Das Drei-Schluchten-Projekt war seit den 20er Jahren ein Prestigeprojekt der starken Männer und Diktatoren Chinas. Die Opposition von zuständigen Ministerien, Provinzregierungen, wissenschaftlichen Kommissionen und Parlamentsabgeordneten verhinderten seine Durchführung bis Ende der 80er Jahre. Der Bauentscheid von 1992 wurde nur dank der Repressionswelle seit dem Tiananmen-Massaker vom Juni 1989 möglich. Seit diesem Zeitpunkt kann in China das Projekt am Yangtze nicht mehr öffentlich diskutiert werden. Kritische Stimmen wie die prominente Journalistin Dai Qing wurden mundtot gemacht.
Jahrzehntelange negative Erfahrungen haben gezeigt, dass Großprojekte höchstens im Klima einer freien Meinungsäußerung, einer öffentlichen Diskussion der Vor- und Nachteile sinnvoll durchgeführt werden können. Dies bedeutet nicht, Spielregeln westlicher Demokratien auf Länder wie China zu übertragen. Ein Mindestmass an im Sinn von Pressefreiheit, Konsultation und Partizipation der Betroffenen ist jedoch die unabdingbare Voraussetzung für die verantwortungsvolle Durchführung jedes Entwicklungs- oder Infrastrukturprojekts. Gerade die berüchtigtsten Entwicklungsruinen des internationalen Kraftwerkbaus weisen die selben undemokratischen Rahmenbedingungen auf wie das Drei-Schluchten-Projekt.
Führende Vertreter des Bundesamts für Außenwirtschaft haben wiederholt darauf hingewiesen, dass die wirtschaftliche Verflechtung den Austausch von Ideen und damit längerfristig die Demokratisierung fördert. Dabei darf allerdings nicht vergessen werden, dass die Demokratisierung historisch von der wirtschaftlichen Entwicklung nie automatisch gefördert, sondern stets in konkreten Auseinandersetzungen erkämpft wurde. Gerade der Widerstand gegen Staudammprojekte hat für die Demokratisierung in Zentral- und Osteuropa eine entscheidende Rolle gespielt. (Beispiele sind die bahnbrechenden Kampagnen gegen Nagymaros und Gabcikovo in Ungarn sowie gegen weitere Projekte in Bulgarien, Litauen oder Georgien.) Aufgrund dieser Erfahrungen wäre es äußerst zynisch, das diktatorische Drei-Schluchten-Projekt, das die Repression gegen dissidente Stimmen weiter verschärfen wird, durch seine Auswirkungen auf die Menschenrechtssituation zu rechtfertigen.
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