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mathematik artikel (Interpretation und charakterisierung)

Formel

Problemlösen und entdeckendes lernen



Da Bruner von der Prämisse ausgeht, dass das Hauptproblem des menschlichen Gedächtnisses nicht das Speichern von Informationen, sondern ihr Abrufen ist, stellt sich ihm der Gedächtnisprozess als Prozess des Problemlösens dar: Wie muss ich die Information platzieren, damit ich sie auf Abruf bekomme? Da für das Entdecken im Gedächtnis vorhandene Information abgerufen, auf die konkrete Fragestellung angewendet und mit neuen Erkenntnissen kombiniert werden muss, ist also Übung im Problemlösen in zweierlei Hinsicht eine Voraussetzung zum Erlernen der heuristischen Methoden des Entdeckens: Um die nötigen Kenntnisse aus dem Gedächtnis abrufen zu können und um die bestehende Schwierigkeit in eine Art Rätselform zu bringen und dieses Rätsel (das Problem) dann zu lösen. (Das Rätselmodell entwarf der englische Philosoph Weldon. Wichtig ist hierbei, dass eine Rätselform konstruiert wird, welche dann auch wirklich auf Schwierigkeiten übertragen werden kann. Ferner ist auch die Art des Fragens für das Entdecken ausschlaggebend, da es darauf ankommt, nach den gerade relevanten Dingen zu fragen und nicht bei Nebensächlichkeiten stehenzubleiben.)

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass auch das Speichern von Information ein erhebliches Problem darstellt, für mich meist ein größeres als das Abrufen. Trotzdem schließe ich mich Bruner an und bezeichne den Gedächtnisprozess als einen Prozess des Problemlösens: Oft wäre das Lernen für mich einfacher, wenn ich Information in einer logischen, gut erinnerbaren Reihenfolge \"speichern\" könnte, wenn ich eine bessere Methode hätte, mir Jahreszahlen oder Formeln zu merken und beim Abrufen nicht durcheinanderzubringen und wenn ich mehr Informationen gleichzeitig \"speichern\" könnte. Die von Bruner formulierte Erkenntnis, dass selber Entdecktes länger im Gedächtnis bleibt, trifft sicherlich zu: Die Anzahl der verschiedenen Möglichkeiten, aus n Streichholzschachteln einen Quader zu bauen werde ich wohl wesentlich länger im Gedächtnis behalten als die Bayessche Formel. Allerdings kann auch bei rezeptivem Lernen ein eindrucksvolles, ein den Lernenden besonders interessierendes oder ein mit unangenehmen Erfahrungen verknüpftes Beispiel lange Zeit im Gedächtnis bleiben. (Somit hat auch die Bayessche Formel noch Chancen.) Allerdings ist es schwierig, für jeden Lernenden ein derartiges Beispiel zu finden. Dazu bietet aufgrund des individuellen Weges das Entdeckende Lernen mehr Möglichkeiten.
Ich halte die Verknüpfung des Begriffes \"Entdeckendes Lernen\" mit dem Begriff \"Problemlösen\" für sinnvoll, weil ein Schüler mit einem Problem eine Antwort sucht und somit zum Lernen motiviert ist. Ferner werden das Wissen und das \"Nicht-Wissen\" durch die Formulierung eines Problems stärker in das Bewusstsein des Lernenden gerückt, strukturiert und geordnet. Daraufhin ist es oft leichter möglich, unkonkretes \"Nicht-Wissen\" in konkrete Fragen umzuwandeln. Die zur Beantwortung der Fragen nötigen Informationen können von den weniger wichtigen getrennt und nach fehlenden Fakten aktiv gesucht werden. Dadurch entsteht ein Plan zum Lösen des Problems, der ausgeführt, revidiert und im Nachhinein analysiert werden kann.
Soweit die Theorie, dazu nun Erfahrungen aus der Praxis: In der Seminarsitzung, in welcher das Streichholzschachtelproblemi) bearbeitet wurde, existierte nach Bekanntgabe der Fragestellung einige Minuten lang Ratlosigkeit. (Mich beschäftigte die Frage, was Prof. Schulz wohl nach der Sitzung mit den Streichhölzern anfangen würde und wie ihn die Verkäuferin des Supermarktes, in dem er die Streichhölzer kaufte, wohl angesehen haben mag. Ich wäre an seiner Stelle wohl eher durch halb Berlin gefahren und hätte in verschiedenen Supermärkten je zehn Streichholzschachteln gekauft als in einem einzigen Laden eine ganze Kiste.) Dann tauchten die ersten Fragen auf: Wie dürfen die Schachteln aneinander gelegt werden, welche Lösungen zählen als von einander abweichend? (Aus dem \"Nicht-Wissen\" entstanden Fragen.) Es folgte eine Phase mehr oder weniger planlosen Probierens, die einige Seminarteilnehmerinnen zu zweit oder alleine bestritten. Mit wachsendem n kamen wir zu der Erkenntnis, dass auch das Ordern und Aufteilen von Material (Streichholzschachteln) zu einem Problemlösungsprozess werden kann, wenn ernsthafter Streit abgewendet werden soll. (Besonders wichtig in der Schule: Eine Kiste Streichholzschachteln reicht nur für drei bis fünf Gruppen. Man sollte also im Supermarkt einige Tage vor einem derartigen Streichholzschachtelexperiment eine Bestellung aufgeben, damit es nicht zu einem Materialengpass kommt und man dann mit zu wenigen Streichholzschachteln vor die Schüler tritt. Ferner sind immer die Schüler im Materialbedarf gesondert zu berücksichtigen, die strikt darauf beharren, alleine zu entdecken.) Das Eintragen der Ergebnisse wurde zu einem Wettbewerb zwischen im Wesentlichen zwei Gruppen, an dem gegen Ende der Experimentierphase ab und zu auch die dritte Gruppe teilnahm. Erst wesentlich später als vom Seminarleiter erwartet, griffen einige Studentinnen auf die Möglichkeit der Notizen zurück, einige nutzten diese Möglichkeit nicht. Die Notizen waren zwar Bestandteil eines (revidierten) Lösungsplanes, warfen für mich allerdings wieder neue Probleme auf, z.B. das Problem des mangelnden Zeichentalents, der günstigen Systematisierung der Zeichnungen und der Blattgröße, die für die von mir erdachte Systematisierung leider zu klein war. Besonders schwer viel es uns, wirklich alle verschiedenen Quader zu finden, immer wieder entdeckte die neben uns sitzende Gruppe einen weiteren, worauf wir natürlich überprüfen mussten, ob die anderen auch Recht hatten. Dies unterbrach unsere Arbeit immer wieder, da wir ja inzwischen schon die Quader für ein anderes n zählten, erhöhte aber gleichzeitig unsere Bemühungen, endlich eine Formel zu finden, möglichst als erste Gruppe. (Also eine deutlich spürbare Erhöhung der Motivation, aber auch des von manchen Pädagogen so verteufelten Wettbewerbs unter den Lernenden!) Wir versuchten, alle möglichen Quader gleichzeitig auf den Tisch zu legen: Letztendlich mangelte es uns auch hier wieder an einer geeigneten Systematisierung, d.h. geschickten Anordnung der verschiedenen Quader. Irgendwann nahm ich nur noch halbherzig an den Versuchen meiner Kommilitonin teil: Ich war des relativ planlosen Experimentierens leid und versuchte mir mit den Notizen weiter zu helfen. (Der unterschiedliche Arbeitsstil kann für die Gruppe förderlich sein, kann aber auch zu ihrem Zerfall beitragen. Für mich war an dieser Stelle der bisherige Lösungsplan nicht mehr zufriedenstellend, ich beschritt einen anderen Weg, während meine Kommilitonin - Dies soll keine Wertung sein! - noch beim bisherigen Plan blieb.) In den letzten zehn Minuten der Seminarsitzung trugen wir dann unsere Lösungsideen und -pläne zusammen und erstellten aus ihnen einen einzigen Lösungsplan, der uns zu einem Ergebnis führte. Auch hier kam es also zu der für den Seminarleiter unerwarteten Situation, dass das Finden der Lösung länger dauerte als vorgesehen.

 
 

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