Franz Grillparzer "Der arme Spielmann" (Novelle) Lebenslauf: Franz Grillparzer wurde 1791 in Wien geboren und stammt väterlicherseits und mütterlicherseits aus bäuerlichem Geschlecht. Der Vater, ein ernster und strenger Mann, war Advokat, die Mutter, eine geborene Sonnleithner, war künstlerisch begabt, jedoch psychisch krank und ihr Leben endete durch Selbstmord. Franz, der älteste von vier Söhnen, verlebte eine traurige Jugend und blieb den Dienstboten überlassen. Frühzeitig begann er, sich und andere sehr genau zu beobachten. Er studierte Jura wie sein Vater und wurde Beamter. Der Tod des Vaters nötigte ihn, für den Unterhalt der Familie zu sorgen.
Er wurde Hofmeister in der gräflichen Familie Seilern. Zu dichterischer Tätigkeit regte ihn der Dramaturg des Hofburgtheaters, Joseph Schreyvogel, an. Durch den Wunsch eines Adeligen kam er ins Finanzministerium und wurde auch besoldeter Hoftheaterdichter. Durch das plötzliche Ableben seiner Mutter erschüttert, ging er nach Italien. 1826 reiste er nach Deutschland und besuchte Goethe. 1832 wurde er Direktor am Hofkammerarchiv.
Einsam lebte er fortan unter seinen Akten und entwickelte sich zu einem der besten Kenner der österreichischen Geschichte. Bis zu seinem Lebensende betreuten ihn die Schwestern Fröhlich, die dritte von ihnen, Kathy, seine Geliebte, wurde auch die Erbin seines ganzen Nachlasses. 1872 starb Grillparzer. Inhalt und Interpretation Der arme Spielmann erschien im Taschenbuch "Iris" für das Jahr 1848. Die Erzählung verbindet kunstvoll den "Rahmen" persönlicher Betrachtung mit der eigentlichen Handlung, in die der Er- Erzähler immer wieder einbezogen wird. Er, "ein leidenschaftlicher Liebhaber der Menschen, vorzüglich des Volkes", besucht ein großes Jahrmarktsfest in einer Wiener Vorstadt.
Auf ebendiesem Fest trifft er einen armen alten Geiger, der ihm seine Lebensgeschichte, eine Erzählung in der Erzählung, berichtet: Als Sohn eines hohen und einflussreichen Staatsbeamten, versagt er, weich, träumerisch und nach innen gewandt, vor den Anforderungen der Wirklichkeit, wird von dem ehrgeizigen und jähzornigen Vater von der Schule genommen und muss nun als kleiner Schreiber in einem Büro arbeiten. Aber auch hier entzieht er sich der lauten und rohen Umwelt; nur seine Geige, welche er lange verachtete, jedoch nun wieder hervorholte, und Barbara, die Tochter eines Gemischtwarenhändlers, die er schüchtern und demütig liebt, sind ihm Zuflucht und Lebensinhalt. Sein Leben lang versucht er nur ein einziges Lied nachzuspielen, ein Volkslied, das er zufällig ein einfaches, armes Mädchen hat singen hören. Der verarmte Beamte ist indessen dem einfachen Alltagsleben, dem solche Volksmelodien entspringen, schon so weit entfremdet, dass er die Melodie nicht mehr- wie eben Volkslieder weitergegeben werden- spontan nach dem Gehör sondern nur mehr nach Noten lernen kann. So hat Grillparzer in seiner Erzählung auch das Problem seines literarischen Schaffens mit einer Radikalität offengelegt wie sonst nur in den vor der Öffentlichkeit versteckten Tagebüchern. Der arme josephinische Spielmann sehnt sich nach der einfachen Volkspoesie.
Doch einzig seine soziale Deklassierung nähert den gescheiterten Beamten dem Leben seines Volks an, in seinem Innersten bleibt es ihm fremd. Er kann nur über die Notenschrift der klassischen Formen verstehen, die zwar selbst einmal aus diesem Leben entstand, doch inzwischen zu weit von ihm sich entfremdet hat. Barbara jedoch, den untüchtigen Mann halb verachtend, von seiner bürgerlichen Naivität und künstlerischen Besessenheit dennoch tief berührt, heiratet schließlich, als der Spielmann sich nach dem Tode seines Vaters um sein reiches Erbe kläglich hat betrügen lassen, einen Schlachtermeister. Der Spielmann zieht seither als Außenseiter durch Wien. Als der Dichter von einer längeren Reise zurückgekehrt war, erinnerte er sich des Musikers, doch erst die Schneeschmelze und die furchtbare Überschwemmung der Brigittenau bewogen ihn, den Mann wieder aufzusuchen. Vor dem Hause, in dem der Musikant wohnte, formierte sich gerade ein Leichenzug.
Von der Gärtnerin erfuhr er, dass der Alte bei dem Hochwasser sicher in seinem Zimmer saß, als er aber die Kinder schreien hörte, sei er herabgeeilt und habe gerettet, soviel er nur konnte. Zitat: "Die ehrliche Seele saß da oben sicher in seiner Kammer. Als aber das Wasser kam und er die Kinder schreien hörte, da sprang er herunter und rettete und schleppte, und trug und brachte in Sicherheit, dass ihm der Atem ging wie ein Schmiedegebläs". Dabei habe er sich aber eine schlimme Erkältung zugezogen und sei kurz darauf gestorben. Als der Erzähler die Geige als Andenken kaufen will, verweigert sie ihm dies Zitat: "Als ich mein Anliegen erklärte, und einen verhältnismäßig hohen Preis anbot, schien der Mann nicht abgeneigt, die Frau aber fuhr vom Stuhle empor und sagte "Warum nicht gar! Die Geige gehört unserm Jakob, und auf ein paar Gulden mehr oder weniger kommt es uns nicht an!" In der Lebensgeschichte des armen Spielmanns Jakob finden sich verschiedene Vorkommnisse, die wir auch aus Grillparzers Biographie kennen. Der autobiographische Gehalt der Erzählung zeigt in einigen Episoden die psychische Disposition des Autors und seine eigene Selbsteinschätzung.
So beleuchtet er etwa das Missverhältnis von Kunstideal und tatsächlicher künstlerischer Begabung sowie seine Unmännlichkeit: Der Spielmann küsst Barbara nur durch eine Glasscheibe- eine Schlüsselstelle der Erzählung. Um sich von seinen unordentlichen Zimmernachbarn abzusetzen, zieht Jakob einen Kreidestrich auf dem Boden als Grenze. Die trennende Glasscheibe und der Distanz schaffende Kreidestrich sind Metaphern für Grenze, die Fundamentalkategorie der Dichtung und Ästhetik Grillparzers. Damit reicht der Text aber weit über Selbstdarstellung und Selbstkritik hinaus. Die politischen Zeitverhältnisse (Restauration, Vormärz) werden in einer konsequent durchgehaltenen Metaphorik (Strom, Überschwemmung) angedeutet. Jakobs Referate über Kunst und Musik sind dezidierte kunsttheoretische Überlegungen.
Er kann selbst die einfachsten Walzermelodien nicht richtig spielen, gleichwohl hat er den höchsten Begriff von seiner Kunst. Die Ironie der Erzählung liegt in dem Missverhältnis von Anspruch und Vermögen, von idealer Vorstellung und bescheidenem Können des Musikanten. Er erstrebt nämlich die vollkommene Kunst, die absolute Musik (er will »den lieben Gott« spielen; » Worte verderben die Musik«), eine genuin (echte, natürliche) romantische Kunstidee, die in der Indifferenz des einen vollkommenen Klanges (»der ferne Klang«) alle Differenzen aufheben will. Das beziehungsreiche Netz von autobiographischen, politischen, psychologischen und kunsttheoretischen Elementen ordnet die erzählte Wirklichkeit. Hinter ihr steht eine diffizile mythologisch-tektonische Idee: Die Erzählung wird durch den Dermeter- Persephone-Mythos strukturiert. Zwischen dem Volksfest am Anfang der Geschichte (die Anfangspartie ist durch GOETHES Römischen Karneval geprägt) und der Überschwemmung der Donau am Ende, zwischen Leben und Tod wird dieser Mythos vielfach funktionalisiert.
Jakobs Leben als Künstler ist ein Leidensweg, eine Passion, eine Imitatio Christi. Am Ende der Erzählung wird seine Geige mit dem Kruzifix in einer Ecke der Wohnung Barbaras so arrangiert, dass durch einen Spiegel zwischen den beiden Gegenständen jeder als Zeichen sich in dem andern widerspiegeln kann.
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