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philosophie artikel (Interpretation und charakterisierung)

Leben

Warum soll meine religion die richtige sein?



Vorbemerkung: Die Jahreslosung 1995 wendet sich an die heidnischen Völker und fordert sie zur Verehrung des einen Gottes JAHWE auf. Damit stellt sich die Frage nach dem \"Alleinvertretungsanspruch\" der Religionen. Die folgende Ansprache versucht, dieser Frage nachzugehen, indem sie einen neutestamentlichen Zeugen zu Wort kommen läßt: Paulus. In erzählerischer Form setzt er sich mit diesem Problem auseinander. Sie wurde in der Adventszeit 1993 bei einem Jugendgottesdienst von mir vorgetragen und in ihrer ursprünglichen Form belassen.

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,
in das Gewand eines anderen werde ich heute abend schlüpfen. Mein Name ist Paulus. Ihr werdet mich kennen oder habt zumindest von mir gehört oder gelesen: Lukas, der Bibelschreiber hat ja von mir erzählt. Und meine Briefe, ein paar zumindest, haben die Christen in alter Zeit in Euer Bibel- Buch mit aufgenommen.
Ihr lieben Leute geht gerade auf das große Fest der Christen zu. Mitten in den Vorbereitungen zu Weihnachten feiert ihr diesen Gottesdienst. Da, wo sich viele auf das Christfest freuen, so ein Thema: Warum soll meine Religion die richtige sein? Verwirrend für mich und spannend zugleich. Ich dachte, es könnte Euch interessieren, was ich zu sagen habe zu Eurer Frage. Denn in meinem Leben habe ich mich immer wieder damit auseinandersetzen müssen.
Ja, warum soll meine Religion die richtige sein? Zuerst, wenn ich ehrlich bin, war mir das kein Problem. Ein Jude war ich, aus dem Stamm Benjamin, Hebräer von Hebräern, am achten Tag beschnitten, wie alle jüdischen Jungen, aufgenommen in den Bund, den der Gott meiner Väter mit seinem Volk geschlossen hat. Ob es diesen Gott gab oder nicht, das versuchte ich nie herauszufinden. Er existierte. Fraglos. Er hatte seinen Platz im Elternhaus, am Sabbat, bei den Festen, die wir feierten, im Unterricht in der Synagoge.
Unser Gott hatte eine Stimme, und sie sprach aus der Thora, dem Gesetz, wir hörten sie in den Geschichten, die von ihm und unserem Volk erzählten, wir sangen ihm in den tehilim, den Psalmen. Wir beteten ihn an in dem Schemah Israel: Höre Israel: Adonai ist unser Gott. Adonai allein, und er ist einzig. Ihn, den einzigen Gott, sollst du lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, und mit all deiner Kraft. Dein Gott ist eifersüchtig.
Diese Worte habe ich mir ins Herz geschrieben, habe sie in meinen Gedanken bewegt, um sie nie zu vergessen. Daß meine Religion die richtige war, warum sollte ich daran zweifeln? Das Gegenteil war der Fall. Ich wollte sie ernst nehmen, ernster als viele meiner Mitmenschen, die ihn zu einem Sonn- und Feiertagsgott gemacht hatten. Ich wollte ernst machen mit der Forderung, heilig zu sein, weil unser Gott ein heiliger Gott war. So ging ich bei den Pharisäern in die Schule. Lernte, eiferte für meinen eifersüchtigen Gott.
Und doch gab es da auch das andere in meinem Leben: Ich war ein Jude aus Tarsus. Tarsus war eine Hafenstadt, müßt ihr wissen. Als Kind saß ich oft am Hafen, dort, wo man das Mittelmeer riechen kann, den Südwind auf der Haut spüren, der die Frische und das Salz über die Wellen in die Stadt hineintrieb. Das Meer brachte nicht nur gute Luft, sondern auch die Fremden: die Griechen, die Afrikaner, Ägypter und Seefahrer aus Cypern, Exoten, Männer mit fremden Gesichtern und fernen Sprachen, mit bunten Kleidern und noch bunteren Gedanken, Kundschafter anderer, fremdartiger Religionen.
Immer, wenn ein Schiff aus dem Hafen ausfuhr, hat mich das Fernweh gepackt. Ich wollte die Welt kennenlernen, erfahren, was andere glaubten und wie andere lebten. Vielleicht lag in diesen vielen Stunden, die ich als Kind am Hafen meiner Vaterstadt verbracht habe, schon der Kern dafür, daß ich später zum weitgereistesten Menschen der Bibel werden sollte. Die Linien meiner Wanderungen und Schiffspassagen durchkreuzen schließlich die Landkarten der ganzen damals bekannten Welt von Ost nach West und zurück. Nun, ganz reicht es noch nicht als Erklärung dafür aus.
II. Laßt mich von Damaskus erzählen. Blinde sehen, Lahme gehen! tönte es damals durch die Landschaften Judas und Galiläas und über die nördlichen Grenzen hinaus. Die Römer hielten die neue religiöse Sekte des Nazareners für eine aufrührerische Gruppe, wir hielten sie schlicht für eine Bande von Gottesleugnern und Feinden unseres Volkes. Alles schienen sie daran gesetzt zu haben, unserem Volk Wunden zu schlagen und die Gemeinschaft der Glaubenden zu untergraben. Demonstrativ hatten sie die Sabbatgebote gebrochen, am heiligsten der Wochentage gebrechliches Volk von der Pest geheilt. In den Straßen erklang das Jubeln und Schreien derer, die sich nach Heilung sehnten. Schamlos, respektlos und ohne jede heilige Scheu erklärten sie, die Thora hätte sich erfüllt und das Ende der Zeiten sei angebrochen.
Die Römer haben den Kopf der Bande ja dann hingerichtet, wie man Gotteslästerer und politische Aufrührer hinrichtet. Doch Ungeheuerliches hat man sich bald darauf erzählt. Er, der Rabbi Joschua aus Nazareth, aus der Familie Davids, sei eingesetzt worden zum Sohn Gottes, auferweckt am dritten Tage, einem gewissen Kephas erschienen, danach auch den zwölf Männern, die sich als konspirative Gruppe in Jerusalem zurückgezogen hatten. Nicht lange darauf seien es gar 500 gewesen, die beim Pfingstfest in Jerusalem außer sich gerieten, weil sie mit unerklärlicher Kraft von oben erfüllt wurden. Der Herr ist auferstanden, hieß es. Und in aller Öffentlichkeit verbreiteten sie die Nachricht, der sagenhafte Josua sei der Messias gewesen, und die bösen Juden hätten den Gesalbten des Herrn umgebracht. Bis nach Damaskus hinaus verbreitete sich die Kunde, Krebsgeschwüren gleich. Laßt sie uns aufspüren und gefesselt nach Jerusalem führen und anklagen! riefen wir und zogen nach Osten. Wir wollen unsere Ruhe haben.
Auf nach Damaskus. Aber ich erreichte die Stadt anders, als ich dachte. Kurz vorher war es mir, als öffnete sich der Himmel. Qualvolles Licht bündelte sich zum Strahl und die Straße glänzte. Saul, Saul, hörte ich rufen, was verfolgst Du mich? Ein Krampf warf mich vom Pferd in den Staub. Wer bist Du? stammelte ich. Wie blind erhob ich mich vom Boden, mühsam und voller Schmerzen: Wer bist Du? Drei Tage aß und trank ich nichts. Quälende Fragen, die nur der Schlaf zur Ruhe brachte. Wer bist Du? Dann kam Ananias und legte mir heilend die Hände auf die Augen. Wer bist Du? fragte ich noch einmal. Und irgend jemand sagte: Ich bin Christus, den du verfolgst. Mach Deine Augen auf. Blind warst du, blind vor Eifer. Bist an dem Gott des Lebens vorbeigegangen und hast ihn zum Erfüllungsgehilfen deiner religiösen Vorstellungen degradiert. ...........
Das Leben hatte einen Strich durch meine Pläne gezogen. Blinde sehen, Lahme gehen. Gott hatte mir die Augen geöffnet. Der Gott, der mir das Leben geschenkt hat, offenbarte mir seinen Sohn. Ich lebte, doch nun nicht nur ich, sondern Christus lebte in mir. Doch - was war nun mit meiner Vergangenheit? War mein bisheriges Leben vertan, vergeblich? Was war mit meinem Glauben an den Gott der Hebräer, mit meinen jüdischen Geschwistern? Mit den vielen, denen sich Jesus Christus nicht in den Weg gestellt hatte? Waren sie verloren? Verworfene? Welche Religion war die richtige, die jüdische oder die christliche?
Lange Jahre brauchte ich, bis ich für mich eine Antwort darauf fand: Die Zusagen, die Gott den Juden gegeben hat, können nicht hinfällig geworden sein. Gott steht dazu (Röm. 6,9). Auch wenn Gott durch seinen Sohn allen seine Liebe gezeigt hat. Wenn Gott einem Menschen seine Gemeinschaft anbietet, dann widerruft er dies nicht (Röm. 11,29). Gott hat verschiedene Wege, um zu uns zu reden. Jesus hat deutlich gemacht, daß Gottes Worte allen Völkern und Nationen (Röm. 9,30) gelten. Schließlich hat Gott alle Dinge geschaffen, alles besteht durch ihn und in ihm haben sie ihr Ziel (Röm. 11,36).
Juden oder Christen? Ich war Christus begegnet. Er hat mich zu seinem Boten gemacht. Und ich habe mich von ihm rufen lassen. Mit einmal war mir bewußt geworden, daß ich bisher noch nicht begriffen hatte, was der Glaube an Gott bedeutet. Ich meinte, ich müßte es ihm recht machen, indem ich für ihn eiferte. Jetzt weiß ich, daß ich durch Gottes Barmherzigkeit bin, was ich bin. Er hat mir das Leben gegeben. Ich bin für ihn wichtig. Nicht wegen meiner guten Taten oder meines vorbildlichen Lebenswandels. Sondern weil er mich liebt. Deshalb habe ich mich auf den Weg gemacht, um diese gute Nachricht weiterzutragen.
III. Aber noch einmal mußte ich dabei dazulernen. Juden oder Christen, das war nur ein Anlaß, über die Religionen nachzudenken. Da kam nämlich auch noch Athen! Eigentlich war die Hauptstadt der Griechen nur als Durchgangsstation zwischen Thessaloniki und Korinth gedacht gewesen. Doch kaum, daß ich sie betreten hatte, schlug sie mich in den Bann. Was für eine Stadt! Dichter, Denker, Wissenschaftler, Künstler - Sokrates und Plato, Aristoteles und Homer, die großen Dramatiker! Was für eine Welt! Noch nie war mir so bewußt geworden, welcher Geist, welche Kultur sich in dieser Stadt der Dichter und Denker versammelten. Auf dem Weg zur Akropolis rechts und links Altäre, viele für unbekannte Götter, deren Zorn man sich nicht zuziehen wollte. Lärm aus den Markthallen, neugierige, bildungsbeflissene Menschen, Philosophen und Philosophenschulen. Da war sie wieder, die Welt meiner Kindertage mit ihren fremdartigen Gedanken, mit ihrem bunten Leben. Neugierig schloß ich mich den Leuten auf dem Marktplatz an. Stoiker nannten sich einige, andere nach dem Philosophen Epikur. Und viele interessierten sich für meine Gedanken, die \"neue Lehre\". Manches klang fremd für sie und sie wollten gerne mehr darüber wissen.
Nach Art der Philosophen begann ich zu reden: \"Ihr Männer von Athen, ich habe gemerkt, daß ihr die Götter hoch verehrt. Ich bin durch eure Stadt gegangen und habe mir eure heiligen Stätten angesehen. Dabei habe ich einen Altar entdeckt mit der Inschrift: "Für den unbekannten Gott". Diesen Gott, den ihr verehrt, ohne ihn zu kennen, will ich euch jetzt bekannt machen. Es ist der Gott, der die Welt geschaffen hat und alles, was darin lebt. Als Herr über Himmel und Erde wohnt er nicht in Tempeln, die von Menschen gebaut werden....Meint nicht, die Gottheit sei den Bildern gleich, die ihr euch von ihnen macht. Er ist jedem von uns nahe; denn durch ihn leben, handeln und sind wir. Und Gott hat sich uns gezeigt, in einem Menschen, seinem Ebenbild. Ihn hat er vor aller Welt ausgewiesen, indem er ihn vom Tod erweckt hat.\"
Als ich von der Auferstehung redete, lachten einige und spotteten. Andere meinten, ich würde neue Götter verkündigen. Sie ließen mich nicht mehr zu Wort kommen. So ging ich schweigend aus ihrer Mitte, aufrecht und ruhig, als berührte mich das nicht. Nicht aus eigener Kraft und Stärke, nicht aus Überheblichkeit und Besserwisserei, sondern als spürte ich den namenlosen Mann, den ich verkündet hatte, an meiner Seite. Später erzählten sie mir, daß einige meinen Worten vertrauten und Christen wurden. Gott ist jedem von uns nahe. Mit allen Menschen dieser Erde waren die Athener auf der Suche nach dem unbekannten Gott. Doch der hat uns Menschen besucht. Er hat Hand und Fuß bekommen in jenem kleinen Kind von Bethlehem, in dem Prediger vom See Genezareth, in dem Aufrührer am Kreuz. Und er wirbt um unser Vertrauen.
IV. Warum soll meine Religion die richtige sein? Ich habe lernen müssen, daß es viele Arten gibt, Gott zu verstehen. Als ich ein Kind war, dachte ich wie ein Kind von Gott, redete wie ein Kind, fühlte wie ein Kind. Als Mann mußte ich viele meiner liebgewordenen Vorstellungen ablegen. Mir wurde bewußt, daß wir Gott nie ganz begreifen werden, solange wir leben. Unser Erkennen ist Stückwerk. Wie in einem trüben Spiegel sehen wir Gott, unvollkommen, wie wir Menschen sind. Aber ich freue mich auf den Tag, an dem wir Gott gegenüberstehen und ihn erkennen werden, so wie er uns jetzt schon kennt (1.Kor 13,11-12).

 
 

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