Der imperialistische Wettlauf führte zu scharfen Gegensätzen zwischen den europäischen Mächten und belastet allmählich das Klima in Europa erheblich. Der Schlusspunkt und gleichzeitig der Höhepunkt dieser Entwicklung war der Erste Weltkrieg, der 1914 in Europa ausbrach. Eine Schlüsselrolle bei dieser Entwicklung spielte das Deutsche Reich und Kaiser Wilhelm II.
4.1 Deutschland: "Die Zukunft liegt auf dem Meere"
Die Aussenpolitik des jungen Deutschland wurde zunächst von Bismarck stark beeinflusst. Als aber Kaiser Wilhelm II, der 1888 auf den Thron gekommen war, änderte sich dies, er entliess seinen Kanzler 1890.
Während Bismarck unter Kaiser Wilhelm I. darauf bedacht gewesen war, die übrigen europäischen Grossmächte nicht gegen Deutschland aufzubringen, strebte Wilhelm II. für sein Reich Weltgeltung um jeden Preis an.
Unter Bismarck hatte sich die Feindschaft zu Frankreich und die Freundschaft zu Österreich-Ungarn ungefähr die Waage gehalten. Es gab ein konfliktfreies Verhältnis zu Grossbritannien und nicht ganz verbindliche Bündnisverträge mit Russland. Um Weltpolitik zu betreiben war nach der Meinung Wilhelm II. jedoch ein fester Bündnispartner nötig. Man konnte sich jedoch von Anfang an nicht zwischen Russland und Grossbritannien entscheiden und schlussendlich machte man sich beide zum Feind.
1887 hatte sich Bismarck die Freundschaft zu Russland erkauft, indem er mit ihnen einen Rückversicherungsvertrag abschloss. Dessen Inhalt billigte die Expansionsaussichten Russlands, die jedoch Österreich-Ungarn in die Quere kam. Der Vertrag war deshalb geheim. Wilhelm II. weigerte sich dann im Jahre 1890 diesen Vertrag zu erneuern, was zum Sturz Bismarcks führte.
Die Abkehr von Russland hatte seinen Grund. Wilhelm II. hatte im Sinne das innerlich geschwächte Osmanische Reich zu besetzen, denn es galt als Angelpunkt zwischen den drei Kontinenten Europa, Asien und Afrika.
Der deutsche Imperialismus zielte nun also auf das Osmanische Reich. Deutschland ging dabei sehr geschickt vor. Man vermied es, Teile des Osmanischen Reiches zu besetzen. Deutschland hoffte, den Sultan mit der Zeit völlig von seiner Unterstützung abhängig zu machen und so politisch zu beherrschen. Das Osmanische Reich wäre als Marionettenstaat faktisch zu einem deutschen Protektorat geworden.
Dies ging den Interessen Russland völlig zuwider. Der Preis für die Abkehr Deutschlands war hoch. Russland verbündete sich 1892 mit Frankreich.
In der Folge versuchte Deutschland Grossbritannien zu übertrumpfen. Das Land, das sich noch immer in "Splendid Isolation" übte, wäre mit Deutschland nur ein Bündnis eingegangen, wäre Deutschland als Bittsteller aufgetreten. Das wollten diese auf ihrem Weg zur Weltmacht aber auf keinen Fall. Darin liegt der Kern jener Politik, die man als "neuen Kurs" bezeichnet.
Die Annäherung durch die deutsch-britische Zusammenarbeit im Helgoland-Sansibar-Vertrag 1890 hielt nicht lange an. Den Hintergrund dazu bildete das Misstrauen gegenüber deutscher Weltpolitik, das ganz allgemein bestand, unabhängig davon, welche Schritte nun die deutsche Politik unternehmen würde.
Das Misstrauen wurde bei den Briten durch das deutsche Engagement im Osmanischen Reich noch verstärkt. Obwohl der Kaiser die Briten vor den Kopf stiess (Krüger-Telegramm), prüften die Engländer während der Faschodakrise die Möglichkeiten eines Bündnisses zu Deutschland, damit sie schlussendlich nicht vor einem ihnen verfeindetem Block stehen würden. Deutschland weigerte sich jedoch und so kam kein Bündnis zu Stande. Dafür söhnte sich Grossbritannien nach Faschoda allmählich mit Frankreich aus und näherte sich damit der russisch-französischen Allianz.
Auch die deutsche Flottenpolitik stand den Briten entgegen. Als Insel musste Grossbritannien im Kriegsfall zu seiner Versorgung mit Lebensmitteln und Rohstoffen die Seewege freihalten können. Aus diesem Grund hielten sich die Briten eine Kriegsflotte, die jede andere Seestreitkraft um ein Mehrfaches an Grösse und Schlagkraft übertraf.
Auch das deutsche Reich betrachtete die Kriegsflotte als Rückgrat seiner imperialistischen Machtpolitik. Ab 1898 begann das Reich zur See aufzurüsten. Die Briten fühlten sich bald bedroht. Vor allem, weil auch die USA, Japan und Russland ihre Flotten ebenso rasch oder sogar rascher aufrüsteten als Deutschland.
Deutschland wurde um die Jahrhundertwende von einem richtigen Schiffsfimmel heimgesucht. Die politischen Entscheidungsträger versuchten mit allen Mitteln dem Volk einzuhämmern, dass es ohne starke Kriegsflotte dem Untergang geweiht sei.
Durch die aggressive Flottenpropaganda in Deutschland fand in der stärksten Seemacht der Welt, in Grossbritannien, ihr Feindbild. Die deutsche Führung machte sich ohne Not und mehr durch ihre verbale Protzerei als durch ihr Handeln Grossbritannien zum Feind. Man erklärte sich dies so: Durch den raschen gesellschaftlichen Wandel in Deutschland, durch die Modernisierung und vor allem durch den politischen Erfolg der Sozialdemokratie führten sich die konservativen Führungsschichten in ihrem Selbstverständnis bedroht. Das Prestige der stolzen Schlachtschiffe glich den schleichenden Verlust an gesellschaftlichem Gewicht aus.
4.2 Die Brennpunkte imperialistischer Interessengegensätze um 1900
Konflikt zwischen Japan und China um die Vorherrschaft in Korea 1894
Der Konflikt weitete sich 1894 zum Krieg zwischen beiden Ländern aus. Die Japaner gingen als Sieger davon und holten sich eine Reiche Beute. Diese wurde ihnen jedoch sofort durch Deutschland, Russland und Frankreich streitig gemacht. Die Japaner ladeten den Chinesen darum eine noch höhere Strafe auf. China war ruiniert und wurde von Japan ausgenommen. Dies führte zum Konflikt zwischen Japan und Russland und wiederum zum Krieg aus dem Japan als Sieger hervorging.
Faschodakrise im Sudan zwischen Grossbritannien und Frankreich 1898
Es kam zum offenen Konflikt um den Besitz des oberen Niltales. Der Rückzug der Franzosen ebnete aber den Weg zum Ausgleich. Das Verhältnis entspannte sich soweit, dass man von einer "Entente cordiale" sprach. Die Entente richtete sich zunehmend gegen das wilhelminische Deutschland.
Spanisch-amerikanischer Krieg in Kuba 1898
Als die Vereinigten Staaten danach ihre Beute in Besitz nahmen, kam es zu Reibereien mit Deutschland, das gerne einen Teil der ehemals spanischen Kolonie Philippinen übernommen hätte.
Indirekter deutscher Zugriff auf das Osmanische Reich
Von Russland aus drohte Deutschland der Wachmann am Bosporus zu werden. Das versperrte ihren Drang zum warmen Meer. Ferner wurde Deutschland wegen seiner Politik im Nahen Osten von Österreich-Ungarn abhängig, das die Brücke zum Balkan bildete. Es war jedoch eine wacklige Stütze, denn die Nationalitätenkonflikte im Innern drohten es zu zerreissen.
Die Briten wiederum hätten das Osmanische Reich am liebsten aufgeteilt, was Deutschland aber vehement zurück wies.
Burenkrieg 1899 im Süden Afrikas
Die Siedler, vor allem Niederländer und deutsche und französische Protestanten, nannten sich Buren und hatten im Süden Afrikas zwei unabhängige Staaten gegründet. Diese Burenstaaten kamen jedoch der britischen Strategie in den Weg. Es kam zu Krieg. Die Briten brauchten drei Jahre um die Buren zu besiegen und gingen dabei mit grosser Grausamkeit gegen die burische Bevölkerung vor. Die britische Kriegsführung stiess in Europa auf Abscheu, denn es war der erste Krieg, den man gegen weisse Siedler geführt hatte. Deutschland machte keinen Hehl aus seiner Anteilnahme an der burischen Sache. Es kam deshalb zur Verstimmung zwischen Grossbritannien und Deutschland.
Keiner dieser Konflikte mit einer Ausnahme führte zum Krieg. Es kam jedoch zu starren Feindbildern. Diese begannen in den Köpfen zu wirken und schufen jene aggressiv-nationalistische Stimmung, die schliesslich 1914 in den Ersten Weltkrieg mündete.
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