert wurde. Denn die Gemeinschaften bilden nach Art. A Abs. 3 EU-Vertrag die "Grundlage der Union".
Diese Unterscheidung ist von grundlegender Bedeutung, weil nur das Gemeinschaftsrecht, supranationalen Charakter trägt, während das übrige Unionsrecht traditionell-völkerrechtliche Züge besitzt. Aus diesem Grunde hat es auch der Europäische Gerichtshof bisher abgelehnt, seine Bezeichnung von "Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften" zu "Gerichtshof der Europäischen Union" zu ändern.
Wenngleich Europa - und somit auch das Europarecht - keineswegs auf die Europäischen Gemeinschaften beschränkt werden kann und darf, so ist unbestritten das Gemeinschaftsrecht doch als Kernstück und gewissermaßen auch als Gravitationszentrum des Europarechts im weiteren Sinn sowohl von Umfang als auch von der Bedeutung her anzusehen.
Um "europareife" Produkte herzustellen, übernehmen auch Nichtmitglieder der Europäischen Union "freiwillig" Vorschriften des Gemeinschaftsrechts, z. B. betreffend Kennzeichnung, Inhalt, Standards etc. ihrer Produkte. Man spricht hier von einem autonomen Nachvollzug durch die nationale Gesetzgebung, wie es im übrigen auch Österreich vor seinem EU-Beitritt praktiziert hat.
Der österreichische Gesetzgeber geht von einem Europarechtsbegriff im weiteren Sinn aus, wenn er im Juristengesetz das gegenständliche Fach als "Europarecht einschließlich des Rechtes supranationaler Organisationen" bezeichnet.
Daraus verdeutlicht sich, daß das Europarecht das Recht der Europäischen Gemeinschaften mitumfaßt, sich jedoch nicht in diesem erschöpft.
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