Wirtschaftliche und soziale Folgen der Pest
8.1 kurzfristige Folgen
In Fachkreisen liegen unterschiedlichste Meinungen über die kurz- und langfristigen Folgen der Pest vor. Während die einen sagen, dass die Pest den \"mächtigen Aufschwung von Handel und Industrie und die prächtige Entwicklung der deutschen Städte\" nicht habe aufhalten können, sind andere der Meinung, dass der schwarze Tod eines der einschneidendsten Ereignisse in der europäischen und deutschen Geschichte darstellt und dass ihm allgemein noch zu wenig Beachtung gezollt wird.
Die unmittelbare Folge der Pest war natürlich ein gewaltiger Bevölkerungsrückgang. Man sagt, dass erst in der Hälfte des 16. Jahrhunderts der Bevölkerungsstand von 1320 wieder erreicht wurde.
Vor allem in der Landwirtschaft sind diese Folgen gut nachzuvollziehen.
Aus England beispielsweise ist bekannt, dass es unmittelbar nach 1350 zu einer Teuerung der Lebensmittel kam, da die Menschen fehlten, um die benötigten Güter zu produzieren. Die Pest störte ja nicht nur das Angebot, sondern auch die Möglichkeiten des Transports. Hinzu kommt, dass nun mehr Geldmittel auf weniger Leute kommen, was auch eine Preissteigerung zur Folge hat.
Im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts kam es dann jedoch zum Preisnachlass, da die Nachfrage deutlich sank und das Angebot sich wieder einigermaßen stabilisiert hat. Hinzu kommt, dass nun mehr Tiere auf weniger Menschen kommen, also ein steigender Fleischkonsum. Der Preisverfall wurde dadurch gedämpft, dass die Anbauflächen zurückgingen, da die Bauern nicht mehr in der Lage waren so große Felder zu bestellen.
Verständlich ist auch, dass, aufgrund der verminderten Bevölkerungszahl, viele Dörfer und Siedlungen verlassen wurden. Gegen 1300 zählte Deutschland ca. 170000 Siedlungen, 200 Jahre später nur noch 130000.
Es ließen aber nicht alle Preise nach. Das Verlangen der Bevölkerung nach Luxusgütern stieg, erstens weil sie nun die finanziellen Mittel besaß und zweitens weil man tatsächlich mehr vom Leben haben wollte.
Dadurch stiegen die Preise für gewerbliche Produkte. Es gab nicht mehr viele Schmiede, Handwerker und dergleichen, daher sank das Angebot, während die Nachfrage stieg. So erreichten diese Gewerbe einen ansehnlichen finanziellen Status.
Noch stärker verdichtete sich der Reichtum dort, wo er vorher auch schon war: die Reichen beerbten ihre reichen Verwandten und diese wurden noch reicher. Dadurch stieg der Konsum von Luxusgütern noch weiter an.
Das Verlangen nach neuer Mode und Individualität des Adels führte zu immer häufiger erlassenen Kleiderordnungen, um die Bekleidungsvorrechte der Privilegierten zu schützen.
Es lässt sich jedoch nicht ohne weiteres Behaupten dass das Leben für die Menschen angenehmer geworden ist. Vom finanziellen her ohne Zweifel, aber die ständige Nähe zum Tod wurde verständlicherweise als sehr bedrückend empfunden. Auch die enttäuschende Erfahrung der Bevölkerung, dass die Kirche nichts gegen die Pest ausrichten konnte, versetzte die Menschen nicht gerade in Euphorie. Das entstandene Misstrauen der Kirche gegenüber führte nun auch dazu, dass nach Reformen gefragt wurde und man verzichtete teilweise auf die Kirche als Vermittler zwischen Gott und Menschheit und berief sich wieder auf die Bibel, das Wort Gottes. Man muss jedoch dazu sagen, dass es nicht zu einem schwinden der Religiosität des Einzelnen, sondern vielmehr zu einer Erschütterung des kirchlichen Ansehens.
Es entstanden auch viele neue Glaubensgemeinschaften, die sich von den Vorgaben der Kirche abwandten, um ihr Seelenheil auf andere Wege zu finden.
Dies war jedoch auch nur ein Teil der Bevölkerung. Dagegen sind nach der Pest die Anzahl frommer Stiftungen stark gestiegen. Auch wurden von vielen reichen Leuten Altäre in den Kirchen aufgestellt, um sich und seiner Verwandter Seelenheil zu sichern.
Man vernahm aber nicht nur Stimmen die von Reformen, Religiosität und Lebensüberdruss sprachen. Es machte sich eine Welle der Lebenslust unter Teilen der Bevölkerung breit, die Sucht nach Rausch, Luxus, Bequemlichkeit, Spielsucht und \"Sünde\". Aus Angst vor der Möglichkeit, dass das eigene Leben allzu rasch vorbei sein kann, begann man, sein Leben noch einmal in vollen Zügen zu genießen.
8.2 langfristige Folgen
Langfristig gesehen bewirkte und beschleunigte die Pest eine tief greifende Wandlung in der Gesellschaft. Wie der der Historiker David Herlihy zeigt, konnten die Generationen nach der Pest die bisherigen sozialen und kulturellen Strukturen der bisherigen Gesellschaft nicht beibehalten. Der massive Bevölkerungs-Rückgang hatte eine Umstrukturierung der Gesellschaft zur Folge, die sich langfristig positiv bemerkbar machte.
Die zahlreichen leer stehenden Bauernhöfe ermöglichten einem großen Prozentsatz der Bevölkerung einen Zugang zu rentablen Arbeitsplätzen. Schlecht gewordene Böden wurden außer Acht gelassen. Viele Zünfte ließen nun auch Mitglieder zu, denen man vorher die Mitgliedschaft verweigerte. Während die landwirtschaftlichen Pachten zusammenbrachen, stiegen die Löhne in den Städten deutlich an.
Der deutliche Anstieg der Löhne führte laut Herlihy zu einer Mechanisierung der Arbeitskräfte. Dadurch wurde das Spätmittelalter zu einer Zeit eindrucksvoller technischer Errungenschaften. Als Beispiel nenn er den Buchdruck: Solange die Löhne von Schreibern niedrig waren, war das handschriftliche Kopieren von Büchern eine zufrieden stellende Reproduktionsmethode. Mit dem Anstieg der Löhne setzten nun umfangreiche technische Experimente ein, die letztlich zur Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern von Johannes Gutenberg führten. Ebenso interpretiert Herlihy die Weiterentwicklung von Feuerwaffen als eine Folge auf den Mangel an Soldaten.
Während zahlreiche Klöster, die auf den Pachtzins ihrer Ländereien angewiesen waren, schauen mussten wie sie über die Runden kommen, nahm der Wohlstand der Kirche erheblich zu, da es zahlreiche Pestopfer gab, die keine Verwandten mehr besaßen und daher die Kirche beerbten. Allerdings ging sie auch um einiges unpopulärer aus der Zeit der Pest hervor, da sie keine zufrieden stellenden Antworten liefern konnte, warum Gott den Menschen solch eine arte Prüfung auferlegt hatte. Weiterhin hatte sie auch keinen geistlichen Beistand geleistet, als das Bedürfnis danach am größten war.
Insbesondere der österreichische Kulturhistoriker Egon Friedell vertritt in seinem Werk \"Kulturgeschichte der Neuzeit\" die Meinung, dass die Pest die Krise des mittelalterlichen Welt- und Menschenbildnis verursacht und bis dahin bestehende Glaubensgewissheiten über den Haufen geworfen habe. Weiterhin sieht er eine direkte Verbindung zwischen dem \"Schwarzen Tod\" und der Renaissance.
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