Europarecht als recht der europäischen Organisationen setzt zunächst das Vorhandensein von souveränen Staaten in Europa voraus, da nur sie internationale Organisationen errichten können, in deren Rahmen wiederum europäische Probleme behandelt und richtungsweisend bewältigt werden. Solche Organisationen werden durch völkerrechtlichen Vertrag oder durch ein diesem gleichwertigen völkerrechtliches Instrument geschaffen. Der völkerrechtliche Vertrag bildet somit die primäre Rechtsgrundlage des Europarechts.
So bestehen die Rechtsgrundlagen des Europarechts vor allem aus folgenden - zum Teil bereits klassischen - Verträgen:
dem Vertrag von London vom 5. Mai 1949, der die Satzung des Europarates enthält, in dessen Rahmen wiederum die
Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) am 4. November 1950 in Rom unterzeichnet wurde;
den Gemeinschaftsverträgen von Paris und Rom,
dem Stockholm-Vertrag vom 4. Jänner 1960 zur Errichtung der EFTA;
der Helsinki-KSZE-Schlußakte vom 1. August 1975;
der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) 1986 und
den Vertragswerken von Maastricht und Porto 1992 (EU und EWR).
Diese Verträge sowie die jeweiligen Beitrittsabkommen mit den neuen Mitgliedern bilden gleichzeitig das Gerüst für eine Verfassung Europas.
Sie sind die wichtigsten, aber nicht die einzigen Rechtsgrundlagen des Europarechts; diese Grundverträge wurden durch eine Vielzahl weiterer Verträge abgeändert und ergänzt, sodaß die derzeitige Ordnung Europas rechtlich nicht, wie in der Regel bei innerstaatlichen Rechtsordnungen, auf einer einzigen und umfassenden Verfassungsurkunde beruht, sondern auf einer Vielzahl von Grundverträgen, deren wichtigste die obengenannten sind.
Völkerrecht ist somit zwar die Rechtsgrundlage allen Europarechts, was aber nicht heißt, daß das moderne - im Gegensatz zum alten - Europarecht gleiche Züge und Strukturen wie das traditionelle universelle Völkerrecht aufweist.
Wohl entspricht das Europarecht außerhalb des Gemeinschaftsrechts im wesentlichen traditionellen völkerrechtlichen Strukturen und Inhalten. Das gilt insbesondere für die EU in Hinblick auf die "zweite" und "dritte" Säule.
Das Europarecht in der Form des Gemeinschaftsrechts weist hingegen dem klassischen Völkerrecht gegenüber Anomalien auf, die manche Autoren veranlaßten, hier von einer dritten Rechtsordnung, also einer Rechtsordnung neben dem innerstaatlichen Recht und dem Völkerrecht zu sprechen. Nach Auffassung dieser Autoren bestehen die Anomalien vor allem darin, daß die Gemeinschaft bzw. die Union "auf unbegrenzte Zeit" errichtet ist, die eine Sezession der Mitgliedstaaten rechtlich nicht zuläßt. Der "point of no return" ist mit der Mitgliedschaft erreicht. Im weiteren werden durch die Übertragung von Hoheitsrechten auf die Gemeinschaft die Souveränitätsrechte der Mitgliedstaaten ein für alle Mal beschränkt, wobei gleichzeitig dieser "Rechtskörper für ihre Angehörigen und sie selbst verbindlich ist". Der einzelne besitzt im Gemeinschaftsrecht somit subjektive Rechte. Sie sind vor dem EuGH einklagbar.
Die Rechtsgrundlage besteht hier nun aus einem völkerrechtlichen Vertrag, der den völkerrechtlichen Spielregeln der WVK (Wiener Vertragsrechtskonvention) unterliegt, also auch im Konsenswege abgeändert werden kann. Die Mitgliedstaaten sind somit weiterhin "Herren der Verträge"; ein Austritt, ja selbst ein Ausschluß eines unbotsmäßigen Mitglieds, ist nicht denkunmöglich. Trotz aller Besonderheiten sind daher die Europäischen Gemeinschaften als Grundlage der EU ein Geschöpf des Völkerrechts, das nicht "aus sich selbst heraus" weiterentwickelt werden kann, sondern, wie nicht zuletzt Maastricht gezeigt hat, wieder nur durch den Vertrag, also wieder nur durch das Völkerrecht, seine Dynamik aktualisiert.
Auch Österreich hat den EU-Beitrittsvertrag vom 24. Juni 1994 verfassungsmäßig als völkerrechtlichen Vertrag behandelt und auch die damit übernommene Gemeinschaftsrechtsordnung nicht etwa als eine "autonome Ordnung" betrachtet.
Das Gemeinschaftsrecht ist daher keine dritte Rechtsordnung, sondern eine hochintegrierte Ordnung des regionalen Völkerrechts, die sich aber - da ja der Einzelne in weiten Bereichen Adressat dieser Ordnung ist - materiell sehr wohl vom herkömmlichen Völkerrecht unterscheidet.
So umfaßt das Gemeinschaftsrecht Regelungsbereiche, die im traditionellen Völkerrecht keine oder nur eine relativ geringe Rolle spielen. Dazu zählen insbesonder das Wettbewerbsrecht, das Arbeits- und Sozialrecht, Finanzrecht und andere verwaltungsrechtliche Bereiche, wie Agrarrecht, Verkehrsrecht, Energierecht etc. Das Gemeinschaftsrecht hat somit die Regelung vorwiegend wirtschaftlicher Sachverhalte zum Gegenstand, ist also Teil des internationalen Wirtschaftsrechts. Heute werden allerdings auch andere Bereiche miteinbezogen, wie Umweltschutz und kulturelle Fragen.
Das Gemeinschaftsrecht umfaßt schließlich nicht nur Sach- sondern auch Kollisionsnormen.
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