Michelangelo repräsentierte den Typus des autonomen, rastlos-kreativen Renaissancemenschen, der einen nachhaltigen Einfluss auf Zeitgenossen und spätere Generationen ausübte ("Universalmensch"). Seine Existenz war von Leidenschaften und Widersprüchen geprägt, und in seinem Schaffen vollendet sich die Kunst der Epoche. Da die Homosexualität zu Lebzeiten weitgehend ein Tabu war, wurde sie in der Kunst indirekt ausgedrückt, so zum Beispiel im Bacchus, der "die Schlankheit der Jugend mit der runden Fülle einer Frau kombiniert".
Zeitlebens war er Vertrauter von Fürsten und Päpsten, wie auch von Gelehrten und Künstlern. Michelangelo, dem schon zu Lebzeiten zwei Biographien (Ascanio Condivi (Schüler)/ Giorgio Vasari (Freund)) gewidmte wurden, erhielt einen Göttlichkeitsstatus. Und noch heute ist er für viele Menschen eine mythische und symbolische Gestalt, die das Urbild des reinen und erhabenen Künstlers widerspiegelt.
Seine wirtschaftliche Abhängigkeit von hochgestellten Auftraggebern jedoch empfand er stets als schmerzlich. Als Michelangelo 1554 starb, trauerten die Zeitgenossen um den überragenden Künstler einer ganzen Epoche. Er war der Vollender der Hochrenaissance, Wegbereiter manieristischer (kühle, helle Farbgebung; erkünstelte Gebärden, Längung der Proportionen) und barocker Stiltendenzen. Seine Individualität war aber letztlich so groß, dass er keiner Stilrichtung eindeutig zuzuordnen ist. Michelangelo wurde zum Begründer einer neuen Vorstellung vom Künstler.
In einem Großteil der Literatur über M. wird eine Einordnung seiner Werke, sowohl in Bezug auf Ein- wie Auswirkungen, sehr nachlässig behandelt. Oftmals neigt man dazu, ihn als singulär dastehende Erscheinung zu sehen.
Seiner Persönlichkeit, der immer wieder faustische Tragik und beethovensches Titanentum aufgestempelt ist, sowie aus solchen "Erkenntnissen" resultierenden Interpretationen seiner Kunst wird dabei weit mehr Tribut gezollt als einer objektiven, wissenschaftlichen Identifikation seines Stils.
Natürlich sind Michelangelos offenbar widerborstiger, vielleicht sogar streitbarer Charakter, seine Neigung zu selbstgewählter Isolation, die Diskrepanz zwischen Zahl und Umfang seiner erdachten Projekte und dem tatsächlich ausgeführten Werk sowie seine gewaltige Formensprache Anlass genug, der Gefahr einer "Verromantisierung" zu erliegen und ihn als einsamen Kämpfer auf weiter Flur darzustellen.
Dennoch ist M. ein Künstler seiner Zeit, der freilich Aufgenommenes auf höchst individuelle Weise verarbeitet und dessen Kunst von Nachahmern leicht missdeutet und entsprechend weitergeführt wird.
Die Rezeption seines bildhauerischen Werkes ist sowohl bei Zeitgenossen als auch bei nachfolgenden Künstlergenerationen äußerst unterschiedlich. Sein Einfluß auf Zeitgenossen wie Bandinelli oder Sansovino ist unbestreitbar, ebenso ist deutlich, daß sich manieristische Künstler wie Giambologna und dann Cellini an ihm orientieren. Andererseits erfährt seine Arbeit sowohl zu Lebzeiten als auch später immer wieder massive Kritik, und letztlich ist die "moderne Wiederentdeckung" M.s erst Géricault und Delacroix zu verdanken, die dann von Rodin fortgeführt wird.
M. als "Vater" des Manierismus oder gar des Barock zu bezeichnen, ist gewagt und übertrieben. Weder das überzogene Virtuosentum des Manierismus noch die subjektive Gefühlswelt des Barock sind sein Anliegen, wohl aber eine individuelle Formensprache der Kraft, der Bewegung und der Energie, die er in der Gestalt des Menschen ausdrückt.
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