Singer handelt zunächst die Tötung mißgebildeter Säuglinge ab. Da, wie schon zuvor erwähnt, die Zugehörigkeit zur Spezies Mensch, nach Singer, allein keine Bedeutung hat, sondern allein die Frage ob es eine Person ist, sagt Singer, dass ein Säugling nicht zum Kreis der Personen zählt, sehrwohl aber, zur Spezies Mensch. Somit kann mißgebildete Säuglinge "... zu töten (...), nicht gleichgesetzt werden mit der Tötung normaler menschlicher Wesen." (Singer 1984, S. 179)
"Der Unterschied zwischen dem Töten eines mißgebildeten und eines normalen Säuglings liegt nicht in irgendeinem vorausgesetzten Recht auf Leben, das der letztere hätte und der erstere nicht, sondern in anderen Erwägungen über das Töten .(...)
Die Geburt eines Kindes ist in aller Regel ein glückliches Ereignis für die Eltern. (...) Mit dem Augenblick der Geburt beginnt die natürliche Zuneigung der Eltern zu ihrem Kind. So liegt ein wichtiger Grund, weshalb einen Säugling zu töten normalerweise als schrecklich empfunden wird, in der Wirkung die eine solche Tötung auf die Eltern ausüben wird.
Es ist etwas anderes, wenn sich herausstellt, das dass Kind mißgestaltet ist. Manche sind geringfügig und haben wenig Auswirkung auf das Glück des Kindes oder seiner Eltern; andere hingegen verwandeln das normalerweise freudige Ereignis der Geburt in eine Bedrohung für das Glück der Eltern und anderer Kinder, die sie vielleicht noch bekommen werden.
Eltern können mit gutem Grund beklagen, daß ein behindertes Kind überhaupt geboren wurde. In diesem Fall kann die Wirkung, die der Tod des Kindes auf seine Eltern haben wird, eher ein Grund dafür als dagegen sein, das Kind zu töten." (Singer 1984, S. 180)
Den Interessen der Eltern wird hier ein schweres Gewicht zugesprochen, im Sinne utilitaristischer Maßstäbe der Verminderung von Leid.
Er benutzt die Formel des Unglücks einer Familie mit behinderten Nachwuchs in einer vollkommen unreflektierten Art und Weise, ohne dies zu hinterfragen.
Im weiteren Verlauf der Rechtfertigung nicht freiwilliger Euthanasie, spielt neben den Interessen der beteiligten Personen, sprich Eltern, auch das Interesse nicht zu leiden der Nicht - Person, sprich Säugling, eine Rolle. Hier kommt der Begriff der zu erwartenden Qualität des Lebens ins Spiel.
Als Indikatorbeispiel für ein "nicht lebenswertes Leben" dient Peter Singer hier zunächst der Fall schwerer "Spina Bifida". "dabei handelt es sich um ein Offenliegen der Wirbelsäule bei der Geburt, infolgedessen sich ein Hydrocephalus (...) bilden kann. In schweren Fällen bleibt das Kind von der Hüfte an abwärts gelähmt und kann durch die Hydrephalusbildung unter geistigen Entwicklungsstörungen leiden." (Stadler 1991, S. 113)
Im Anschluß an Singers Beschreibung, dessen, was er gehört und über diese Krankheit gelesen hat, resümiert er, "...wenn das stimmt, dann legen utilitaristische Prinzipien den Schluß nahe, daß es richtig ist, solche Kinder zu töten." (Singer 1984, S. 181)
Wenn wir uns vor Augen führen, dass es hier um die Tötung von Menschen geht - in Singers Sinn zwar nur um Nicht - Personen, aber die Abstufung von Opfern hat leider traurige Tradition -, dann gewinnt die Rechtfertigung der Tötung an dem Beispiel der Spina Bifida tödliche Brisanz für die Betroffenen.
Um die Relativität des Begriffes Leid und die Relativität der Heilbarkeit heute und morgen, zu dokumentieren, möchte ich noch einmal Christian Stadler zitieren :
"Mittlerweile ist es aber möglich, Spina Bifida Kinder noch im Mutterleib oder gleich nach der Geburt zu operieren. (...) Dadurch können sich Spina Bifida Geborene in den meisten Fällen entwickeln wie jeder andere Mensch. Besonders eindrücklich war dies bei einer Sendung des ORF zu sehen, bei der Singer einer 22 jährigen, Spina Bifida - geborenen Sozailpädagogikstudentin gegenübersaß. Die einzige Einschränkung, der sie unterliegt, ist, daß sie sich öfter operieren lassen muß (...). Es kann also in diesem konkreten Fall keineswegs die Rede davon sein, das ihr Leben elend ist, geschweige denn, daß es jeden Lebenswert verloren hat." (Stadler 1991, S. 114)
Ich persönlich möchte jedoch noch über die Gedanken Stadlers hinausgehen und behaupten, daß selbst, wenn sie sich nicht so entwickeln könne, wie ein normaler Mensch, ist ihnen ihr Lebensrecht nicht abzusprechen, nur die individuelle Empfindung des Betroffenen selbst rechtfertigt eine Bewertung der Lebensqualität.
Nachdem Peter Singer nun den Maßstab des nicht lebenswerten Lebens eingeführt hat, aus der Sicht des Beobachters, der entscheidet, ob dabei die Summe des zu erwartenden Leids größer ist als die Summe des zu erwartenden Glücks des Betroffenen und aller Beteiligten, fährt Singer nun konsequenter Weise fort das Existenzrecht auch den behinderten Neugeborenen abzusprechen, deren Lebensqualität durchaus lebenswert ist. In diesem Zusammenhang spricht er von Hämophilie und Trisomie 21 (Down - Syndrom). Singer bestätigt zwar, dass es falsch wäre diese Kinder zu töten, "...da von seinem Leben zu erwarten (ist), daß in der Bilanz Glück über Unglück überwiegen wird. Es zu töten hieße, ihn dieser positiven Glückbilanz zu berauben. Daher wäre es falsch." Doch Singer weiter: "Nach der totalen Version des Utilitarimus andererseits können wir nicht allein auf der Grundlage dieser Information eine Entscheidung fällen. Die Totalansicht erfordert die Frage, ob der Tod des hämophilen Säuglings zur Schaffung eines anderen Wesens führen wird, das sonst vielleicht nicht existieren würde. Mit anderen Worten: werden die Eltern, wenn das hämophile Kind getötet wird, ein weiters Kind bekommen, das sie nicht hätten, wenn das hämophile Kind leben würde? Und wenn sie es hätten, würde das zweite Kind dann vermutlich ein besseres Leben haben, als es das getötete gehabt hätte? Oft wird es möglich sein, diese beiden Fragen zu bejahen." (Singer 1984, S. 183)
Peter Singer sieht Neugeborene in dieser Hinsicht als ersetzbar an. Er resümiert am Beispiel des hämophilen Kindes:
"Sofern der Tod eines geschädigten Säuglings zur Geburt eines anderen Kindes mit bessern Aussichten führt, ist die Gesamtsumme des Glücks größer, wenn der behinderte Säugling getötet wird. Der Verlust eines glücklichen Lebens für den ersten Säugling wird durch den Gewinn eines glücklicheren Lebens für den zweiten aufgewogen." (Singer 1984, S.183)
Ernst Klee bezeichnet diese Art der Argumentation Singers als plump biologistische Argumentation:
"Jede Lebenserfahrung zeigt, daß die Geburt eines nicht behinderten Kindes keine Garantie für mehr Glück bedeutet : Wieviel Sorgen und Leid haben schon körperlich gesunde Kinder ihren Eltern bereitet. Eine Mutter über ihre behinderte Tochter : >>Leicht war es nicht und wird es wohl auch in Zukunft nicht werden. Aber reich und erfüllt ist die Zeit mit Angelika. Manchmal denke ich, sie ist zu uns gekommen, damit wir immer neu über das leben und seinen Sinn nachdenken, damit wir frei und offen bleiben, damit wir lernen, auf andere Menschen zuzugehen, damit wir lernen, unsere Vorurteile zu überwinden, damit wir lernen, daß Schwäche Stärke sein kann.>Obwohl ich mich inzwischen zwanzig Operationen, und vierzig Krankenhausaufenthalten unterziehen mußte, möchte ich keine Minute gerade dieses Lebens missen ! |